
Urheberrecht Wem gehören die Gedanken?
Alles wird gut. Clemens Rasch, 53, ein schlaksiger, strubbelköpfiger Rechtsanwalt, sitzt in seinem Büro mit Blick auf die Hamburger Außenalster, Segel blähen sich im Frühlingswind. Er zeigt sich zufrieden: Die Piraten, da draußen im Netz, "die sind nur noch eine Minderheit".
Im Kampf gegen die Umsonstkultur, die illegalen Downloads und Tauschbörsen ist der freundliche Hamburger Rechtsanwalt wahrscheinlich der Erfolgreichste. Zigtausende seiner Briefe haben die Netzgemeinde durchgeschüttelt, eine Abmahnung von Rasch kostet den Empfänger 1200 Euro, Anwaltskosten und Schadensersatz, wer zahlt, bekommt das Versprechen: "Damit ist der Fall erledigt."
Rasch ist der Buhmann der Gemeinde, er verfolgt im Auftrag der vier größten Musikkonzerne Urheberrechtsverletzungen in Peer-to-Peer-Tauschbörsen - ein reines Massengeschäft. Er spricht von "Wirkungswellen", die seine Abmahn-Kaskaden im Netz auslösten, von "gefühlter Kontrolldichte", die "wie in Supermärkten" bei den Usern das schlechte Gefühl auslösten, sie würden überwacht.
Das schlechte Gefühl ist das Gute daran. "Generalprävention" nennen das die Juristen, und Rasch rechnet vor: "Die Generalprävention wirkt in Deutschland gegen Netzpiraterie besser als in den meisten anderen europäischen Ländern." 40-mal so hoch sei die Zahl der illegalen Downloads in Großbritannien, viermal so hoch selbst im braven Österreich.
Das schlechte Gefühl, das Anwälte wie Rasch in Deutschland verbreiten, hat dazu geführt, dass die Zahl der User, die sich rechtmäßig im Netz mit Musik bedienten - etwa bei iTunes - 2011 die Zahl der Nutzer von illegalen Angeboten deutlich überstiegen hat.
Ist das die Lösung für das Problem, das mittlerweile Autoren und Musiker zu verzweifelten Appellen, Protesten und manchmal sogar auch zu Beschimpfungen ihres Publikums treibt? Wie lässt sich sicherstellen, dass das Publikum im Netz für Kunstgenuss, Erbauung und Unterhaltung zahlt? Sind die Urheber und ihre Verwerter der um sich greifenden Piratenmentalität der Netzgemeinde hilflos ausgeliefert? Soll im Netz die Freiheit der Meere gelten?
"Wir sind die Urheber", rufen die Autoren in ihrem Manifest, das sie vor wenigen Tagen als Hilferuf veröffentlichten. Kann der nette Anwalt ihnen helfen?
Nichts wird gut. Auch unter Juristen und Rechtspolitikern, die den Piraten fernstehen, wachsen die Zweifel, ob sich das Urheberrecht dadurch retten lässt, dass man nur heftig genug darauf pocht. "Die Geschichte des Urheberrechts ist die Geschichte seiner permanenten Anpassung an neue Technologien", verkündete die Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, "für alle technischen Neuerungen - von der Schallplatte über den Rundfunk bis zum Computerprogramm - hat der Gesetzgeber Lösungen gefunden."
Nun ist wieder eine fällig: Das Urheberrecht habe "mit der Entwicklung der Medienwelt nicht Schritt gehalten", heißt es im Bericht der Internet-Enquetekommission des Bundestags vom November 2011. Der "Akzeptanzverlust des Urheberrechts", so das Resümee, führe zu der "Frage, ob eine Fixierung des Urheberrechts auf den Schöpfer weiter sachgerecht ist oder eine eher am Ausgleich unterschiedlicher Interessen orientierte Konzeption vorzugswürdig erscheint".
Kein Autor und kein Musiker soll um seine angemessene Entlohnung fürchten. Doch Nachdenken über eine friedliche Lösung des Konflikts zwischen Urhebern und Netzpublikum tut not. Denn nur noch mit unverhältnismäßigem Aufwand und ständigem Verfolgungsdruck lässt sich das Urheberrecht von Musikern, Filmemachern, Autoren in der Welt digitaler Kommunikation durchsetzen.
