USA unter Donald Trump Die amerikanische Gesellschaft zerfällt

Trump-Anhängerin 2016 in Burlington: "Wir werden dieses Land übernehmen"
Foto: UllsteinAn einem eisigen Januarabend vor einem Jahr stand ich in der Kleinstadt Burlington, Vermont, in einer Schlange von 1000 Menschen, um Donald Trump zu sehen. Ich habe 1991 meine erste Geschichte in den USA recherchiert und lebe seit 2013 in Washington, ich dachte, das Land zu kennen. Aber an diesem Abend stellte ich fest, dass ich mich geirrt hatte.
Burlington lag unter einer Schneedecke, neben mir warteten eingehüllt in dunkelblaue Fellparkas Mary und Tim Loyer. Mary war arbeitslos, ihr Sohn Tim jobbte in einer Kneipe. Die beiden erzählten, dass sie Anhänger von Bernie Sanders seien. Tim erklärte, ihn störe die Macht der Konzerne, die Verteilung des Wohlstands sei ungerecht, Menschen wie er hätten keine Chance mehr auf ein besseres Leben. Es war der Sound der Arbeiterklasse.
Was sie an Trump fasziniere? "Bernie und Trump sind die einzigen Politiker, die sagen, was sie denken, und machen, was sie sagen", sagte Tim. Mary nickte. Hillary Clinton hingegen sei korrupt, bei einer Wahl zwischen Trump und Clinton werde er nicht für Clinton stimmen, sagte Tim. Mary nickte erneut. Am Eingang tasteten uns die Sicherheitsleute ab und fragten, ob wir Trump wählen würden. Nur wer bejahte, durfte passieren.
Als Trump zu reden begann, erhob sich ein Demonstrant und schrie, Trump sei ein Rassist. Trump hielt inne, schüttelte seine Faust und forderte seine Bodyguards auf, den Demonstranten rauszuschmeißen. "Gebt ihm nicht seinen Mantel", brüllte er, "lasst ihn frieren." Draußen waren es sechs Grad unter null. Trump fletschte die Zähne, seine Fans sprangen auf und johlten. Lynchstimmung lag in der Luft.
An dem Abend in Burlington habe ich drei Dinge gelernt: Im Mutterland des Kapitalismus ist die Wut auf die Eliten so groß, dass selbst Linke lieber einen narzisstischen Milliardär wählen als eine Vertreterin des Polit-Establishments. In einer Nation, die Meinungsfreiheit so hoch hält wie kaum ein anderes Land, gibt es jetzt Gesinnungstests. Und viele der sonst so höflichen Amerikaner wirken wie entfesselt, wenn es gegen Andersdenkende geht.
All das, was ich mit Amerika verband, schien an diesem Abend nicht mehr zu gelten. Was ist mit dieser einst so stolzen Nation geschehen?
Die Antworten auf diese Frage finden sich auf einer Reise durch die amerikanische Gesellschaft, in Vermont und Maryland, in Rhode Island und Virginia. Es sind einige der Orte, die ich in den vergangenen vier Jahren besucht habe, an denen sich Symptome zeigen, die sich zu der großen Krise verdichten, die Amerika erfasst hat. Dieses selbstbewusste Land, das über Jahrzehnte mit imperialer Hybris seine Werte exportierte, hat seine Identität verloren. Der demokratische Kapitalismus funktioniert nicht mehr gut genug, um eine Nation von 325 Millionen Menschen zusammenzuhalten und ihr inneren Frieden zu schenken.
Diese Krise trifft nicht allein die Vereinigten Staaten, sie hat auch Großbritannien, Frankreich, Deutschland und andere Länder erfasst. Amerika aber, wo der Kapitalismus blühte wie nirgendwo sonst, ist am tiefsten von allen Ländern in die Identitätskrise gerutscht.
Das Geheimnis des Erfolgs war, dass die Gesellschaft nicht nur von einer der freiheitlichsten Verfassungen der Welt zusammengehalten wurde, sondern auch von einem Aufstiegsversprechen, dem American Dream. Daraus erwuchs eine vor Kraft strotzende Nation, für die es kaum Grenzen zu geben schien. Amerikas Antlitz war manchmal schön und manchmal hässlich, aber es war stets das eines Landes, an dem die Welt sich orientierte. Amerika führte und strahlte.
