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Kommunistisches Manifest: Schrecken der Spießbürger

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Kommunistisches Manifest Schrecken der Spießbürger

Intellektuelle, Schriftsteller und Arbeiter sammelten sich mit Karl Marx und Friedrich Engels im "Bund der Kommunisten". Es war der Beginn einer Bewegung, die die Welt veränderte.

Zehn Tage lang brütete der 27-jährige Ökonom Friedrich Engels gemeinsam mit seinem zwei Jahre älteren Freund Karl Marx in dessen Brüsseler Wohnung über Manuskriptblättern. Die beiden jungen Intellektuellen rangen um Formulierungen. Es ging um ein Programm, das die Welt verändern sollte. Der Titel: "Manifest der Kommunistischen Partei".

Vor allem Marx, Anwaltssohn aus einer Rabbinerfamilie, Jurist und promovierter Philosoph, feilte an jedem Satz, als ginge es darum, der Menschheit neue, ewige Gesetze zu verkünden. Im Februar 1848 schloss er die gemeinsame Arbeit ab.

Das Ergebnis ist ein Text von literarischer Kraft, sprachlicher Schärfe und politischer Wucht. Gleich der Auftakt prägt sich ein: "Ein Gespenst geht um in Europa - das Gespenst des Kommunismus." Letzte Wahrheiten werden schon auf der ersten Seite verkündet: "Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen."

Vereinfachend, aber prägnant erklären die Autoren den Gang der Welt: "Die ganze Gesellschaft spaltet sich mehr und mehr in zwei große feindliche Lager, in zwei große, einander direkt gegenüberstehende Klassen: Bourgeoisie und Proletariat." So knapp wie möglich definieren sie die Rolle des Staates: "Die moderne Staatsgewalt ist nur ein Ausschuss, der die gemeinschaftlichen Geschäfte der ganzen Bourgeoisklasse verwaltet."

Es folgt ein Satz, der jeden Verdacht zerstreut, die Autoren wollten den Reichen moralische Vorhaltungen machen: "Die Bourgeoisie hat in der Geschichte eine höchst revolutionäre Rolle gespielt." Die Begründung ist Analyse und Literatur zugleich: "Sie hat die heiligen Schauer der frommen Schwärmerei, der ritterlichen Begeisterung, der spießbürgerlichen Wehmut in dem eiskalten Wasser der egoistischen Berechnung ertränkt."

Ähnlich scharf urteilen Marx und Engels über Almosen und Wohltätigkeit: "Der christliche Sozialismus ist nur das Weihwasser, womit der Pfaffe den Ärger des Aristokraten einsegnet."

Nicht um Moral geht es ihnen, sondern um Macht. Das Ziel wird knapp benannt: "Sturz der Bourgeoisieherrschaft, Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat." Die "Eigentumsfrage", dozieren sie, sei "die Grundfrage der Bewegung".

Dass die beiden jungen Autoren in vielem ihrer Zeit weit voraus waren, zeigen ihre Bemerkungen über das, was heute "Globalisierung" heißt: Die Bourgeoisie habe "die Produktion und Konsumtion aller Länder kosmopolitisch gestaltet". An die Stelle der "alten lokalen und nationalen Selbstgenügsamkeit" trete "allseitiger Verkehr, eine allseitige Abhängigkeit der Nationen voneinander".

Daran knüpften Karl Marx und Friedrich Engels eine ihrer umstrittensten Thesen: "Die Arbeiter haben kein Vaterland. Man kann ihnen nicht nehmen, was sie nicht haben." Und sie ließen erkennen, welche Hoffnungen sie auf das zersplitterte Land in der Mitte Europas setzten: "Auf Deutschland richten die Kommunisten ihre Hauptaufmerksamkeit, weil Deutschland am Vorabend einer bürgerlichen Revolution steht." Diese Revolution sollte nur die Vorstufe zur nächsten sein, die das Manifest am Schluss mit einem Paukenschlag ankündigt: "Mögen die herrschenden Klassen vor einer kommunistischen Revolution zittern. Die Proletarier haben nichts in ihr zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen."

