In Kooperation mit

Job & Karriere

Mein Leben als Weihnachtsmann "Ich dachte, alle Kinder freuen sich auf mich"

Ein Gabelstaplerfahrer gibt jeden Winter den Weihnachtsmann. Manche Kinder rupfen an seinem falschen Bart, andere weinen vor Angst. Für solche Fälle hat er Tricks parat. Und mit Alkohol kann er auch umgehen.
Von Christian Andersch

Der schönste Moment ist, wenn die Tür aufgeht. Wochenlang haben die Kinder auf diesen Augenblick gewartet, und nun steht der Weihnachtsmann wirklich vor ihnen: mit rotem Mantel, weißem Bart, goldenem Buch und Jutesack, wie es sich für einen Weihnachtsmann gehört.

Gelernt habe ich eigentlich Staplerfahrer. Aber als man mich vor mehr als 20 Jahren fragte, ob ich in der Kita meiner Kinder den Weihnachtsmann spielen würde, sagte ich sofort zu. Ich mag Kinder sehr, bin selbst dreifacher Vater. Anscheinend habe ich meine Sache damals gut gemacht, denn anschließend bekam ich immer häufiger Anfragen von den Eltern anderer Kinder. Mittlerweile bin ich als "Weihnachtsmann Jens" im gesamten Stuttgarter Raum unterwegs.

Hol Dir den gedruckten UNI SPIEGEL!

Ausgabe 6/2016

Klüger als Du!
Warum wir trotzdem keine Angst vor künstlicher Intelligenz haben sollten

Diesmal mit Geschichten über ausgebeutete Psychologen, Frieden in Kolumbien und eine Nacht in Halle.
Willst Du das Heft nach Hause bekommen?Abo-Angebote für StundentenDen UNI SPIEGEL gibt es kostenlos an den meisten Hochschulen.UNI SPIEGEL 6/2016: Heft-Download

Was ich über den Job weiß, beruht auf Erfahrung und Bauchgefühl. Eine Ausbildung gibt es dafür ja nicht. Anfangs dachte ich zum Beispiel, dass alle Kinder sich freuen, den Weihnachtsmann zu sehen - bis ich dem ersten Kind begegnete, das anfing zu weinen.

Viele ängstigen sich, wenn da plötzlich ein großer, fremder Mann vor ihnen steht. Solche Situationen verlangen viel Einfühlungsvermögen. Ich fange dann zum Beispiel ein Gespräch mit meinem Jutesack an. "Warum weint sie denn?", frage ich den Sack. Dann verstelle ich meine Stimme, bewege den Sack hin und her, sodass es aussieht, als würde er tatsächlich sprechen, und antworte meist etwas Lustiges. So sehen die Kinder, dass ich eigentlich ganz nett bin. Oder ich zünde eine Wunderkerze an. Das Funkeln lenkt ab - und das Kind vergisst die Angst. Andere wiederum haben überhaupt keine Scheu. Ab und an zieht ein besonders vorwitziger Kandidat auch mal an meinem falschen weißen Rauschebart. "Au", sage ich dann und gucke ganz empört.

Zu Anfang der Saison, Mitte November, bereite ich meinen Wagen vor. Ich montiere einen glitzernden Schlitten auf mein Auto, schmücke das Gefährt ganz festlich. Denn ein Weihnachtsmann braucht natürlich einen Schlitten! Ich habe auch immer ein paar Süßigkeiten in der Manteltasche. Wenn ich auf dem Weg zu meinen Einsätzen Passanten treffe, verteile ich die. Wie die Leute sich freuen!

Die Geschenke, die ich überbringe, bekomme ich kurz vor dem Besuch von den Eltern zugesteckt. Ich nehme mir Zeit, um mit jedem Kind zu sprechen. Worüber wir reden, haben die Eltern mir vorher zugeflüstert, ich habe es in meinem goldenen Buch notiert.

Fotostrecke

Das anonyme Jobprotokoll: So sieht der Alltag wirklich aus

Die Kinder sind immer ganz erstaunt, was ich alles über sie weiß. Oft singen wir Lieder zusammen oder sagen Gedichte auf. Manchmal ist aber auch ein bisschen Einfallsreichtum nötig, wie an jenem Heiligabend vor einigen Jahren, als bei einer Außentemperatur von 18 Grad keine richtige Weihnachtsstimmung aufkommen wollte. Zum Glück hatte ich vorher Schneebälle aus Styropor gebastelt, die lenkten ein bisschen vom Sommerwetter ab - gut, und die Geschenke natürlich.

Stressfaktor Weihnachten

Zeit für solche Einlagen zu haben ist mir bei der zunehmenden Beschleunigung und Kommerzialisierung von Weihnachten besonders wichtig. Früher war alles noch etwas entspannter, Weihnachten begann mit der Adventszeit, die Familie stand im Mittelpunkt. Heute geht es oft um Materielles. Weihnachten ist für viele ein Stressfaktor geworden. Mich nervt auch, dass schon Monate vor dem Advent Lebkuchen und Christstollen in den Geschäften liegen. Da geht doch die ganze Vorfreude auf die Weihnachtszeit verloren. Ich freue mich aber trotzdem jedes Mal darauf, dass es endlich wieder losgeht.

Was von außen nach Harmonie pur aussieht, ist allerdings harte Arbeit. An Heiligabend bin ich zwölf Stunden im Dauereinsatz. Dann erfahre ich nur sehr selten, was tatsächlich in den Päckchen steckt, die ich verteile. Denn in der Regel bin ich schon auf dem Weg zum nächsten Termin, wenn die Kinder auspacken. Am Nikolaustag bin ich ebenfalls oft ausgebucht. Die Tage dazwischen gehören den großen Kindern auf den betrieblichen Weihnachtsfeiern. Natürlich fließt bei solchen Veranstaltungen auch Alkohol, mir wird immer mal ein Gläschen angeboten. Ich lehne das dankend ab. Der Weihnachtsmann trinkt nicht, das ist Ehrensache.

Etwa eine Stunde dauert ein Familienbesuch. 49 Euro plus Anfahrtspauschale bekomme ich dafür. Betriebsfeste gehen länger und sind mit 79 Euro etwas teurer. Insgesamt kein Job, um reich zu werden, ist eben eine klassische Saisonarbeit. Aber ums Geldverdienen geht es mir nicht. Für mich stehen die Kinder im Mittelpunkt, die kleinen wie die großen.

Der erste Weihnachtstag ist allerdings für meine eigenen Kinder und Enkel reserviert. Dann bin ich auch für sie der Weihnachtsmann - hoffentlich noch viele Jahre lang. In Rente gehen möchte ich nicht. Denn das ist das Gute an meinem Job: Je weißer die Haare, umso authentischer ist der Weihnachtsmann.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren