Karl V. An die Grenzen der Macht

Im Reich von Kaiser Karl V. ging die Sonne nicht unter, so groß war es. Und doch spürte der Herrscher Ohnmacht. Eigenwillige Kurfürsten, ein launischer Papst, Geldnot und Krankheit hielten den Habsburger in Atem, dazu drei Gegner: Frankreich, die Osmanen und Martin Luther.
Von Mathias Schreiber
Tizians Porträt des alten Kaisers (1548) zeigt einen Zweifler mit letzter Energie

Tizians Porträt des alten Kaisers (1548) zeigt einen Zweifler mit letzter Energie

Foto: AKG

Karl der Große? Nein: "Karl der Größte". So wurde Kaiser Karl V. 1603 von einem seiner ersten Biografen genannt. Karl der Große war der erste, Karl V. "der letzte Kaiser des Mittelalters". So urteilt der Historiker Peter Rassow 1957 in seiner bedeutenden Biografie. Andere sehen in ihm den Kopf des ersten großen europäischen Expansionsstaates der Neuzeit oder gar einen Pionier der europäischen Idee.

Karl V. selbst - hierin beraten von seinem Großkanzler Mercurino Gattinara - sah sich als Erben des karolingischen Kaisertums und zugleich dessen Vollender. Er sollte das letztlich antike Imperium wiederherstellen, universalen Frieden schaffen und die Einheit der Christenheit sichern. So werde, schrieb Gattinara 1526, "das Heilige Römische Reich" den "alten Glanz" zurückerobern.

Auf einer ihm gewidmeten Gedenkmedaille des Jahres 1548 lesen wir: "Quod in celis sol / hoc in terra Caesar est" - was die Sonne am Himmel, ist der Kaiser auf Erden. Auf der Rückseite steht Karls Wahlspruch "plus ultra" - mehr und darüber hinaus, über alles hinaus.

Die abenteuerliche Zahl seiner offiziellen Titel signalisiert da eher unendliche Verstrickung, atemraubende Vielfalt und Unübersichtlichkeit der Befugnisse und Verpflichtungen: "Von Gottes Gnaden erwählter Römischer Kaiser, zu allen Zeiten Mehrer des Reichs, in Germanien, zu Spanien, beider Sizilien, Jerusalem, Ungarn, Dalmatien, Kroatien, der Balearen, der kanarischen und indianischen Inseln sowie des Festlands jenseits des Ozeans König, Erzherzog von Österreich, Herzog von Burgund, Brabant, Steier, Kärnten, Krain, Luxemburg, Athen, Graf von Habsburg, Flandern, Tirol, Fürst in Schwaben, Herr in Asien und Afrika ..." begann die schier endlose Aufzählung.

Neigung zur Völlerei und jede Menge Bier zum Frühstück

Immerhin blieb Europa das Zentrum, und es passt zum Bild des ersten großen Europäers, dass er in Gent bei Brüssel zur Welt kam - am 24. Februar 1500. Gent, Brüssel und zumal Antwerpen wurden damals vom burgundisch-niederländischen Adel und einem durch Handel (Tuchwaren, Wolle), Schifffahrt und Finanzgeschäfte selbstbewusst und wohlhabend gewordenen Bürgertum dominiert. Karl und zwei seiner Schwestern wuchsen in der Obhut ihrer Tante Margarete auf; untereinander sprachen sie Französisch, kaum Flämisch. Später lernte Karl noch Spanisch, auch Deutsch und Italienisch, die beiden letzten allerdings holprig. "Ich spreche Spanisch zu Gott, Italienisch zu den Frauen, Französisch zu den Männern und Deutsch zu meinem Pferd", soll er einmal gescherzt haben.

Im Schloss zu Mecheln, unweit von Brüssel, wurden tagelange Feste gefeiert, der Lebensstil war ritterlich-rustikal, aber man las auch Caesar und Augustinus, pflegte die neue Tafelmalerei, liebte Ritterromane und die Musik.

Karl sollte aus dem Leben am Mechelner Hof jedoch vor allem eine fatale Neigung zur Völlerei bewahren, was ihm später schwere Gicht und Diabetes mellitus einbrachte. Er liebte es, schon zum Frühstück jede Menge Bier zu trinken, und kaute aufgrund einer frühen Zahnschwäche so schlecht, dass er die Fleischbrocken oft nur herunterschlang.