Im Dschungel des weltweiten Netzes scheitern am Ende die Vollstrecker einer jahrhundertealten Urheberrechtsordnung. Die neuen Methoden, geistige Güter rund um den Erdball zu verteilen, sind so schnell, so billig und so effektiv, dass die Rechtsordnung der alten, der analogen Welt sich als zu langsam, ja oft genug als Behinderung erweist.
Die berechtigten Interessen der Urheber im Netz der unbegrenzten Möglichkeiten zu schützen erfordert Vorkehrungen, Eingriffe und Überwachungsmaßnahmen, die nicht nur die Idee des freien Netzes, sondern nach und nach auch die Substanz eines liberalen Rechtsstaats in Mitleidenschaft ziehen.
Die Jagd auf IP-Daten Verdächtiger geht weiter
Die Fahnder der Rasch-eigenen Piratenpolizei ProMedia arbeiten Tag und Nacht - nachts besonders, denn nachts herrscht bei den Musiktauschbörsen Hochbetrieb. Mit einer speziellen Software durchsucht ein Team die Angebote aus den Tauschbörsen.
Wer Lady Gaga tauscht, ist fällig. Denn deren Musik darf nur mit Lizenz im Netz herumgereicht werden. Eine Lizenz hat etwa iTunes, doch kein Privatmann.
Der Rest ist Technik: ProMedia gibt täglich lange Listen mit Verbindungsdaten der verdächtigen Computer, den sogenannten IP-Adressen, und dem Zeitpunkt der Registrierung an die Provider, damit die feststellen, wem sie zum fraglichen Zeitpunkt die IP-Zahlencodes zugeteilt haben.
Die Liste geht auch ans Landgericht, denn nur ein Richter darf anordnen, dass die Namen zu den Zahlen herausgegeben werden. Eine Fließbandarbeit für Gerichte und Provider. Rasch ist ja nicht der Einzige in Deutschland, der Namen und Adressen will. 2,4 Millionen Adressen im Jahr, so berichtete die Telekom 2010, müsse sie zur Piratenverfolgung herausgeben. Das Resultat, nach Branchenschätzungen, waren 2010 über eine halbe Million Abmahnungen mit einem Anspruchsvolumen von mehr als 400 Millionen Euro.
Rechtlich ist das ein Weg über Stock und Stein. Denn die Auskünfte der Provider führen nur zu einer Anschlussdose und meist zu einer WLAN-Verbindung. Wer aber mit welchem Computer tatsächlich Lady Gaga über diesen getauscht hat, lässt sich nicht ermitteln. Regelmäßig landen die Abmahnbriefe bei ahnungslosen Familienvätern und anderen Anschlussinhabern, die drahtlos ganze Wohngemeinschaften oder Großfamilien mit versorgen.
Die Gerichte werden mit Klagen überzogen, weil kaum ein Abgemahnter akzeptiert, dass er haften soll, nur weil er die Leitung zum Provider bezahlt. Doch der Bundesgerichtshof hat kurzen Prozess verordnet: Die Inhaber von Internetanschlüssen haften so oder so - weil sie es selbst waren oder weil sie als Verantwortliche versäumt haben, File-Sharer in ihrem Verantwortungsbereich am dunklen Tun zu hindern.
Das wirft weitere Probleme auf. Wie weit reicht die Verantwortung eines Bürgers im Einzugsbereich seines WLAN? Die Gerichte streiten noch immer, oft geht es um fünfstellige Summen, weil meist mehrere Downloads zur Debatte stehen. Nun hat sogar das Bundesverfassungsgericht eingegriffen: Das Durcheinander sei eines Rechtstaats unwürdig. Der Bundesgerichtshof muss nun erneut versuchen, mit einem Machtwort die Verantwortung im Internet zu klären.
Frieden gibt es auch dann nicht. Denn ganz offenbar ist der massenhafte Umgang mit den IP-Verbindungsdaten fehleranfällig. Immer neue Fälle werden bekannt, in denen Internetteilnehmer beweisen konnten, dass zum angeblichen Tatzeitpunkt niemand in Reichweite des Anschlusses war. Meist wurden sie trotzdem verurteilt. Anschluss genügt.
