Unterwasser-Archäologie Das Geheimnis der "UC 71"

Florian Huber fahndet in Schiffwracks und Unterwasserhöhlen nach Schätzen und Relikten aus längst vergangenen Zeiten. Jetzt berichtet der Taucher über seine abenteuerlichsten Trips in die Tiefe.
Maya-Schädel in einer überfluteten Karsthöhle in Mexiko

Maya-Schädel in einer überfluteten Karsthöhle in Mexiko

Foto: Uli Kunz

Eisiger Wind aus Südwest peitscht Gischt über das Meer vor Helgoland. Mühsam kämpft sich die "Terschelling" durch die raue Nordsee. Es ist der 20. Februar 1919. Der Schlepper zieht ein U-Boot hinter sich her. Nach dem verlorenen Krieg soll die "UC 71" in England den Siegern übergeben werden.

Doch dazu kommt es nicht. Immer wieder krachen Brecher gegen den Turm des U-Boots. Es gerät in Schieflage. Dann das Unbegreifliche: Innerhalb einer Stunde versinkt "UC 71" in der tosenden See. In 18 Meter Tiefe schlägt das Schiff auf den Meeresgrund.

"Boot ruckte mehrfach heftig ein und schlug quer", notierte der verantwortliche Oberleutnant später. "Ich schloss alle Luken; Boot fing plötzlich aus nicht erkennbarer Ursache an zu sinken."

Was für ein Drama - und was für eine Lüge! "Fast alle Luken und Schotten standen offen", sagt Florian Huber. Mit seinem Team tauchte der Forscher hinab zum Wrack vor Helgoland.

Seine Erkenntnis: "'UC 71' wurde absichtlich versenkt."

Für die Sabotage hat der Forscher auch eine Erklärung. Viele Kampfschiffe mussten nach Ende des Ersten Weltkriegs an die Sieger übergeben werden: "Doch aus Ehrgefühl tat das deutsche Militär alles, um die Schiffe nicht in Feindeshand fallen zu lassen."

Huber, 41, ist Unterwasserarchäologe. In Wracks und überfluteten Höhlen, in tiefen Brunnen und eisigen Bergseen fahndet er nach Knochen und Kanonen, nach Amphoren, Münzen und Geschmeide. Seine Reisen, die er jetzt in einem Buch lebendig werden lässt, führten ihn zu den feuchten Gräbern der Maya, zu den Schiffswracks baltischer Schlachten und in die Tiefen mittelalterlicher Brunnenschächte (Florian Huber: "Tauchgang ins Totenreich". Rowohlt; 336 Seiten; 24,95 Euro).

"Wer denkt, dass die Epoche der Entdeckungen vorüber sei, irrt sich", sagt Huber. "Die Welt unterhalb des Meeresspiegels hält noch immer viele Überraschungen bereit, die den Inhalt der Geschichtsbücher verändern können."

Die Lust, uralten Geheimnissen auf den Grund zu gehen, erfasste Huber früh. Im Gebirgsbach im Garten seiner Eltern im bayerischen Lenggries suchte er nach Versteinerungen. Auf der nahen Hohenburg seilte er sich heimlich in den "Hungerturm" ab, um alte Skelette zu finden.

Mit 13 tauchte er zum ersten Mal. Seither lässt ihn das Wasser nicht mehr los. Huber studierte Unterwasserarchäologie an der Universität Kiel. Inzwischen hat der Bayer mit Freunden die Firma Submaris gegründet und sich als Forschungstaucher selbstständig gemacht.

Seine Flossen legt er nun vorwiegend für Meeresforschungsinstitute oder für Offshore- und Energiefirmen an. Am Walchensee tauchte er mit seinem Team quer durch einen ganzen Berg hindurch, um den 1200 Meter langen Stollen eines Wasserkraftwerks auf Schäden zu überprüfen.

Weit spannender aber ist für ihn, "nach Zeitkapseln zu tauchen und die Vergangenheit ans Licht zu bringen". Stets ist er rund um die Welt auf der Suche nach dem nächsten Unterwasserschatz.

Ein Paradies für Unterwasserarchäologen sind beispielsweise die Kalksteinhöhlen der mexikanischen Halbinsel Yucatán. Diese sogenannten Cenoten lagen einst über dem Meeresspiegel. Steinzeitmenschen nutzten die Karsthöhlen als Wohn- und Begräbnisstätte.

Im Video: Unterwasserarchäologie - Geschichte in der Tiefe

DER SPIEGEL

Nach der letzten Eiszeit schwoll der Ozean, überflutete die kilometerlangen Höhlenlabyrinthe und verschluckte Skelette, Feuerstellen und Werkzeuge. Später warfen die Maya Keramik und Schmuck von oben in die wassergefüllten Höhlen - und Menschen: Die Cenoten galten als Tore zur Unterwelt Xibalbá ("Ort der Angst").