Dem Amerika von heute fehlt der Glaube an die eigene Überlegenheit. Es hat sich zu einer regressiven Nation entwickelt, die sich nach innen kehrt. Wer Washington verlässt und über das Land fährt, der kann spüren, dass zwischen Alabama und Alaska der amerikanische Traum verloren gegangen ist. Amerika führt und strahlt nicht mehr.

Im Wahlkampf, an Abenden wie jenem in Burlington, hat Trump dies mit seinem diabolischen Instinkt für Stimmungen erfasst und auf eine Formel gebracht, die die Herzen vieler Amerikaner erwärmt hat: "America First". Trump ist Amerikas Projektionsfläche für die Sehnsucht nach einer neuen Identität, er hat ein Lagerfeuer für jene weiße Mehrheit angezündet, die noch immer zwei Drittel der Bevölkerung ausmacht. Viele von ihnen fühlen sich inzwischen als Fremde im eigenen Land. Vor allem aber hat er das Versprechen gegeben, dieser verunsicherten, suchenden Gesellschaft Größe und Werte zurückzugeben. "Make America Great Again".

NSA-Signet: Arroganz der Macht
Foto: Corbis Historical/ Getty ImagesFort Meade: Ein Besuch bei der NSA
Meine Zeit in Amerika begann mit Edward Snowdens Abtauchen - mit jenem Mann, der Amerikas Spionagemaschinerie enthüllt und das Land blamiert hat. Mit der zweiten amerikanischen Figur also, die neben Donald Trump die Diskussion der vergangenen Jahre geprägt hat. Im Juni 2013, als wir uns beim SPIEGEL gerade durch Snowdens Dokumente gearbeitet hatten, schickte ich eine Bitte um ein Hintergrundgespräch an das Weiße Haus, so wie wir es in Berlin, Paris und anderswo tun. Die Mail wurde im Weißen Haus und bei den Geheimdiensten gelesen, doch es geschah: nichts. Als die SPIEGEL-Titelgeschichte weltweit Wellen schlug, rügte ein Sprecher des Weißen Hauses, es handle sich um "unautorisierte Veröffentlichungen", die man verurteile. Man kann es auch Pressefreiheit nennen.
In der nächsten Woche das gleiche Spiel: Bitte um ein Hintergrundgespräch, diesmal immerhin eine Antwort von Caitlin Hayden, damals Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrats: "Unser Team im Weißen Haus hat diese Woche keine Zeit, sich in dieser Angelegenheit zu treffen." Das Spiel ging monatelang so weiter, es war eine Demonstration der Arroganz der Macht.
Ein paar Monate später erklärte mir Michael Hayden, der ehemalige Chef der NSA, warum das Weiße Haus das Gespräch verweigert habe: Viele amerikanische Journalisten könne man mit Druck beeinflussen - bei ausländischen Journalisten sei das schwierig.
So ist Washington, so waren auch Barack Obama und seine Regierung. Es gibt in dieser Stadt einen Verhaltenskodex für alle Beteiligten, Washington ist zum Synonym für eine symbiotische, ungesunde Nähe von Politik, Wirtschaft und Medien geworden.
Nach mehreren Monaten lud mich die NSA im Winter 2013 schließlich in ihre Zentrale nach Fort Meade, Maryland, ein, eine Autostunde vom Weißen Haus entfernt, die Geheimdienstler wollten mir eine Veröffentlichung ausreden. Die Fassade des NSA-Hauptgebäudes ist mit Tempest-Glas verkleidet, das die Abstrahlung elektromagnetischer Wellen verhindern soll: In der achten Etage residiert der allmächtige Direktor, dem, Zeichen seiner Bedeutung, der erste der Fahrstühle exklusiv zur Verfügung steht.
Die Herren, die auf mich warteten, stellten sich nur mit Vornamen vor (Mike, Frank), es entwickelte sich kein besonders ergiebiges Gespräch, weil jede zweite Antwort unter die Geheimhaltungsvorschriften gefallen wäre. Wenn Mike redete, guckte Frank argwöhnisch. Wenn Frank redete, guckte Mike misstrauisch.
Die NSA-Affäre zeigt Amerikas Stärken und Schwächen zugleich, es geht nicht nur um Kontrolle, sondern auch um den Kontrollverlust des Staates. Das mächtigste Land der Welt wird vorgeführt von einem idealistischen jungen Mitarbeiter, der den Überwachungswahn bloßstellt.