Den Text übermittelte Marx im Februar 1848 nach London an die Zentralbehörde des Bundes der Kommunisten. Die billigte ihn als Parteiprogramm. Er wurde als Broschüre mit grünem Einband bis Ende Februar 1848 im Vereinslokal des Kommunistischen Arbeiter-Bildungsvereins an der Drury Lane im Londoner Stadtteil High Holborn verkauft.

Den Bund der Kommunisten hatten 1847 Handwerker und linke Intellektuelle ins Leben gerufen, unter ihnen Marx und Engels. Marx übernahm im März 1848 offiziell die Leitung.

"Proletarier aller Länder, vereinigt euch!"

Die Organisation war aus dem Bund der Gerechten hervorgegangen. Den hatte der Magdeburger Schneidergeselle Wilhelm Weitling 1836 gegründet. Diesem Frühsozialisten war die ideologische Strenge und machtpolitische Stringenz der späteren Kommunisten fremd. Der Autor der Schriften "Die Menschheit. Wie sie ist und wie sie sein sollte" und "Garantien der Harmonie und Freiheit" erwies sich als Idealist.

Mit Marx und Engels überwarf sich Weitling bereits 1846. Deren aktivistische Parole "Proletarier aller Länder, vereinigt euch!" ließ keinen Raum für schwärmerische Sozialromantik. Der Bund der Kommunisten zählte Ende 1847 etwa 500 Mitglieder. Zu der Organisation gehörten der Uhrmachergeselle Maximilien Joseph Moll, Mitglied der "Zentralbehörde" des Bundes, der frühere Burschenschaftler Karl Schapper und der Schneider Friedrich Leßner, zuständig für den Druck des Kommunistischen Manifestes. Mitglied war auch der Journalist Wilhelm Liebknecht - später Mitbegründer der SPD. Im April 1848 verlegte der Bund seine Zentrale nach Köln.

Die rheinische Metropole war damals von revolutionärer Stimmung aufgewühlt. Überall wehten die bis dahin verbotenen schwarz-rot-goldenen Fahnen, selbst auf preußischen Regierungsgebäuden. So beschreibt es der Marx-Biograf Jonathan Sperber. Die Wortführer der Protestbewegung trafen sich im früheren "Café Royal". Dessen reaktionärer Name musste der neuen Bezeichnung "Stollwercks Deutsches Kaffeehaus" weichen.

Neben debattierfreudigen Kaffeehausbesuchern gab es in Köln den größten Arbeiterverein Deutschlands. Gegründet im April 1848, zählte er im Juni 8000 Mitglieder. Das entsprach einem Drittel der erwachsenen Männer der Stadt. Für den großen Zulauf sorgte vor allem dessen Vorsitzender, der vom Judentum zum Protestantismus übergetretene Arzt Andreas Gottschalk. Der charismatische Rhetoriker hatte sich 1847 einem sozialistischen Zirkel angeschlossen.

Weg in ein irdisches Paradies

Mitglieder des Kölner Arbeitervereins gingen auf die Dörfer, um die Landbevölkerung für den Traum von einer Arbeiter- und Bauernrepublik zu begeistern. Die Arbeitervereine, die in vielen Städten entstanden, boten den Kommunisten die Möglichkeit, eine Art revolutionäre Massenpartei zu schaffen.

So lag im Mai 1849 die Führung eines Kongresses der Arbeitervereine des Rheinlands und Westfalens in den Händen des Kommunisten Karl Schapper. Schon am Zusammenschluss von Arbeitervereinen in Berlin im August 1848 waren Kommunisten maßgeblich beteiligt. Dabei bemühten sie sich, auch einfachen Menschen - "Krethi und Plethi", wie Engels im Jargon seiner Zeit schrieb - die "Grundsätze des Kommunismus" so einzuschärfen wie der Pfarrer den Gläubigen das Evangelium.

Dass die Kommunisten eine Art weltlicher Religion verkündeten, scheint Engels bewusst gewesen sein: Im Juni 1847 gab er einer Schrift den Titel "Entwurf des Kommunistischen Glaubensbekenntnisses". Darin propagierte er die Einführung einer "Gütergemeinschaft" samt der "Erziehung sämtlicher Kinder auf Staatskosten" als Weg in ein irdisches Paradies. Begründung: Das "Glück des einzelnen" sei "untrennbar von dem Glücke aller".