Zeitgenossen beschrieben den jungen Mann als mittelgroßen, mageren, schwermütig wirkenden Menschen mit rotblonden Haaren, blasser Gesichtsfarbe, übergroßem Unterkiefer, hervorquellenden Augen sowie einem Mund, der meist offen stand. Er galt als kühl, verschwiegen, unbeweglich "wie eine Bildsäule" - und wenig intellektuell: Mehr als Bücher liebte er es, zu jagen, zu reiten und an ritterlichen Turnieren teilzunehmen.

Eine durch höfische Rituale überschattete Jugend

Kurz vor seinem 15. Geburtstag, am 5. Januar 1515, ging seine ohnehin durch mühsames Lernen, höfische Rituale und christliche Unterweisung überschattete Jugend jäh zu Ende: Er wurde für volljährig erklärt. Nun war er Herzog von Burgund, schon ein Jahr später, nach dem Tod seines dort herrschenden Großvaters mütterlicherseits, auch König von Spanien, genauer: der spanischen Kernländer Aragon und Kastilien, wozu allerdings damals auch die Königreiche Neapel und Sizilien, bald auch Spaniens Eroberungen in Amerika gehörten, von Mexiko bis Peru.

"Erlauchter Infant, Don Fernando, unser teurer und geliebter Bruder": In diesem steifen Ton schreibt der noch nicht einmal 16-Jährige an seinen drei Jahre jüngeren Bruder in Spanien, um ihm mitzuteilen, er werde jetzt, nach dem Tod des spanischen Großvaters, an ihm, Karl, "einen echten Bruder und Vater" haben. Es ist einer von rund 130.000 Briefen, die Karl bis zum Jahr 1558, seinem Todesjahr, verfasst hat - etwa 100.000 sind während der vergangenen Jahre in einer Datenbank an der Universität Konstanz erschlossen worden.

Die Brüder Karl und Ferdinand trafen sich zum ersten Mal im November 1517 in der Nähe von Valladolid. Karl war mit 40 Schiffen und fast 500 Begleitern losgesegelt. Eine strapaziöse Tour: Der richtige Hafen, an der Küste in Santander, wurde verfehlt, dann zwangen Nachrichten von der Verbreitung ansteckender Krankheiten im Lande zu weiten Umwegen. Immerhin erreichte man endlich Valladolid - und feierte das Treffen der Brüder sogleich mit einem großen Turnier. Dabei wurden etliche Ritter mit Lanzen und Schwertern verwundet, nicht weniger als zehn Pferde ließen ihr Leben.

Der Papst wurde zu Karls unfreiwilligem Wahlhelfer.

Bei dieser Gelegenheit begegnete der erwachsene Karl zum ersten Mal seiner gemütskranken Mutter Johanna der Wahnsinnigen, die in einem hinteren Teil des Schlosses von Tordesillas im Dämmerlicht saß. Was er da mit ihr gesprochen hat, ist nicht bekannt. Karl ist ihr, die noch bis 1555 lebte, stets mit Ehrerbietung und Fürsorge begegnet.

Burgunder und Spanier, das erwies sich schnell, hegten Misstrauen gegeneinander. Die Spanier klagten über mangelnden Takt, Habgier und Hochmut der Nordländer; die meisten seien bloß "rohe Anhänger der Venus und des Bacchus". Auf einen langen Forderungskatalog der Spanier reagierte Karl dann recht wohlwollend; er wollte sie für sich gewinnen. Erst im Mai 1520 verließ er mit seinem niederländischen Gefolge sein Land - ohne indessen Frieden oder gar Sympathien zu hinterlassen.

Wirklich versöhnte sich Spanien mit diesem Ausländer erst, als er 1526 im andalusischen Sevilla eine Märchenhochzeit mit der portugiesischen Prinzessin Isabella feierte und aus dieser Ehe ein Sohn, der spätere König Philipp II., hervorging. Karl hat Isabella wirklich geliebt. Die Briefe an sie beginnen mit der Anrede "Erlauchte Kaiserin ..." Als Isabella 1539 im Kindbett starb, zog sich Karl einige Tage in ein Kloster zurück, um mit seiner Trauer allein zu sein.