Die zu Unrecht Beschuldigten - nach Schätzungen von Fachanwälten mehrere tausend im Jahr - müssen ihre Unschuld beweisen, indem sie einen Gutachter beauftragen, der die Beweisführung auf Fehler untersucht. Kosten: bis zu 5000 Euro. In der Fachzeitschrift "Computer und Recht" bescheinigte kürzlich ein öffentlich bestellter Gutachter dem IP-Verfahren erhebliche Mängel: "Das ganze System gehört auf den Prüfstand."
Doch die Jagd auf IP-Daten Verdächtiger geht weiter. Nun gibt es Pläne im Bundeswirtschaftsministerium, das Abmahn-System nach dem Muster Rasch durch ein "Warnhinweis-System" zu ersetzen. Danach sollen Zugangsanbieter wie die Telekom bei Hinweisen auf Urheberrechtsverletzungen über ihre Leitungen die Anschlussinhaber zunächst selbst verwarnen. Alle Verwarnungen werden dann in einer Datenbank gespeichert, beim dritten Mal gibt's Ärger.
Das wäre der Einstieg in eine gewaltige Überwachungsmaschinerie. Der Münsteraner Medienrechtsprofessor Thomas Hoeren hat "erhebliche Bedenken" gegen die Verfassungsmäßigkeit solcher Pläne. Denn wenn die Provider das Verwarnwesen selbst übernehmen, wird den Usern auch der letzte Rechtsschutz abgeschnitten: Jeder Verdacht würde ungeprüft registriert, eine Vorratsdatenbank entstünde, in der Millionen Bürger mit Details ihres Internetverhaltens registriert sind. Die Provider würden sich bedanken.
Die deutschen Ideen orientieren sich an dem französischen Hadopi-System. Dort werden seit 2010 die nach IP-Adressen ermittelten mutmaßlichen Piraten von einer zentralen Behörde registriert. Als Sanktion nach dreimaligem illegalem Download kann ein Richter Freiheitsstrafen und Internetsperren anordnen.
Das französische System hat nur Ärger gemacht. Die Provider wehrten sich gegen die hohen Kosten, die die Adressensammelei bei ihnen auslöste - nach eigenen Angaben mehr als 400.000 Euro pro Tag. Wie unzuverlässig die Ermittlung der IP-Adressen auch in Frankreich funktioniert, zeigte sich spätestens, als 2011 einige Datenspuren direkt in den Elysee-Palast führten. Hardcore-Piraten, das zeigte zudem die französische Erfahrung, sind auf diese Weise sowieso nicht zu fangen: Sie verschleiern ihre IP-Daten oder benutzen die Daten ahnungsloser Fremder.
Clemens Raschs Gewerbe, die Jagd auf die File-Sharer, ist dabei ohnehin schon von gestern. Die meisten illegalen Angebote werden über "Streaming" abgewickelt, da wird nichts mehr dauerhaft runtergeladen. Auf die Fragen, ob das überhaupt strafbar ist und wie man es verhindern kann, hat bislang niemand eine Antwort.
Juristen quälen sich besonders mit den File-Hostern herum. Das sind kleine Cloud-Computing-Unternehmen, die Speicherplatz für alles und jeden anbieten. Über die elektronischen Schließfächer von Rapidshare zum Beispiel wickelten illegale Content-Anbieter lange Zeit ihre Geschäfte so diskret ab, dass ihnen kaum auf die Schliche zu kommen war. Mittlerweile laufen nach Expertenschätzungen 80 Prozent aller Urheberrechtsverstöße über die File-Hoster.
Doch die Versuche der Ermittler, an die Quelle vorzustoßen und illegalen Content abzugreifen, hatten bisher nur mäßigen Erfolg. Unternehmen wie Rapidshare behaupten, sie treffe für das Unwesen in ihren Speichern keine Verantwortung, sie wüssten auch nicht, wer dort seine illegale Ware lagere.