Heute wirkt die Affäre, als stammte sie aus einem anderen Jahrhundert, dem Prä-Trump-Zeitalter. Obama erlegte seinem Sicherheitsapparat als Reaktion auf Snowden Einschränkungen auf. Trump dagegen hat eine gnadenlose Jagd auf tatsächliche und vermeintliche Terroristen angekündigt und versprochen, die Geheimdienste von Restriktionen zu befreien. Es geht nicht mehr um die Rechte des Einzelnen, die Snowden thematisiert hatte, sondern um den starken Staat, den Trump verspricht.

Obama-Fans mit Obama-Hand 2008
Foto: REUTERS / JESSICA RINALDI/ ReutersWashington: Auf Amerikas Straßen
Zu den populärsten Tiraden Trumps gehört jene über Amerikas Flughäfen, die sich auf dem Niveau der Dritten Welt befänden.
Und Trump hat recht. Amerikas Straßen haben tiefe Löcher, die Flughäfen atmen den Charme der Siebzigerjahre, und alle paar Wochen reißt ein umfallender Baum die überirdischen Stromleitungen mit sich, was zu stundenlangen Stromausfällen führt. Das moderne Amerika ist zugleich das Land des iPhones und des Schlaglochs. Über ihm liegt nicht nur der Glanz der Zukunft, sondern auch der Modergeruch der Vergangenheit.
In den vier Jahren, die ich in Washington gelebt habe, musste ich drei Sätze Reifen austauschen. Das erste Mal fuhr ich auf einer Parkstraße in ein großes Loch, das der Frost in den Asphalt gesprengt hatte. Beim zweiten Mal hatten Bauarbeiter eine Durchgangsstraße aufgerissen und Tausende Nägel verschüttet, bevor sie sich ins Wochenende verabschiedeten. Beim dritten Mal war eine Straße übersät mit spitzen Metallstücken, die dort wochenlang herumlagen. Die Stadt Washington hat ein eigenes Bürgeramt eingerichtet, bei dem man einen Antrag auf Reifenersatz stellen kann, so hoch ist der Verschleiß.
Bei seinen Reden spricht Trump ein Gefühl der Dysfunktionalität des Gemeinwesens an, das sich überall beobachten lässt. Im Sommer 2013 saß ich auf dem Amt, um meinen Führerschein zu beantragen, dem in den USA als Ausweisersatz besondere Bedeutung zukommt. Vor mir thronte eine Sachbearbeiterin, die desinteressiert durch meine Unterlagen blätterte. Sie blickte mich an und trug mit stoischer Miene ein "F" wie "Female" in der Kategorie Geschlecht ein. Seitdem bin ich für die amerikanische Bürokratie eine Frau.
Von einem modernen Staat erwarten die meisten Menschen ein Mindestmaß an Funktionsfähigkeit. Aber die Konservativen und Neoliberalen haben in den vergangenen 30 Jahren systematisch daran gearbeitet, den Staat, der ihnen als sozialistische Zwangsverwaltung galt, zu zerstören. Sie haben Amerika schwach gemacht.
In den USA ist ein anderes Staatsverständnis überfällig. In einer unübersichtlichen Welt, in der alles mit allem zusammenhängt, müsste das Schutzkonzept des Staates eine Renaissance erfahren, es brauchte einen aufgeklärten, ertüchtigten Staat. Trump ist einer der wenigen Konservativen, die das erspürt haben.

Rhode Island: Wie denkt Trump?
Um Trump zu verstehen, fuhren mein SPIEGEL-Kollege Matthias Gebauer und ich im Juni 2016 an die Atlantikküste nach Rhode Island, in den kleinsten Bundesstaat der USA. Am Ende des Ortes Middleton liegt das Sommerhaus von Michael Flynn, 58. Er war mal Chef des Militärgeheimdienstes DIA, bis er sich mit Obama überwarf und 2014 gefeuert wurde. Im Herbst 2015 lud Trump ihn nach New York ein, inzwischen hat Trump ihn als Nationalen Sicherheitsberater berufen. Neulich haben die beiden darüber geredet, wie es wohl wäre, wenn es einen Krieg zwischen China und den USA gäbe. Wer dem General zuhört, erhält einen Eindruck davon, wie das neue Amerika denkt.
Flynn empfing uns auf der Terrasse seines holzvertäfelten Sommerhäuschens, die Dünung des Atlantiks brach sich an den Felsen der Küste von Rhode Island. "Die Bedrohungen des 21. Jahrhunderts tragen nicht nur das Gesicht von Wladimir Putin oder (dem IS-Chef -Red.) Abu Bakr al-Baghdadi", sagte Flynn. "Eine der größten Bedrohungen für uns ist die wirtschaftliche Herausforderung." Flynn war entspannt an diesem Morgen, er trug Jeans und Badelatschen. In der DIA war er als harter Hund gefürchtet. Die USA seien an der Belastungsgrenze, sagte er, alles müsse auf den Prüfstand, vor allem die Kosten für das Militär: "Wer bezahlt dafür?"