Obwohl die Fülle der Aufgaben und Probleme in den kaum übersehbaren Territorien der Habsburger es nahegelegt hätte, die anstrengende Regentschaft wenigstens mit dem Bruder zu teilen, lehnte Karl dergleichen zunächst ab. Erst nach 1521 gab er ihm die Zuständigkeit für die habsburgischen Erblande in Österreich (mit Böhmen), Ungarn und Süddeutschland, wobei er selbst, etwa im Kampf gegen die deutschen Lutheraner, allzeit oberste Instanz blieb.

Ringen um die Nachfolge von Maximilian I.

Im Jahr 1519 starb Kaiser Maximilian I., Karls anderer Großvater, und gleich darauf begann das Ringen um die Nachfolge. Es wurde einer der spektakulärsten Wahlkämpfe der europäischen Geschichte, mit über Jahrhunderte spürbaren Folgen für das Verhältnis zwischen Frankreich und Deutschland.

Zahllose Geld-Intrigen, Ämter-Verlockungen und auch Drohungen wurden zwischen Paris und den deutschen Kurfürsten ausgetauscht, um die Wahl zu beeinflussen. Letztlich hat Karl wohl ganz einfach den wahlberechtigten Kurfürsten mehr geboten als sein französischer Konkurrent, dank schwäbischer Gelder. Das Zerwürfnis mit Frankreichs König Franz I. war nachhaltig: Bis zu seiner freiwilligen Abdankung als Kaiser im Jahr 1556 hat Karl fünf Kriege gegen Frankreich geführt.

Der Papst wurde sogar zu Karls unfreiwilligem Wahlhelfer. Seine offene Zusammenarbeit mit Frankreich "war das sicherste Mittel, die Stimmen der Kurfürsten den Habsburgern zuzuwenden", meint Karls Biograf Karl Brandi.

Am 28. Juni 1519 wurde Karl in Frankfurt am Main zum Kaiser gewählt, einstimmig. Nur der Kurfürst von Brandenburg ließ sich notariell bestätigen, dass er die Wahl "aus rechter Furcht tue und nicht aus rechtem Wissen". Als das Ergebnis bekanntgemacht wurde, "haben die 22 Trompeter des Pfalzgrafen und des Markgrafen von Brandenburg in die Trompeten gestoßen, dann hat man zur Orgel das große ,Te Deum laudamus' (,Herr Gott, Dich loben wir') angestimmt", berichtet der Frankfurter Stadtschreiber.

"Alles Abscheuliche und Verderbliche zur Verwüstung des schönsten Landes"

Das "Te Deum" erklang dann wieder im Oktober des folgenden Jahres in Aachen, als Karl mit erzbischöflichem Beistand im Dom den Thron Karls des Großen besteigen durfte. Den endgültigen geistlichen Segen der Kaiserwürde, den des Papstes, erhielt Karl aber erst viele Jahre später: 1530 in Bologna - am 24. Februar, seinem Geburtstag. Dort erst wurden ihm die eiserne Krone der Langobarden und die Kaiserkrone rituell aufs Haupt gesetzt, nur anders als in Aachen vom Heiligen Vater höchstselbst.

Dass Papst Clemens VII. zu dieser Zeit in Bologna so friedlich-festlich - und wochenlang - mit Karl Umgang pflegte, war schon ein kleines Wunder. In den ewigen Händeln zwischen Habsburg und dem französischen König hatte sich der Papst als Taktierer immer wieder auf die Seite Frankreichs geschlagen. Selbst nach Karls Sieg über Franz I. 1525 und dessen allzu großmütiger, bald bereuter Freilassung trat Clemens umgehend der neuen "Liga von Cognac" bei, die Franzosen, Venezianer, Florentiner und Milanesen gegen Habsburg schmiedeten.

Franz wollte die Spanier aus Mailand und Genua verjagen und intrigierte dafür so geschickt, dass er selbst den englischen König aus dessen Bündnis mit Karl herauslockte. Bald musste das alte Kampfgebiet Oberitalien abermals über sich ergehen lassen, was Gattinara, Karls scharfsinnigster Ratgeber, einmal als Folge der politischen Wirren jener Jahre beklagte: "endloses Beutemachen, tägliche Räuberei, Erpressung und Vergewaltigung, Schande an Frauen und Mädchen, Brandstiftung und alles andere Abscheuliche und Verderbliche zur Verwüstung des schönsten Landes".