Provider sollen Urheberrechtsverletzer den Behörden melden
Erneut streiten die Gerichte. Geschäftsmodelle wie das File-Hosting seien "von der Rechtsordnung nicht zu billigen", urteilte das Oberlandesgericht Hamburg, deshalb müsse sich Rapidshare in die Haftung nehmen lassen. Das Oberlandesgericht Düsseldorf jedoch sah keine Handhabe gegen das Geschäftsmodell des Datenspeicherns.
Nun drängt die Lobby der Film- und Musikindustrie, die sogenannte Deep-Packet-Inspection für professionelle Datenspeicherer und sonstige Provider zur Pflicht zu erklären: Die Provider sollen sich die von ihnen gehandelten Daten genau ansehen müssen und Urheberrechtsverletzer den Behörden melden.
Das würde sich nur noch graduell unterscheiden von einer Behandlung des Problems, die von Bürgerrechtlern gern als die "chinesische Lösung" bezeichnet wird: die umfassende Überwachung des Internetverkehrs.
Kann man das wollen? Im umstrittenen internationalen Acta-Abkommen, das nach heftigen Protesten zunächst zurückgestellt wurde, sind dafür die rechtlichen Grundlagen gelegt. Eine Pflicht der Provider zur Mitwirkung bei der Piratenjagd wurde zwar nicht statuiert, die Unterzeichnerstaaten sind jedoch aufgerufen, "entsprechendes" Zusammenwirken zu "fördern".
Mit welchem Mittel auch immer.
So geht es immer weiter. Die illiberale Spirale im Kampf ums Urheberrecht dreht sich, je weiter die Netzgemeinde ihr böses Spiel treibt. An die Seite der Netzpiraten treten zunehmend die Guten: Bürgerrechtler, denen die Jagd über alle Zäune des Rechtstaats hinweg, ohne Rücksicht auf Datenschutz und Unschuldsvermutung, unheimlich wird, Verbraucherschützer, die harmlose Telekom-Kunden und deren Kinder plötzlich zu Hunderttausenden kriminalisiert sehen.
Wenn die Scharfmacher weiter die Debatte bestimmten, drohe ein "Kulturkampf", sagt der Grünen-Bundestagsabgeordnete und Netzexperte Konstantin von Notz. Da geht es "um eine freiheitliche Gesellschaft". Zur freiheitlichen Gesellschaft des Grundgesetzes gehört der Verfassungsgrundsatz, dass kein Gesetz mit unverhältnismäßigen Mitteln durchgesetzt werden darf, auch nicht das beste, auch nicht das Urheberrecht.
Also, Kapitulation vor dem Unrecht? Es klingt fast so wie das, was Lawrence Lessig sagt, der Harvard-Professor und Guru einer freien Netzkultur. Im "Handelsblatt" schreibt er: Der Urheberrechts-krieg sei "heillos gescheitert". Denn es sei ein Krieg ums falsche Gesetz: "Die Architektur der Urheberrechtsgesetzgebung, die jetzt dem Internet aufgezwungen wird, wurde für ein völlig anderes Zeitalter und eine andere Technologie geschaffen."
Es sei, so der Professor, einfach die falsche Strategie, ein Entlohnungssystem für Künstler zu erzwingen, "indem man die Kopien reglementiert". Denn im Netz sei alles Kopie. Im digitalen Zeitalter habe das ebenso "viel Sinn wie die Strategie, Treibhausgase in den Griff zu bekommen, indem man das Atmen reglementiert".
Etwas schrill, wie immer, aber im Kern hat er recht. In der analogen Welt hatte das Urheberrecht es leicht. Die flüchtigen geistigen Schöpfungen waren untrennbar mit beweglichen Dingen verbunden, mit Büchern, Platten oder Filmrollen.
So war Kultur marktfähig. So stand für die Verwertung der Werke und die Entlohnung der Künstler das ganze rechtliche Instrumentarium der bürgerlich-kapitalistischen Weltordnung zur Verfügung. Wer ein Buch lesen will, muss es kaufen oder ausleihen, wer es stiehlt, wird wegen "Wegnahme einer fremden beweglichen Sache" als Dieb behandelt. Das Kopieren, Tauschen, Weitergeben von Dingen war ohnehin kein Rechtsproblem: Viel zu groß waren die Qualitätseinbußen und die Transaktionskosten, als dass daraus ein Massenphänomen hätte werden können.