Die Frage könnte das Leitmotiv der neuen Regierung sein. Für Trump ist alles ein Geschäft, Wirtschaftspolitik, Bildungspolitik, Außenpolitik. In den eineinhalb Stunden, die wir mit Flynn redeten, war von gemeinsamen Werten des Westens und der Solidarität von Staaten nicht die Rede. Für Trump und Flynn ist Außenpolitik eine verlängerte Innenpolitik, sie denken Aleppo nicht ohne Alabama. Ihr Weltbild besteht aus einer irritierenden Mischung aus Größenwahnsinn und Kleingeistigkeit, sie wollen neue Atombomben bauen, aber die Welt sich selber überlassen. Sicher ist, dass Alabama für sie vor Aleppo kommt.
Die trumpsche Diplomatie, sagte Flynn, funktioniere ganz einfach: "Sie starten in jede Verhandlung so hoch und so hart, wie man überhaupt nur starten kann. Und dann beginnen Sie zu verhandeln." Die Welt wird damit leben müssen, dass in Washington ein ebenso begnadeter wie brutaler Verhandler sitzt, der sich alle Optionen offenhält und bei dem nicht mehr klar ist, für welche Werte er steht.
Flynn flog neulich nach Moskau, bei einem Abendessen im Kreml saß er neben Putin, er schien sich sehr wohl zu fühlen. Man müsse Putin respektieren, erklärte er uns auf der Terrasse in Rhode Island. "Er ist ein globaler Anführer und wird für die USA in bestimmten Fragen ein verlässlicher Partner sein." Als wir uns verabschiedeten, rief uns Flynn hinterher: "Es wird ein Erdrutschsieg für Trump, glauben Sie mir. Wir werden dieses Land übernehmen." Ich gebe zu, ich habe milde gelächelt.
Virginia: Der Toilettenkrieg
Zu den vielen Kriegen, die Amerika angezettelt hat, ist im vergangenen Jahr ein weiterer hinzugekommen: der Toilettenkrieg. Er geht, verkürzt gesagt, darum, wer in welches Becken pinkeln darf. Aber wie so oft, wenn in den Vereinigten Staaten gestritten wird, geht es dabei auch um eine der großen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen: die Identität des Einzelnen und die Frage, wer sie definieren darf. Niemand verkörpert das Problem so sehr wie Gavin Grimm, 17.
Sie nennen ihn "das neue Gesicht der Transgender-Bewegung". Aber als Grimm an einem sonnigen Dienstag im Juni 2016 im Schlafanzug die Treppe seines Elternhauses in Glouchester, Virginia, hinunterschlurfte und mich begrüßte, sah er vor allem zerknittert aus.
Grimm hat ein pausbäckiges Gesicht, verwuschelte Haare und einen Oberlippenflaum, seine Stimme klingt kratzig, nach Stimmbruch. Das liegt an den Hormonen, die er seit einiger Zeit nimmt. Grimm war früher ein Mädchen, das mit den Jungs raufte, ins Baseballteam wollte und abends im Bett weinte, weil es sich im falschen Körper gefangen fühlte. Am Morgen seines 15. Geburtstags eröffnete Grimm seiner Mutter, dass sie eine Geschlechtsumwandlung vornehmen oder sterben wolle.
Grimms Schule, die Glouchester High School, liegt außerhalb des Ortes, an Kornfeldern und Farmhäusern vorbei geht es eine Allee entlang. Amerika ist hier sehr ländlich und sehr konservativ. Der Direktor war eine Ausnahme, er erlaubte Grimm, die Jungstoilette zu benutzen.
Das christliche Amerika hat Trump gewählt, um sich die Hegemonie zurückzuerobern.
Doch dann erstattete jemand Anzeige, die Aufsichtsbehörde schaltete sich ein und untersagte Grimm die Nutzung der Toilette. Grimm nahm sich einen Anwalt, sein Fall ging durch die Instanzen und wird nun vor dem Supreme Court verhandelt, dem obersten Gerichtshof der USA. Der Toilettenkrieg ist eine weitere Front im Kulturkampf um die Zukunft des Landes.