Prächtig ausgestattete römische Kirchen wurden gründlich leergeräumt.

Bevor es erneut zum direkten Krieg zwischen Karl und Franz kommen sollte, kühlten Habsburger Söldner aus Deutschland und Spanien, die monatelang miserabel versorgt durch Italien irrten, ihr Mütchen am verräterischen Papst. So kam es zur Plünderung Roms, zum "Sacco di Roma". Eine legendäre Gräueltat, bis heute unvergessen.

Statt um Mailand zu kämpfen, zogen die Kaiserlichen - rund 22.000 deutsche, spanische und italienische Söldner - im Februar 1527 überraschend gen Süden, nach Rom, das zugleich von spanischen Truppen aus Neapel bedrängt wurde. Der Papst verfügte gerade mal über 4000 Soldaten, er vertraute vor allem auf den Schutz der massiven Aurelianischen Mauer.

Das sollte er bereuen. Von zu niedrigen Lösegeldangeboten erbittert und vom Hunger getrieben, begannen die Landsknechte am 6. Mai 1527 den Sturm auf Rom. Die meisten Söldner überwanden die Mauern durch eilig gezimmerte Behelfsleitern.

Aber es gab noch andere Zugänge: Unweit der Porta Torrione hatte ein Handwerker seine Werkstatt in die Befestigung hineingebaut, mit einem Fenster nach draußen, das bloß mit Brettern vernagelt war. Der erste Spanier, der hier hindurchkletterte, gelangte durch einen Keller direkt in die prachtvollen Palastgärten des Kardinals Cesi - mitten ins Zentrum der luxuriösen Leostadt, auch "Borgo" genannt, neben die Baustelle des Petersdoms.

Zivilisten niedergemetzelt, Priester erschlagen, Leichen beraubt

Nun war der Strom wütender Eindringlinge nicht mehr aufzuhalten. Wer als Zivilist auch nur eine verdächtige Bewegung machte, wurde prompt erschlagen. Sogar die Kranken eines Hospitals, Greise und Kinder wurden im Eifer des Gefechts niedergemetzelt.

Mit dem Leben kam am ehesten davon, wer sich freikaufen konnte. Jeder, der einen Garten besaß, vergrub rasch so viel Geld und Schmuck wie möglich. Manche Plünderer sollen bis zu 40.000 Dukaten erpresst oder zusammengestohlen haben - ein Kardinalsvermögen.

Die prächtig ausgestatteten Kirchen wurden gründlich leergeräumt. Die zum Teil lutherisch eingestellten Söldner riefen "Papst Martin Luther" und zogen einem Kruzifix den Landsknechtsrock über. Einen Priester wollten sie zwingen, einem Esel, dem sie menschliche Kleider übergeworfen hatten, das Abendmahl zu reichen; als der Priester sich weigerte, wurde er erschlagen.

Als die Soldateska endlich ihr mörderisches Werk vollendet hatte, begannen Plünderer zwischen den Leichenbergen nach Beute zu suchen. "Wo die Söldner das Gold und die Brokatgewänder genommen hatten, raubten sie Pfannen und Töpfe", schreibt der Historiker Volker Reinhardt sarkastisch.

Flucht des Papstes vor den Besatzern

Für den Papst wurde der Ort seiner Zuflucht, die Engelsburg, zum Gefängnis. Im Juni musste er sie an eine spanische Besatzung übergeben. 400.000 Dukaten verlangten die neuen Herren von ihm, ein Viertel davon sofort, und zehn vornehme Geiseln. Der Papst bettelte das Geld mit Darlehen zusammen, verpfändete Festungen, Städte (zum Beispiel Modena) und ganze Provinzen.

Die Söldner waren so unberechenbar, dass die kaiserlichen Kommandanten der Engelsburg es schließlich dem Papst erlaubten, in einer Dezember-Nacht als schlichter Haushofmeister verkleidet nach Orvieto zu fliehen. Am 17. Februar 1528 zogen die Besatzer endlich ab. Der Papst musste sich zu Neutralität verpflichten und weitere Zahlungen versprechen.