Im Internet nun muss das Urheberrecht mit sich selbst fertigwerden. Die Rechtsordnung hält für das, was da passiert, keine schützenden Instrumente bereit. Im Netz zeigen sich die Probleme, die es bei der Vermarktung so flüchtiger Güter wie Ideen und Informationen gibt.
Da ist es nur von rhetorischem Wert, sich an die alte Marktordnung zu klammern. Wieso Diebstahl? Es kommt ja nichts weg im Netz, es wird sogar immer mehr.
"Wenn es etwas gibt, was sich nun überhaupt nicht als Eigentum eignet, dann ist es, was man Ideen nennt. In dem Moment, in dem sie hervorgebracht sind, gelangen sie durch eigene Kraft in den Besitz von jedermann." Das hat kein Pirat gesagt, sondern der amerikanische Gründungsvater Thomas Jefferson im Jahr 1813. Seine Erkenntnis hatte zu einer Formulierung in der US-Verfassung geführt, die bis heute Grundlage des amerikanischen Copyright ist: "Für den Fortschritt der Wissenschaft und der nützlichen Künste" könne der Kongress Gesetze machen, die "für begrenzte Zeit den Autoren und den Erfindern ein exklusives Recht sichern".
Das Urheberrecht muss sich ändern
Das Copyright sollte ein Anreiz für Autoren und Wissenschaftler sein, im öffentlichen Interesse des Fortschritts das Publikum mit Ideen zu versorgen. Auch im kontinentalen Europa stand in der Geschichte des Urheberrechts stets das Interesse der Öffentlichkeit an klugen Werken und wissenschaftlichem Fortschritt im Raum. Dass der Vertrieb von Liedern und Texten so etwas wie das Privatinteresse der Autoren sei, kam erst in der Französischen Revolution auf - die Aufständischen von Paris erfanden das "geistige Eigentum" wie alle bürgerlichen Freiheitsrechte als Abwehrrecht gegen die Bevormundung durch den Absolutismus. Erst im deutschen Idealismus dann entstand die Figur der Urheberpersönlichkeit, die um ihrer selbst willen zu schützen sei.
Nun hat sich kürzlich die wichtigste deutsche Instanz für dieses Gebiet, das Münchner Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum und Wettbewerbsrecht umbenannt: Jetzt geht es nur noch um "Immaterialgüterrecht".
Die Namenskosmetik signalisiert eine Wende: Das Urheberrecht muss sich ändern. Das Pochen auf das Eigentum aus der Welt der beweglichen Dinge führt nicht weiter. "Eine offene gesellschaftliche Diskussion über die Möglichkeiten und Grenzen technischer Lösungen" zum Urheberschutz im Netz forderte 2011 die Enquetekommission des Bundestags. "Sinnvoller", so mahnt der Experte Thomas Hoeren, "als eine weitere Verschärfung der jetzigen Rechtslage wäre eine grundsätzliche Reform des Urheberrechts."
Ganz grundsätzlich: "Warum Urheberrecht?", lautet der provokante Titel eines Werkes von Gerd Hansen. Er erklärt: Das Urheberrecht könne seine "Legitimationskrise" nur überwinden, wenn es eine neue "Balance" zwischen dem öffentlichen Interesse des Publikums an Kultur und dem berechtigten Wunsch der Kulturschaffenden an der Finanzierung ihrer Arbeit finde. Sogar die Politik stimmt zu, ein Positionspapier der SPD-Bundestagsfraktion, das in der vergangenen Woche verbreitet wurde, spricht vom nötigen Ausgleich der Interessen.
Doch wie könnte der aussehen? Das Nachdenken hat gerade erst begonnen. Balance-Theoretiker wie Hansen fordern eigenständige Rechte für User, sich im Internet zumindest da ohne Erlaubnis zu bedienen, wo es niemandem wirtschaftlich schadet.
Die Idee des "fair use" kommt aus den USA: Diejenigen Eingriffe ins Urheberrecht sind danach zulässig, die keinen Schaden anrichten oder die zu verbieten unverhältnismäßig wäre.
