Supersprinter Usain Bolt Lok of Jamaica

Experten rätseln schon lange, wie Sprint-Superstar Usain Bolt seine Gegner bezwingt. Jetzt haben deutsche Sportwissenschaftler herausgefunden: Seine Technik lässt sich mit einer Lokomotive vergleichen.
Sieger Bolt bei den Olympischen Spielen in Rio: Schmale Hüften, kräftige Sehnen

Sieger Bolt bei den Olympischen Spielen in Rio: Schmale Hüften, kräftige Sehnen

Foto: Laci Perenyi/ Imago Sport

Für die Einwohner der Karibikinsel Jamaika ist Usain Bolt schon lange ein Volksheld. Ein Abbild des erfolgreichsten Sprinters aller Zeiten wird ab kommendem Jahr als Statue am Nationalstadion der Hauptstadt Kingston stehen. Am Unabhängigkeitstag des Landes wird das Denkmal zu Ehren des neunmaligen Olympiasiegers enthüllt.

Bolt ist einzigartig, auch weil er es wie kein anderer schafft, rechtzeitig zu großen Meisterschaften topfit zu sein und dort allen Konkurrenten davonzurennen - was außerhalb von Jamaika schon des Öfteren Anlass von Doping-Unterstellungen war.

Biomechaniker der Deutschen Sporthochschule Köln haben jetzt das Rätsel Bolt gelöst - zumindest teilweise. Denn Schnelllaufen ist gar nicht so einfach, wie es klingt - und wie es bei Bolt aussieht. Sprinter aus Jamaika haben sich einen speziellen Laufstil angeeignet. Sie haben ihre Technik immer weiter perfektioniert, und das Vorbild für alle ist eben der Weltrekordler.

"Als eines der ersten Sportwissenschaftlerteams konnten wir acht jamaikanische Spitzenathleten vermessen", sagt Steffen Willwacher, Biomechaniker der Sporthochschule Köln. Das war im Rahmen einer Studie, in der unterschiedliche Starttechniken untersucht wurden. Die Kölner haben die Ergebnisse nun in dem Fachmagazin "Plos One" veröffentlicht. In der Studie werden 161 Spitzenathleten miteinander verglichen - schwarze und weiße, gesunde und Paralympics-Sieger, darunter auch der Vorläufer Bolt. Fachleuten wie Willwacher war schon länger klar, dass die Jamaikaner eine spezielle Sprinttechnik bevorzugen. Nur worin der Unterschied zu anderen bestand, war nicht detailliert bekannt. Bis jetzt.

Die Technik früherer Sprinter ist vergleichsweise hölzern. Je mehr Muskelmasse, desto besser, lautete die Maxime. "Das hintere Bein wurde beim Abdruck so stark wie möglich durchgestreckt", sagt Willwacher, "um dann den Fuß so weit wie möglich nach vorn zu schleudern."

Der Laufstil moderner Sprinter wirkt dagegen wesentlich flüssiger. Die Athleten strecken das Abdruckbein nicht mehr richtig durch, das Knie reißen sie dagegen vorn hoch und setzen den Fuß nur noch ganz kurz auf. "Die frühere Lehrmeinung war, dass die eigentliche Arbeit hinter dem Rumpf geleistet wird", erklärt Willwacher, "heute konzentriert man sich mehr auf das, was vor dem Rumpf passiert."

Die Beine ziehen quasi wie eine Lokomotive den Körper nach vorn. Und niemand macht das so gut wie Bolt - in durchschnittlich 41 Schritten ist er über 100 Meter im Ziel, in seinem besten Lauf brauchte er dafür wenig mehr als neuneinhalb Sekunden.

Diese Technik haben sich inzwischen auch deutsche Sprinter mit einigem Erfolg abgeschaut. Brauchte der deutsche Meister Julian Reus früher 10,30 Sekunden für 100 Meter, so konnte der Mann aus Wattenscheid in diesem Jahr seine Bestzeit bis auf 10,01 herunterschrauben.


Im Video: Bolt - der Film
Usain Bolt ist der schnellste Mann aller Zeiten. Nun kommt ein Film über ihn in die Kinos, der ihn nicht nur als Sportler, sondern auch sehr persönlich zeigt.

kicker.tv

Klaus Mattes von der Universität Hamburg hat mit seinem Team ein Technikmodell entwickelt, mit dem der Erfolg von Laufstilen berechnet werden kann. "Tatsächlich fanden sich bei Topathleten klare Zusammenhänge zwischen der individuellen Sprinttechnik und der Maximalgeschwindigkeit", sagt Mattes, dessen neueste Ergebnisse demnächst im "Journal of Biology of Exercise" publiziert werden.

Entscheidend sei eine gewisse Leichtigkeit beim Sprint, erläutert Mattes: "Wichtig ist, dass sich die Muskulatur schlagartig entspannt, um keinen Schwung zu verlieren." Sobald der Läufer das Knie nach oben gerissen hat, muss er seinen Fuß wieder auf den Boden peitschen, dann zieht er ihn sofort nach hinten, was den eigentlichen Vortrieb erzeugt. "Ziel der Sprintausbildung ist ein möglichst kurzer und heftiger Bodenkontakt", sagt der Sportwissenschaftler.

Kein Deutscher scheint das so gut zu beherrschen wie Reus. Dass er irgendwann einmal in den Bereich von Bolt kommen kann, ist dennoch so gut wie ausgeschlossen. Denn neben der Sprinttechnik spielt auch die Genetik eine wichtige Rolle.

Einige Sportwissenschaftler glauben, mittlerweile eine Reihe physiologischer Unterschiede zwischen schwarzen und weißen Topsprintern gefunden zu haben, die durch Training nur schwer zu verändern sind. "Nachfahren von Westafrikanern haben im Schnitt mehr Muskelmasse", sagt Michael Behringer, Trainingswissenschaftler an der Sporthochschule Köln, "außerdem haben sie oft mehr schnelle Fasern als weiße Athleten - ein Vorteil in den Sprintdisziplinen."

Hinzu kommen schmalere Hüften, längere Beine, kräftigere Oberschenkel und schlankere Waden - sowie ein anderes "Übersetzungsverhältnis" im Fuß. "Das Verhältnis der Abstände von Achillessehne und Fußballen zum Fußgelenk spielt eine wichtige Rolle", sagt der Kölner Biomechaniker Björn Braunstein.

Wichtig sei zudem die Festigkeit der Sehne. Denn nur wenn die Achillessehne steif genug sei, habe der Athlet die Chance, die Kraft seiner Muskeln auch tatsächlich auf die Bahn zu bringen. Die weißen Europäer können ihre anatomischen Nachteile nicht ausgleichen, bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro war keiner von ihnen im Finale - aber sie wissen jetzt zumindest, warum sie hinterherlaufen.

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