
Erik der Rote: Vom Raufbold zum Wikinger-Häuptling
Entdecker & Eroberer Karriere eines Wüterichs
Streitsüchtig war er und so jähzornig, dass einige Männer ihr Leben durch seine Hand verloren. Mehrfach wurde dieser Erik Thorvaldsson geächtet und verbannt.
Seinen Beinamen "der Rote" erhielt Erik nicht nur wegen seiner roten Haarpracht, sondern wohl auch, weil an seinen Händen Blut klebte, wie die Anfang des 13. Jahrhunderts aufgezeichnete "Saga von Erik dem Roten" dem Leser nahelegt.
Zweifellos aber war der rabiate Gewalttäter auch ein ebenso wagemutiger wie erfolgreicher Seefahrer. Der etwa 950 geborene und wahrscheinlich 1003 gestorbene Nordmann erkundete als Erster Grönland, ließ sich dort mit einer Schar Gefolgsleute nieder und begründete so eine mehrere Jahrhunderte dauernde Besiedlung der größten Insel der Erde.
Eriks Vorfahren gehörten zu einer Schicht von Großbauern, deren Besitz es ihnen ermöglichte, ein eigenes seegängiges Schiff zu führen. Ganz in der Tradition seiner Familie lag der zweifelhafte Charakter des roten Erik. Schon sein Vater tat sich als brutaler Tunichtgut hervor.
In der Erik-Saga wie in der wohl zeitgleich verfassten Grönländer-Saga wird berichtet, dass die Familie fluchtartig Norwegen verlassen musste, "Vater und Sohn waren Totschläge halber von Jädern (Norwegen) nach Island gefahren", heißt es lakonisch.
Den Quellen nach war Erik also schon in Verbrechen seines Vaters verstrickt. Jedenfalls siedelte um das Jahr 975 herum die Familie, um der Rache zu entgehen, nach Island über, in den felsigen, kargen Nordwesten.
In der neuen Heimat ehelichte Erik die Tochter eines wohlhabenden Mannes und wurde mehrfacher Vater - aber noch lange kein friedliebender Mensch. Die Mitgift seiner Braut ermöglichte ihm, in einem fruchtbaren Tal einen eigenen Hof zu errichten. Bei einem Streit mit einem Nachbarn tötete er dann aber zwei Männer, so dass er auf einer regionalen Thingversammlung gezwungen wurde, die Gegend wieder zu verlassen und sich anderswo auf der Insel eine Bleibe zu suchen.
Zu dreijähriger Verbannung verurteilt
Doch der Wüterich blieb seinen rohen Sitten treu. Beim Kampf mit einem seiner neuen Nachbarn brachte Erik gleich wieder einige Männer um. So gelangte er in eine missliche Lage: Er wurde zu dreijähriger Verbannung verurteilt; die Sippe seiner Opfer sann auf Blutrache und stellte ihm nach. Erik konnte weder in Island bleiben noch nach Norwegen zurück.
Wie andere Wikinger hatte auch Erik von den Berichten des Norwegers Gunnbjörn Úlfsson gehört, der während einer Segelfahrt von Norwegen nach Island vom Kurs abgekommen und bis vor die Küste Grönlands getrieben worden war. Úlfsson und seine Mannschaft waren dort jedoch nicht an Land gegangen. Ereignet hat sich diese versehentliche Entdeckung Grönlands wahrscheinlich zwischen 900 und 930.
Da sah nun Erik der Rote seine Chance: Warum nicht diese neue Insel erkunden und, wenn das Land geeignet wäre, sich dort niederlassen? Ein neues Zuhause, ohne Feinde und mit ihm als oberstem Chef, das wäre doch was!
Erik nahm sich ein Schiff, stellte eine Mannschaft zusammen, 15 Männer und einige Sklavinnen, stach in See und erkundete drei lange Jahre, die gesamte Zeit seiner Verbannung, Grönland.
Von der isländischen Westküste segelte er geradewegs Richtung Westen. Nach frühestens vier Tagen kann er die Südostküste Grönlands erreicht haben. Den Sagas nach traf er zuerst auf einen Gletscher, segelte dann in Etappen bis zur Südspitze der Insel und anschließend die Westküste hoch in Richtung Norden.
Südlich der heutigen grönländischen Hauptstadt Nuuk fand er tief in das Land einschneidende Fjorde, die ein einigermaßen geschütztes Klima, grüne Wiesen und Bäche mit frischem Wasser boten. Dort steckten er und seine Gefährten für sich Parzellen ab. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass das Klima dort vor 1000 Jahren spürbar milder als heute war.
Jenseits des Ozeans einen Neuanfang wagen
Erik kehrte nach Island zurück und warb für die Insel, die er "Grönland", "grünes Land" nannte. Der Name entsprach, zumindest an den Küsten, auch der Wahrheit, vor allem aber klang er vielversprechend, um bei vielen Isländern Interesse zu wecken, jenseits des Ozeans einen Neuanfang zu wagen. Eine geschickte Marketingstrategie.
Bereits ein Jahr nach seiner Rückkehr, um 985, brachen unter der Führung Eriks 25 Schiffe mit mehreren hundert Auswanderern und deren Vieh auf. Die Götter der Meere waren jedoch nicht allen Abenteurern gewogen: Nur 14 Schiffe erreichten ihr Ziel, die anderen mussten umkehren oder versanken in den Fluten des Nordatlantiks.
Erik errichtete im Eriksfjord seinen Hof Brattahlid ("Steilhang"), in der Umgebung des heutigen Ortes Qassiarsuk. Seine Gefolgsleute ließen sich in seiner Nähe nieder oder in einer zweiten Siedlung rund 650 Kilometer im Nordwesten. Im Lauf der Jahre kamen weitere Zuwanderer; es entstanden mehrere hundert Höfe, auf denen wahrscheinlich bis zu 3000 Menschen lebten. Archäologen haben in diesen Gebieten unter anderem die Überreste dreier Kirchen aus der Wikinger-Zeit entdeckt.
Erik der Rote war jetzt am Ziel seiner Träume: Auf Grönland war er der unumstrittene Herrscher, auf Brattahlid wurde das jährliche Althing der Grönländer abgehalten, sein Hof war Mittelpunkt der neuen Wikinger-Gesellschaft.
Rund 500 Jahre hielten es die Nordmänner in Grönland aus, dann verschwanden sie. Die Westsiedlung wurde wohl um 1350 aufgegeben, die Umgebung von Brattahlid gegen 1500. Über die Gründe lässt sich nur spekulieren: Krankheiten, Inzucht, Klimaverschlechterung vermuten Historiker.
Erik jedenfalls kehrte bis zu seinem Tod nie mehr nach Island oder Norwegen zurück. Er starb möglicherweise an einer Epidemie, die Neuankömmlinge kurz nach der Jahrtausendwende mitgebracht hatten.
Aus dem Raufbold und Mörder war ein Wikinger-Häuptling geworden - was für eine Karriere! In den Sagas steht: "Erik der Rote wohnte auf Steilhang. Man wertete ihn sehr hoch, und alle beugten sich vor ihm."