So eine pragmatische Lösung ist mit dem deutschen Rechtsdenken nur schwer vereinbar. Sie trifft aber ziemlich genau eines der zentralen Argumente der User-Gemeinde. "Warum ist es illegitim, wenn jemand aus dem Netz amerikanische Fernsehserien herunterlädt, solange er sie hier ohnehin nicht legal erwerben kann?", argumentiert etwa Ulf Buermeyer, ein Berliner Netzaktivist, im Hauptberuf Strafrichter.
Ebenso wenig ist nach Ansicht vieler Experten die Kriminalisierung der im Netz üblichen künstlerischen Weiterverarbeitung fremder Werke - "Remix" und "Mashup" - zu rechtfertigen.
Pragmatische Lösungen für einen Interessenausgleich mahnt auch die Mehrheit der Bundestags-Enquetekommission an. Man müsse "danach fragen, in welchen Fällen ein Ausschließlichkeitsrecht erforderlich ist und wo es genügt, die wirtschaftliche Beteiligung des Urhebers zu sichern".
Diese Vergütungslösung hat sich bei Zweitverwertungen von Werken teilweise auch schon durchgesetzt. Verwertungsgesellschaften wie die Gema kassieren für Verwendung von urheberrechtlich geschützten Werken am Eigentumsrecht vorbei: Jeder darf ohne Erlaubnis Musik spielen, wenn er einen Obolus dafür an die Gema zahlt. Jeder darf den SPIEGEL am Kopierer vervielfältigen: Den Obolus dafür kassiert über den Copyshop oder per Geräteabgabe die VG Wort.
So ist es naheliegend, auch die Kopiererei im Netz - zumindest, soweit es um anderweitig bereits vermarktete Werke geht - vom großen Verbot des Urheber-Eigentumsrechts zu befreien und stattdessen nach einer schlanken Vergütungslösung zu suchen.
Am weitesten bei der Suche sind bislang die Grünen. Die Bundestagsfraktion arbeitet an einem Modell einer Internet-Flatrate für das private Herunterladen von Filmen und Musik. Der Netzexperte Notz: "Das könnte zumindest ein Baustein eines neuen Vergütungssystems sein." Das Rechenexempel der Erfinder: Schon eine Monatsrate von fünf Euro pro Breitbandanschluss würde bei knapp 30 Millionen Anschlüssen eine Milliardensumme im Jahr bringen. Zu verteilen wäre die mit überschaubarem Zusatzaufwand über die Verwertungsgesellschaften.
Es könnte gehen - zumindest juristisch. Der Saarbrücker Medienrechtler Alexander Roßnagel hat in einem Gutachten die verfassungsrechtlichen und europarechtlichen Probleme untersucht und kommt zu dem Ergebnis: "Keine Bedenken".
Doch der Widerstand gegen Flatrate-Modelle ist groß. Auch die SPD lehnt in ihrem Grundsatzpapier so eine Lösung ab: Das "würde zu einer erheblichen Belastung derjenigen führen, die das Internet nur in geringem Umfang nutzen". Roßnagel weist die Bedenken zurück: Der Tarif könne ja differenziert werden nach Geschwindigkeit des Internetzugangs.
Auch das gängige Gegenargument, ein legalisierter Download gegen Pauschale würde zu Erlöseinbrüchen bei den etablierten Bezahlangeboten wie iTunes führen, weisen viele Experten zurück. Jetzt und auch in Zukunft gebe es genügend Publikum im Netz, das ein stilvolles Komfortangebot für ein paar Extra-Euro dem möglicherweise virenverseuchten Schmuddelkram aus den privaten Tauschbörsen vorzieht.
Netzpolitiker Notz erlebt derweil ein "richtiges Bashing", wenn er Vertretern der Urheberrechtsindustrie grüne Ideen vorschlägt: "Dabei sind wir es doch, die den Urhebern zu einer besseren Vergütung verhelfen wollen."
So wird weiter nachgedacht. Mit der neuen Balance im Urheberrecht wird es dauern. Derweil werden weiter Tag und Nacht mit großer Datenbandbreite ausgerüstete Internetdetektive durchs Netz surfen und Dossiers füttern über Oberschüler, die das Urheberrecht mit ihrer Maus verletzen. Personal für den Drei-Schichten-Betrieb gibt's genug: Musiker, die dringend ein bisschen Geld brauchen.