Bis zu 30.000 Menschen soll der "Sacco di Roma" das Leben gekostet haben. Die gruseligen Einzelheiten lösten am Hof in Madrid Bestürzung aus. Karl beteuerte, er habe dies nicht geplant. Gleichwohl konnte er politisch davon profitieren. Das wollte freilich auch Franz I. - er bereitete die Rückeroberung Neapels vor. Doch auf ihrem zunächst erfolgreichen Marsch in den Süden ereilte sein Heer und dessen Kommandanten die Pest.

Am schlimmsten war für Karl aber der religiöse Unfrieden.

So behielt Karl Mailand und Genua; wenig später besiegte er die Republik Florenz, was dort der Sippe des Papstes, den Medici, zur fürstlichen Macht verhalf. Auch sonst hatte er Glück: Der Genueser Andrea Doria wechselte mit seiner Kriegsflotte die Front und kämpfte für ihn. Und der türkische Sultan Süleyman konnte Wien 1529 nicht erobern.

Dennoch, Karl ging es nicht gut. 1528 hatte sich erstmals sein Gichtleiden gemeldet. Es steigerte sich mit den Jahren so, dass er schließlich nicht einmal mehr reiten konnte. Er reiste in Kutschen und ließ sich in der Sänfte tragen.

Seine politische Tatkraft minderten die Gebrechen aber nicht. Im Jahr 1535 wurde Karl sogar von regelrechter Kreuzzugsstimmung ergriffen. Er bot sich an als maritimer "Fahnenträger" gegen eine Korsarenflotte, die im Dienst des Sultans von Konstantinopel das westliche Mittelmeer unsicher machte. Die Seeräuber hatten ein Jahr zuvor Tunis erobert. Karl lag im Juni mit 100 Kriegs- und 300 Transportschiffen vor der tunesischen Küste. Trotz sengender Hitze und Trinkwassermangel gelang es ihm, die Sperrfestung und dann die Stadt zu erobern - ein Triumph gegen die Ungläubigen.

Im August besuchte Karl daraufhin - zum ersten Mal - sein Königreich Sizilien. Dort und wenig später auch in Neapel wurde er überschwänglich gefeiert. Auf einer der festlichen Inschriften tauchte bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal die Huldigungsformel auf, der Kaiser glänze "vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang".

Nur: Womit war der Glanz erkauft? Überall in Europa gärte es. Die endgültige Spaltung der Kirche stand bevor; die muslimische Gefahr drohte nicht nur von Ungarn her, sondern immer wieder auch über das Mittelmeer; es gab nicht nur Gold aus der Neuen Welt (Karl brauchte es zur Finanzierung seiner Feldzüge), es gab auch rufschädigende Horrornachrichten über das Wüten der christlichen Eroberer in Amerika.

"Alles tun, um die verfluchte Ketzerei zu vernichten"

Einige Zeit nach dem Tod Margaretes, Karls Statthalterin in den Niederlanden, verweigerte Gent aus wirtschaftlichen Gründen die Zahlung der Steuern. Auch Frankreich gab keine Ruhe. Und immer fehlte das Geld. In 37 Jahren borgte Karl allein als König der (jahrelang von seiner Frau Isabella wahrgenommenen) kastilischen Herrschaft 39 Millionen Dukaten, in der Regel gegen kastilische Staatsschuldscheine ("juros").

Am schlimmsten war für Karl aber der religiöse Unfrieden. "Ich schwöre zu Gott und seinem Sohne", schrieb er 1528, "dass nichts in der Welt mich so bedrückt wie die Häresie Luthers und dass ich das Meinige dafür tun werde, dass die Historiker, die von der Entstehung dieser Ketzerei in meinen Tagen erzählen, auch hinzufügen, dass ich alles dagegen unternommen habe; ja ich würde in dieser Welt geschmäht und im Jenseits verdammt werden, wenn ich nicht alles täte, die Kirche zu reformieren und die verfluchte Ketzerei zu vernichten."

Die öffentliche Verbrennung von zwei zum Luthertum übergetretenen Augustinermönchen im Sommer 1523 in Brüssel war als Abschreckung fehlgeschlagen. Aus dem Ketzer Luther, der noch beim Reichstag zu Worms den Widerruf seiner Lehre verweigerte und danach unter dem Schutz des kursächsischen Fürsten auf der Wartburg die Bibel übersetzte, war längst die Leitfigur einer "Reformation" geworden, der sich immer mehr Stände und Landesteile zwischen Württemberg, Hessen und Kursachsen anschlossen.

