Frauen an der Macht Gieriges Ungeheuer
Frauen in der Politik? Was in Ägypten lange Tradition hatte, war in Rom ein Zeichen von Krise. Auch deshalb hatte es Octavians Propaganda leicht, Kleopatra zu dämonisieren.
Die Sprüche auf den Wurfgeschossen waren so derb, wie es im Krieg eben üblich ist: "Ich ziele auf Fulvias Fotze" steht auf einem Schleuderblei, das Archäologen vor den Toren Perugias fanden; auf einem anderen: "Kahler Lucius Antonius und Fulvia, öffnet euren Arsch." Die obszön beschrifteten Waffen sollten eine Frau treffen: Fulvia, Gattin von Marcus Antonius.
Sie führte gemeinsam mit dessen Bruder Lucius im Namen ihres Mannes im Winter 41/40 v. Chr. den Perusinischen Krieg gegen Octavian. Dafür musste sie sich nicht nur von ihren Gegnern wüste Beleidigungen anhören, auch römische Geschichtsschreiber beschrieben sie alles andere als freundlich: Eine Furie sei sie, unweiblich und machtsüchtig, das genaue Gegenteil einer ehrbaren römischen Matrone.
Nach der Ermordung Ciceros, der sie in Reden vor dem Senat heftig angegriffen hatte, soll sie sich seinen Kopf bringen lassen haben, auf ihn gespuckt, ihm laut lachend die Zunge herausgezogen und diese mit Haarnadeln durchbohrt haben, so zeichnet Appian ein wahres Schreckensbild von Fulvia. Moderne Historiker halten es für gezielten Rufmord. Doch was hatte Fulvia auch erwartet? Nach traditioneller römischer Vorstellung hatten Frauen in der Politik nichts zu suchen und schon gar nicht im Krieg, ganz egal wie klug, redegewandt oder tapfer sie waren. Öffentliches Leben in Rom war Männersache. Nur Männer gehörten der Volksversammlung an, die die Amtsträger wählte, nur Männer konnten im Staat Karriere machen, nur sie waren Redner, und natürlich zogen nur sie in den Kampf.
Kleopatra wurde als "königliche Hure" diffamiert
Verstießen Frauen gegen diese Norm, riskierten sie ihren guten Ruf. Das erlebte nicht nur Fulvia, die dritte Ehefrau des Antonius, sondern vor allem auch Kleopatra, seine Geliebte.
Die Ägypterin trat selbstbewusst auf, wie eine Staatslenkerin eben, doch das hatte so gar nichts mit dem Betragen zu tun, das man in Italien von Damen höheren Standes erwartete. In Kleopatras Heimat waren Frauen seit Generationen an der Regierung beteiligt, einige regierten sogar allein oder führten Kriege. In der Männerwelt der römischen Politik muss die mächtige und machtbewusste Königin deshalb gewirkt haben wie eine Außerirdische.
Zwei Welten prallten aufeinander, zwei unterschiedliche Vorstellungen nicht nur darüber, wie ein Land zu regieren sei, sondern auch, welche Rolle Frauen dabei spielen sollten. Dies ist einer der Gründe, warum bis heute Kleopatras Romanzen mit Cäsar und Antonius mehr Beachtung finden als die politische Strategie, die sie mit den Beziehungen verfolgte.
Römische Historiker mochten es überhaupt nicht, wenn Frauen sich in öffentliche Angelegenheiten einmischten, und versuchten, Kleopatras politische Ideen herunterzuspielen. Zudem machten die unterschiedlichen Vorstellungen über das Frauen geziemende Verhalten in Ägypten und Rom es Octavians Propaganda leicht, die Herrscherin als "königliche Hure" zu diffamieren.
Das Keuschheitsideal als Garantie der Treue
Für römische Ohren kam so ein Vorwurf der gesellschaftlichen Ächtung gleich. Höchste Tugend der römischen Frau war die "Pudicitia", die Sittsamkeit, ihr waren ebenso Tempel geweiht wie der "Venus Verticordia", welche die Herzen der Frauen zur Keuschheit wenden sollte.
Junge Adlige hörten früh die Geschichte der Lucretia, die allen Römerinnen ein Vorbild sein sollte: Die sei in der mythischen Frühzeit Roms von einem Königssohn vergewaltigt worden. Und damit nur ja keine ehrenhafte Frau sich auf ihr Beispiel berufen könne, habe sie nach dem erzwungenen Sex Selbstmord begangen.
Die Historikerin Rosmarie Günther vermutet, dass das Keuschheitsideal der römischen Frau damit zusammenhängt, dass die Kriege der Römer seit etwa Mitte des 3. Jahrhunderts v. Chr. immer weiter entfernt von Italien geführt wurden, während die Frauen allein zu Hause blieben. Das Tugendgebot sollte dafür sorgen, dass sie während der Abwesenheit ihrer Männer nicht fremdgingen und keine illegitimen Kinder zur Welt brachten.
Vermählung war Politik
Was für ein Gegenentwurf zu Kleopatra, die noch mit ihrem Bruder verheiratet war, ja mit diesem sogar nach Rom reiste und dort den ebenfalls verheirateten Cäsar besuchte. Die mit Antonius erneut einen verheirateten Römer zum Vater ihrer Kinder machte. Und die sich ihre mächtigen Liebhaber nicht aus Leidenschaft, sondern vor allem aus strategischen Gründen gezielt ausguckte.
Für eine adlige Römerin wäre all das undenkbar gewesen: In der Hauptstadt wählten Bürgerinnen ihre Männer nicht, sie wurden von ihren Vätern, Brüdern, manchmal auch Müttern verheiratet, um die politischen Allianzen der Familie zu festigen.
Und manchmal ging die Familienpolitik selbst so weit, dass Ehemänner ihre Gemahlinnen aus taktischen Gründen weiterverheirateten: So ehelichte Octavian seine Frau Livia, als die im sechsten Monat von Tiberius Claudius Nero schwanger war, um zwischen zwei Interessengruppen im Bürgerkrieg zu vermitteln. Ihr Ex-Mann soll sie Octavian bei der Hochzeit sogar selbst übergeben haben.
Die Scheidung war formlos und schnell vollzogen, ebenso die Neuvermählung, der lediglich beide Partner zustimmen mussten. Dass Livia in die neue Ehe einwilligen würde, war allerdings klar. Wirklich gefragt wurde sie nicht. Warum auch: Nicht eigene Interessen sollten Frauen verfolgen, sondern die von Familie oder Ehepartner.