Die Mitglieder des Kommunistenbundes verfolgten eine Doppelstrategie aus öffentlicher Mobilisierung und Parlamentspolitik: Im Mai 1848 rückte Wilhelm Wolff als Ersatzkandidat in die Frankfurter Nationalversammlung ein. Der Sohn eines schlesischen Kleinbauern war der erste Kommunist in einem gesamtdeutschen Parlament. Wolff nutzte das Mandat als Tribüne für den außerparlamentarischen Kampf. Er bezeichnete den Reichsverweser als Volksverräter. Von den Abgeordneten forderte er, sie sollten sich auf den Boden der revolutionären Gewalt stellen.

Die "Neue Rheinische Zeitung" wurde gegründet

Wolff, der mit dem niederdeutschen Dichter Fritz Reuter in Festungshaft gesessen hatte, unter anderem wegen "Majestätsbeleidigung", war ein brillanter Publizist. Der Schriftsteller Gerhart Hauptmann stützte sich bei der Arbeit an seinem Drama "Die Weber" auf einen Aufsatz Wolffs über das Elend der Weber in Schlesien.

Publizistischen Talenten boten die Kommunisten eine Tribüne, als sie in Köln die "Neue Rheinische Zeitung" gründeten. Das von Marx geleitete Blatt erschien erstmals am 1. Juni 1848. Im Redaktionsbüro am heutigen Heumarkt trafen sich exzellente Publizisten und Schriftsteller. Neben Marx und Engels gehörten zur Redaktion Wilhelm Wolff und die Schriftsteller Georg Weerth und Ferdinand Freiligrath.

Die Zeitung präsentierte sich als "Organ der Demokratie" und als gesamtdeutsches Medium. Sie hatte eine Auflage von anfangs 6000 und bald schon 20.000. Die "Neue Rheinische Zeitung" verband Poesie und Polemik, präzise Analysen und wortgewaltige Agitation.

Marx kritisierte in dem Kampfblatt die "Schwäche und Feigheit" der Frankfurter Nationalversammlung. Engels sekundierte, geißelte die "Verräterei unserer Fürsten" und die "Schlaffheit unserer Volksvertreter". Die "deutschen Spießbürger", so Marx, die "ideologischen Kretins der Bourgeoisie" hätten es dem Königtum ermöglicht, der "halben Revolution mit einer ganzen Konterrevolution" zu antworten.

Denker Marx drängte auf revolutionäre Taten

Große Erwartungen verband die "Neue Rheinische Zeitung" mit der Revolution in Frankreich. Die Kommunisten hofften, dass "in Paris die Befreiungsstunde für Europa" schlagen werde, so Engels. Noch im Mai 1849 setzte er in einer Kolumne auf die ungarische und die französische Revolution.

Der kommunistische Internationalismus richtete sich aggressiv gegen konservative Imperien, die den europäischen Revolutionsstürmen ihre geballte Militärmacht entgegenstellten. So agitierte Engels 1849 für den Krieg gegen Russland. Im Juni schrieb er vom "bevorstehenden großen Kampf zwischen dem freien Westen und dem despotischen Osten". Und er warf den Deutschen vor, im Vorjahr eine Gelegenheit versäumt zu haben. Denn damals hätten sie "die Polen befreien und damit den Krieg auf russischem Gebiet und auf Russlands Kosten führen können".

Scharf und klar formulierten die Kommunisten ihre Ziele. Sie propagierten die Volksbewaffnung, vor allem die Bewaffnung der Arbeiter, um den "Sturz der politischen Herrschaft der Bourgeoisie" zu erreichen. Dabei, so Engels im September 1848 in der "Neuen Rheinischen Zeitung", handle es sich "um eine Umwälzung, deren nächste Konsequenzen schon alle behäbigen und spekulierenden Bürger mit Entsetzen erfüllen".

Solche Töne machten es der Redaktion schwer, bürgerliche Geldgeber zu finden, die sich ein "Organ der Demokratie" wohl anders vorgestellt hatten.

