Eine Bestatterin erzählt "Eine Leiche fühlt sich an wie kalte Speckschwarte"

Bestatter (Symbolbild)
Foto: A3609 Daniel Karmann/ dpa
Zwischen Wunsch und Wirklichkeit ist in vielen Berufen jede Menge Platz. In der Serie "Das anonyme Job-Protokoll"erzählen Menschen ganz subjektiv, was ihren Job prägt - ob Tierärztin, Staatsanwalt oder Betreuer im Jobcenter.
Der Tod bestimmt meinen Alltag. Für viele Menschen ist das ein Tabuthema, kaum jemand beschäftigt sich gern damit, gerade in meinem Alter. Ich bin jetzt 31. Deshalb ist die richtige Haltung dazu entscheidend. Ich finde, es ist eine sehr sinnvolle und sinnstiftende Aufgabe, mit trauernden Menschen angemessen umzugehen und einem Verstorbenen einen Abschied in Würde zu ermöglichen. Aus diesem Grund habe ich mich für den Beruf entschieden.
Meine Haltung zum Tod und zu Verstorbenen hat sich über die Jahre entwickelt. Zu Beginn meiner Ausbildung dachte ich, ich mache alles richtig, wenn ich einen Leichnam bewusst als Sache betrachte. Heute weiß ich, dass ich meine Berührungsängste dadurch verstärkt habe.
Ein toter Körper ist kalt und hart, gleichzeitig fühlt er sich seltsam fettig an, wie eine kalte Speckschwarte. Und dann diese Gerüche! Bei meinem ersten Leichnam hatten sich nach der Totenstarre die Muskeln wieder geöffnet. Urin war ausgelaufen, Kot war ausgetreten, der Schluckmuskel hatte sich geöffnet, man roch den Mageninhalt. Ich empfand Ekel. Und je mehr ich versuchte, den Toten nüchtern als Objekt zu sehen, desto schlimmer wurde es.
Irgendwann probierte ich es mit der gegenteiligen Strategie: Ich versuchte zunächst, die Leiche nicht als Leiche zu sehen, sondern als verstorbenen Menschen. Ich wollte ihn so behandeln, als lebte er noch und schliefe nur. So widersprüchlich das klingt: Durch den Abbau meiner Distanz und den Aufbau von Nähe zu dem Toten ließen meine Ekelgefühle nach. Denn da ich den Leichnam nun wie einen Menschen sah, dessen Persönlichkeit über den Tod hinaus erhalten bleibt, waren die mit ihm verbundenen Gerüche gerechtfertigt - und verloren ihren Schrecken.

Ausgabe 3/2017
Glatzen gesucht
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Zugleich ließ ich so wiederum die persönliche Geschichte des Toten an mich heran, die ich von den Angehörigen erfahren hatte. Das ist erst mal nicht einfach zu verdauen. Langfristig ist es aber besser, sich auf diese Weise seiner Arbeit wirklich zu stellen.
Einen Toten für die Aufbahrung fertig zu machen ist eine höchst sensible und verantwortungsvolle Aufgabe. Zunächst wasche ich den Verstorbenen mit Wasser und normaler Seife und zusätzlich noch einmal mit einer desinfizierenden Spezialseife, die Haare wasche ich ihm mit Shampoo. Treten noch Körperflüssigkeiten aus, muss ich nachhelfen und alle Körperöffnungen verschließen. In den Anus oder die Vagina stopfe ich eine stark absorbierende Spezialwatte. Mund, Rachen und Nase nähe ich mit einer Nadel und einem Faden zusammen, der auch in der Chirurgie verwendet wird: Dieses Zusammennähen, das Verlegen eines Fadens, nennt man Ligatur. Zum Schluss kleide ich den Toten an und tupfe seine Haut mit etwas Puder ab, damit er nicht so glänzt.
Trauernde Menschen bei der Planung einer Beerdigung zu beraten ist ein Balanceakt. Ich brauche Einfühlungsvermögen, darf mich davon aber nicht auffressen lassen. Manchmal wird es zudem richtig stressig, da haben wir neun Beerdigungen an einem einzigen Tag, und ich arbeite bis zu 16 Stunden. An anderen Tagen wiederum ist es komplett ruhig. Der Tod lässt sich nun mal schlecht planen.
Mein schlimmstes Erlebnis war die Beerdigung eines 26-jährigen Mannes, der sich vor einen Zug geworfen hatte. Sein Körper war in der Mitte geteilt, beide Arme, beide Beine und der Kopf waren abgetrennt. Trotzdem sollte er aufgebahrt werden, so wollten es die Angehörigen. Also musste ich seinen Körper erst wie ein Puzzle zusammensetzen, bevor ich ihn zurechtmachen konnte. Ich habe seinen Kopf mit Nadel und Faden wieder an den Hals genäht. Das war schwer zu ertragen. In einem solchen Fall wäre es toll, einen Knopf zu haben, mit dem man Gedanken und Gefühle ganz ausschaltet.
Viele Menschen fragen mich, wie ich meinen Job aushalte. Meine Antwort: Ich bin täglich nicht mit persönlichem Verlust konfrontiert, sondern mit der Möglichkeit menschlicher Sterblichkeit. Die gibt es nun mal, ob man das will oder nicht. Hat man das einmal verstanden, greift der Selbstschutz: Man wird umso lebensbejahender.