Mehrere Tausend der wundersamen Kalkhöhlen sind bekannt. Huber hat etliche von ihnen erkundet. Im Höhlensystem Toh Ha stießen der Forscher und sein Team auf eine 8500 Jahre alte Steinzeitfeuerstelle. Auf dem Grund der Cenote Sagrado fanden sich die Skelettreste von 73 Menschen. Sie wurden vermutlich lebendig von oben in die geflutete Höhle gestoßen - als Menschenopfer der Maya. Sagrado bedeutet "heilig". Auch Opfergaben aus Gold, Jade und Keramik liegen auf dem Grund der Cenote.

Den spektakulärsten Fund allerdings untersuchte Huber in der Nähe des mexikanischen Tulum. "Hoyo Negro", schwarzes Loch, heißt dort ein Höhlenabschnitt, den zu erreichen Könnern vorbehalten ist.

Tausend Meter müssen sich die Taucher zunächst von elektrisch betriebenen Unterwasserscootern schleppen lassen. Dann sind sie auf sich allein gestellt. Mehr als 30 Meter geht es senkrecht hinab. Starke Lampen bringen Licht in die totale Finsternis.

"Und plötzlich rückt, wie eine unwirkliche Erscheinung, ein faszinierender Anblick in mein Gesichtsfeld", erinnert sich Huber: "Auf einem Felsabsatz ruht ein menschlicher Schädel."

Rund 16 Jahre alt war das Mädchen, als es starb, das ergab später die Knochenanalyse. Vermutlich stürzte es vor rund 12.500 Jahren in der damals noch trockenen Höhle ab. "Naia" tauften die Forscher den Teenager - nach den Wassernymphen der griechischen Mythologie."

Es handelt sich um einige der ältesten Menschenknochen, die jemals auf dem amerikanischen Kontinent gefunden wurden", sagt Huber. Damit trage Naia Jahrtausende nach ihrem Tod dazu bei, einige immer noch ungelöste Fragen zu beantworten: Wer waren die ersten Amerikaner? Woher kamen sie? Und wie verbreiteten sie sich einst auf dem Kontinent?

Huber faszinieren solche Rätsel. Doch vor allem reizt ihn das Tauchen selbst. Und das sogar, wenn es eng und dunkel wird.

Auf der Kaiserburg Nürnberg beispielsweise ließ er sich am Seil in den 50 Meter tiefen Brunnen hinab. Tagelang barg er mit seinem Team die Ablagerungen von Jahrhunderten - darunter in den Brunnen geplumpste Gebissprothesen und Sonnenbrillen, aber auch eine Statuette der heiligen Kunigunde von Luxemburg.

Unterwasserarchäologe Huber: "Wer seinen Gasvorrat falsch berechnet, ist so gut wie tot"

Unterwasserarchäologe Huber: "Wer seinen Gasvorrat falsch berechnet, ist so gut wie tot"

Foto: Uli Kunz

Weit gefährlicher ist das Tauchen in den Cenoten. Aufgewirbeltes Sediment nimmt den Forschern dort häufig die Sicht. Vor allem aber sind sie rundherum von Gestein umschlossen. Schnelles Auftauchen ist unmöglich. "Manchmal dringen wir kilometertief in eine Höhle vor", sagt Huber. "Wer da seinen Gasvorrat falsch berechnet oder sich verirrt, ist so gut wie tot."

Ähnlich riskant ist der Vorstoß zum Meeresgrund in großen Tiefen. Mehrfach gehörte Huber zu einer Tauchertruppe, die in der Ostsee das Wrack der "Mars" untersuchte, eines schwedischen Kriegsschiffes aus dem 16. Jahrhundert. Mit geschätzten 1800 Tonnen Gewicht war die "Mars" eine der größten schwimmenden Festungen ihrer Zeit.

1564 ging sie trotzdem unter: Eine Übermacht dänischer und Lübecker Großschiffe brachte sie in der Schlacht vor Nordöland zur Strecke. Heute liegen ihre Reste in knapp 80 Meter Wassertiefe.

Um dort hinzugelangen, ist gute Vorbereitung überlebenswichtig. Huber legt für solche Tauchgänge Skiunterwäsche, Trockenanzug und elektrische Heizweste an. Fünf Flaschen mit verschiedenen Gasmischungen nimmt er mit; alles zusammen wiegt locker 70 Kilogramm. Bepackt wie ein Raumfahrer geht es in nur fünf Minuten auf 80 Meter Tiefe. Dabei atmen die Taucher ein Gas, in dem Stickstoff großteils durch Helium ersetzt ist. Andernfalls riskierten sie einen Tiefenrausch, bei 80 Metern ein Gefühl "wie nach acht Martini auf nüchternen Magen", sagt Huber.