Noch immer hängen 70 Prozent der Amerikaner dem christlichen Glauben an, gut 80 Millionen zählen wie Trumps Vizepräsident Mike Pence sogar zu den streng religiösen Evangelikalen, die zum Teil nicht an die Evolutionstheorie glauben, sondern daran, dass Gott die Erde erschaffen hat. Für radikale Christen sind Menschen wie Grimm krank, weil sie sich ihrer gottgegebenen Bestimmung widersetzen. Die örtliche Gemeinde der Baptisten drohte Grimm, er werde auf ewig in der Hölle schmoren. "Der Macht der Kirche zu widerstehen ist nicht leicht", sagt Grimm.
An Orten wie Glouchester findet ein Ringen des weißen, gläubigen Teils Amerikas mit dem säkularen, weltoffenen Teil statt. In den vergangenen Jahrzehnten ist der Einfluss der Christen stetig gesunken, die christliche Leitkultur ist einer multikulturellen Gesellschaftsordnung gewichen. Das christliche Amerika hat die kulturelle Hegemonie an Leute wie Barack Obama und Gavin Grimm verloren. Es hat Trump und Pence auch deshalb gewählt, um sich diese Hegemonie zurückzuerobern.
Ein Ausblick
Es stimmt ja, dass es so nicht weitergehen konnte. Natürlich war es falsch, dass Hillary Clinton für drei Reden vor Wall-Street-Bankern 675.000 Dollar kassierte, während jeder zweite Amerikaner sagt, er wisse nicht, wie er eine unerwartete Rechnung über 400 Dollar bezahlen würde. Und sicher ist etwas in Schieflage, wenn die sechs reichsten Amerikaner (Bill Gates, Larry Ellison, Warren Buffett, Jeff Bezos, Mark Zuckerberg, Mike Bloomberg) annähernd so viel Vermögen besitzen wie die ärmere Hälfte der gesamten Menschheit.
Trump hat den Amerikanern ein faszinierendes Experiment versprochen und ist dafür mit dem wichtigsten Amt der Welt belohnt worden: Er versucht mit der Autorität eines harten Verhandlers, Firmen wie Ford oder BMW zu Investitionen in den USA zu zwingen. Er bricht mit den Gesetzen des Marktes und versucht, den Kapitalismus mit dessen eigenen Waffen zu schlagen. Kann das gut gehen?
Die Börse jubelte, zumindest anfangs, die Zustimmung vieler Amerikaner ist Trump gewiss. Aber andere Länder werden zurückschlagen, aus internationalen Partnern werden Rivalen, ein großer Konflikt mit China zeichnet sich ab. Auf Trumps Schlachtfeldern werden keine Eroberungs-, sondern Wirtschaftskriege gefochten.
Im Video: Was ich am meisten vermissen werde
SPIEGEL-Korrespondent Holger Stark hat vier Jahre aus Washington berichtet - bevor er die US-Hauptstadt nun verlässt, zeigt er im Video, was ihm am meisten fehlen wird.
Der neue Präsident spricht von der Einigung der Gesellschaft, aber sein Siegeszug beruht auf ihrer Spaltung. Trump spielt gesellschaftliche Gruppen gegeneinander aus. Die Identität, die er Amerika verordnet, ist die der Fünfzigerjahre, als die weißen Männer Straßenkreuzer fuhren und die Frauen Petticoat trugen. Die Stimmung, die Trump erzeugt, macht Menschen wie Gavin Grimm klein, um Leuten wie Mary und Tim Loyer das Gefühl zu geben, sie könnten groß werden. Das Land ist auf dem Weg zurück in die Zukunft.
In dieser Woche kamen neue Zahlen, danach ist eine Mehrheit der Amerikaner mit Obamas Amtsbilanz zufrieden. Zugleich haben die Amerikaner Trump zu seinem Nachfolger bestimmt. Amerika, du bist nicht immer leicht zu verstehen.
Gavin Grimm will der Provinz und den religiösen Eiferern entfliehen, auf der Suche nach mehr Freiheit. Tim Loyer wird hoffen, dass Trump ihm einen neuen Arbeitsplatz verschafft. Mike Flynn wird jetzt Amerikas Zukunft mitbestimmen.
Die drei leben in unterschiedlichen Welten, sie hätten sich nicht viel zu sagen. Was unter George W. Bush begann und unter Obama fortschritt, wird auch unter Trump nicht aufhören: der Zerfall einer Gesellschaft, die nicht mehr die Kraft besitzt, sich in den großen Fragen dieser Zeit zu verständigen.