Aussichtslose Disputen über die "Sache des Glaubens"

Neun Jahre nach Worms, 1530, versuchte der Kaiser auf einem Augsburger Reichstag erneut, die "Sache des Glaubens" zu lösen: mit einer in wochenlangen Disputen ausgehandelten Glaubens-Denkschrift, der drei Parteien hätten zustimmen sollen, Papst, lutherische Abweichler und kaiserliche Altgläubige. Das Projekt misslang. Selbst ein moderates Gutachten von Philipp Melanchthon, die "Confessio Augustana" (später das protestantische Glaubensbekenntnis), und die Ratschläge des abwägenden Humanisten Erasmus von Rotterdam, der die Spaltung für vermeidbar hielt, halfen nichts. Der Papst wollte kein "Universal-Konzil" zur Kirchenreform, obwohl Karl schon lange darauf gedrängt hatte.

Mit Protestanten verhandeln lassen hatte er ohnehin nur, weil er sie für Europas Allianz gegen die Osmanen brauchte. Als katholische Majestät jedoch kämpfte er pflichtgemäß, ja überzeugt gegen Ketzer, und das nicht nur durch die Inquisition, sondern auch mit Waffengewalt.

Eine entscheidende Niederlage erlitten die deutschen Protestanten gegen die Kaiserlichen und ihre Verbündeten 1547 bei Mühlberg in Sachsen. Es war, mit über 50.000 Söldnern allein auf kaiserlicher Seite, die bis dahin größte Schlacht auf deutschem Boden. Sieger Karl wurde, in schimmernder Kampfmontur auf einem edlen Rappen reitend, kurz danach von Tizian porträtiert. Der Maler wurde in Karls Hofstaat aufgenommen. Einmal soll Karl ihm sogar einen heruntergefallenen Pinsel aufgehoben haben - eine ungewöhnliche Ehre für den venezianischen Künstler.

Gedenkgottesdienst trotz allen Untaten

Die kirchlichen Querelen dauerten fort bis zum Augsburger Religionsfrieden im Jahr 1555, der die entscheidende Antwort gab: Der Staat ist es, der die Glaubensform bestimmt, zu der die Untertanen sich bekennen sollen. Die berühmt gewordene Formel dafür, "cuius regio, eius religio", wurde fast 50 Jahre später gefunden, sie steht in keinem offiziellen Dokument. Letztlich konnte Karl die Verbindung des Protestantismus mit den wichtigsten deutschen Ständen nicht lösen. Dieses Scheitern trug bei zu einer von Karls erstaunlichsten Handlungen: Er verzichtete auf die Krone.

Am 16. Januar 1556 übergibt Karl seinem Sohn Philipp Spanien, Sizilien und das "Neue Indien" in Amerika. Mit Frankreich schließt er - wieder einmal - einen Waffenstillstand. Seinem Bruder Ferdinand überlässt er die Kaiserwürde (zwei Jahre später erst folgt die Wahl) und damit auch die Oberhoheit über die nördlichen und östlichen Habsburger-Lande.

Im Februar 1557 zieht sich Karl, körperlich leidend und seelisch deprimiert, in eine eigens für ihn gebaute Villa zurück, die sich an die Kirche eines Klosters des Hieronymiten-Ordens anlehnt. Vom Schlafzimmer aus kann er durch ein Innenfenster den Altar sehen und am Gottesdienst teilnehmen. Das Kloster liegt in Yuste, einem Ort in der einsamen Estremadura, nicht weit von der Grenze zu Portugal. Dort ist Karl V. am 21. September 1558 gestorben, wohl an einer schweren Erkältung, vielleicht auch an Malaria.

Ein Jahr nach seinem Tod fand in der Klosterkirche von Mexiko-Stadt ein Gedenkgottesdienst statt, der zeigt, welches Ansehen Karl V. trotz allen Untaten der Konquistadoren in Amerika genoss. Nach den ergreifenden Chorälen des Requiems von Cristóbal de Morales ("Officium defunctorum") zog eine gewaltige Prozession mehrfach zwischen der Kirche und dem Palast des Vizekönigs hin und her. An ihrer Spitze: 2000 Indios.

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