Offensive der Gegenrevolution

Vermögende Aktionäre, die Anteile zeichneten, sollten das Blatt finanzieren. Doch viele der bürgerlichen Förderer sprangen schon wenige Wochen nach Erscheinen der Zeitung ab. Der Inhalt hatte ihnen gezeigt, dass Chefredakteur Marx nicht einfach die von ihm 1842/43 geleitete radikaldemokratische "Rheinische Zeitung" im gleichen Sinn fortsetzte. Der streitbare Denker Marx hatte sich theoretisch und politisch in eine neue Richtung entwickelt - er drängte auf revolutionäre Taten.

Dazu nutzte er die Zeitung als Kampfinstrument. Einen Teil seines väterlichen Erbes steckte Marx in das Blatt. Auch Engels spendete Geld aus familiären Quellen, um die Zeitung am Leben zu erhalten. Dennoch war die "Neue Rheinische Zeitung", wie Marx rückblickend urteilte, "täglich auf dem Sprung, sich bankerott zu erklären".

Mit der Offensive der Gegenrevolution waren die Tage der ersten kommunistischen Zeitung der Welt gezählt. Am 19. Mai 1849 stellte das Blatt nach 301 Nummern mit einer komplett in rot gedruckten Ausgabe sein Erscheinen ein. Gegen Marx lag ein preußischer Ausweisungsbefehl vor, gegen Engels ein Haftbefehl. Marx ging ins Londoner Exil. Engels und der Dichter Freiligrath folgten ihm bald nach England.

Der Bund der Kommunisten setzte seine Tätigkeit zunächst fort, bis die preußische Polizei leitende Mitglieder der Organisation im Mai 1851 verhaftete. Marx löste den durch weitere Verhaftungen zerschlagenen Bund im Londoner Exil im November 1852 auf.

"Es wird Zeit, den Holzhammer beiseite zu legen"

Wenige Tage zuvor waren Mitglieder der Organisation im "Kölner Kommunistenprozess" aufgrund gefälschten Materials zu Haftstrafen bis zu sechs Jahren verurteilt worden. Das Gericht warf ihnen ein "Komplott" vor, die "Staatsverfassung umzustürzen". Rund ein Jahrhundert später veröffentlichte der DDR-Autor Rudolf Herrnstadt, ein kommunistischer Dissident, ein Buch über den Kölner Kommunistenprozess.

Darin beschrieb er kenntnisreich, wie eine "preußische Feudalbürokratie" das "Komplott" gegen die Kommunisten organisierte. Sein Buch strotzte vor aktuellen Anspielungen wie der, Preußens Bürokratie sei ein "die staatlichen Machtinstrumente gängelnder, die Gesetze und die Normen des gesellschaftlichen Lebens in den Wind schlagender Auswuchs am Staatskörper".

Mit derartigen Auswüchsen kannte der Autor sich aus. Er war von 1950 bis 1953 Mitglied des Zentralkomitees der herrschenden SED gewesen, hatte dem Politbüro angehört und die Parteizeitung "Neues Deutschland" geleitet. Nach Stalins Tod hatte Herrnstadt sich besonnen und für mehr Rechtssicherheit und eine "freiheitliche Atmosphäre" plädiert.

Im "Neuen Deutschland" zog er im Juni 1953 gegen überhebliche Funktionäre zu Felde - unter der programmatischen Überschrift "Es wird Zeit, den Holzhammer beiseite zu legen".

Parteichef Walter Ulbricht ließ den Abweichler im Juli 1953 wegen "parteifeindlicher Fraktionsbildung" aus der Parteiführung werfen und im Januar 1954 aus der SED ausschließen. Degradiert zum Mitarbeiter des Zentralen Staatsarchivs in Merseburg, blieb ihm fortan nur übrig, darauf hinzuweisen, dass sich unter dem Namen "Kommunismus" die Traditionen absoluter Fürstenmacht durchgesetzt hatten. Solche Verhältnisse endgültig zu überwinden, war der Bund der Kommunisten ein Jahrhundert zuvor angetreten.

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