Nur etwa 20 Minuten bleiben den Forschern, um das Wrack zu erkunden - und das bei vier Grad Wassertemperatur. Danach beginnt der langsame Aufstieg.

Um die lebensgefährliche Taucherkrankheit zu verhindern, bei der sich Gasbläschen im Blut bilden, braucht es viel Zeit. Alle drei Meter verharren die Taucher für einige Zeit schwebend in der Wassersäule. Ab 21 Meter Tiefe atmen sie Luft mit 50 Prozent Sauerstoff; ab 6 Meter sogar reinen Sauerstoff, um Reste von Stickstoff und Helium aus ihrem Blut auszuwaschen. Erst nach anderthalb Stunden kehren sie an die Oberfläche zurück.

Doch der Aufwand lohnt sich. "Das ist wie eine Zeitreise auf ein Schlachtfeld des 16. Jahrhunderts", schwärmt Huber, "da war ja seit 450 Jahren keiner mehr dran."

Bis zu fünf Meter lange, aus Bronze gegossene Kanonen hat er am Wrack der "Mars" untersucht. Rund 120 Geschütze sollen an Bord des Schiffes gewesen sein. Fotoserien der Fundstücke setzen die Forscher später am Rechner zu dreidimensionalen Modellen zusammen.

Teller, Münzen und Knochen hat das Taucherteam in der "Mars" entdeckt. Und auch die Überreste von 800 Seeleuten liegen im Ostseegrab. Selbst das Holz des Wracks sei in dieser Tiefe "fantastisch erhalten", so Huber. "Solche Bedingungen sind ein Traum für uns."

Den spektakulärsten Schiffsfriedhof der Welt erkundete Huber im mikronesischen Chuuk-Archipel. Dort liegen Wracks japanischer Kriegsschiffe, die im Zweiten Weltkrieg von den Amerikanern auf den Grund der Lagune gebombt worden waren.

Panzer in der Chuuk-Lagune: Drohende Ölpest im Inselparadies

Panzer in der Chuuk-Lagune: Drohende Ölpest im Inselparadies

Foto: Florian Huber

Zwei Tage dauerte die Operation "Hailstone" am 17. und 18. Februar 1944. Mit der tödlichen Macht von 12 Flugzeugträgern und 589 Kampffliegern rächten sich die Amerikaner für den Angriff auf Pearl Harbor. In wenigen Tagen verlor Japan mehr als 250 Flugzeuge und rund 50 Kriegsschiffe. Etwa 4000 Japaner kamen ums Leben.

Längst hat sich der Unterwasserschrottplatz zu einem exotischen Taucherparadies gewandelt. Doch eine Umweltkatastrophe droht. Denn in den von Korallen überwucherten Wracks lagern noch tonnenweise Öl und Diesel. Brechen die rostigen Kriegsschiffe auseinander, kann es in dem Inselparadies zu einer Ölpest kommen.

Mindestens fünf Wracks sollen bereits kleine Lecks aufweisen. Eines davon hat Huber selbst untersucht: In 60 Meter Tiefe liegt das japanische Frachtschiff "San Francisco Maru" auf dem Lagunengrund. Mehrere schwere Bomben hatten das Schiff 1944 auf den Grund geschickt.

Heute ist die "San Francisco Maru" über und über mit Meeresgetier bewachsen. Die Laderäume sind vollgestopft mit Munition und Kriegsgerät. Überall rosten Ölfässer vor sich hin.

Huber nahm am Wrack eine Wasserprobe. Die Analyse war eindeutig. "Im Laderaum des Wracks treiben bereits Ölreste", sagt er. Das Öl müsse dringend abgepumpt werden, bevor Tanks und Ölfässer ganz durchgerostet seien.

Weltweit rund drei Millionen Wracks liegen nach Schätzungen der Unesco am Meeresgrund, so der Unterwasserarchäologe, "und jedes von ihnen hat eine spannende Geschichte zu erzählen". Dass er sich bei seinen Tauchexpeditionen in Gefahr begibt, nimmt der Forscher gelassen. "Wir gehen besonnen vor, wir sind keine Adrenalin-Junkies", sagt Florian Huber. "Nur wer sich selbst überschätzt, spielt mit seinem Leben."

Einmal allerdings hätte es ihn beinahe doch erwischt. In Mexiko war er gerade in eine Cenote hinabgestiegen und bereitete sich an der Wasseroberfläche auf den Tauchgang vor, als er einen lauten Warnschrei hörte.

Eine 30 Kilo schwere Doppelflasche hatte sich vom Transportseil gelöst und rauschte von oben heran.

"Ich konnte gerade noch ausweichen", erinnert sich Huber, "sonst hätte es zack gemacht, und meine Lichter wären aus gewesen."

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