Arabische Welt Ali Baba und der faule Zauber
Ach, das Weib. Kaum, dass der Mann matt vom Liebesspiel auf seine Lagerstatt gesunken ist, nimmt es die Gestalt eines Vogels an, um in den Garten zu flattern und sich von einem seiner früheren Geliebten, die es in Sperlinge verwandelt hat, begatten zu lassen.
Die Rache des gehörnten Gatten und Kaisers von Indien und Persien ist majestätisch und schrecklich. Er lässt dem ungetreuen Weib den Kopf abschlagen und einer Reihe von ebenso nichtswürdigen Nebenfrauen und Sklavinnen ebenfalls. Er flieht sodann hinfort zu anderem Ort. Doch des Weibes Tücke holt ihn ein. An fremdem Strand erwartet ihn erneut ein unersättlicher weiblicher Schoß.
Eine von 282 Geschichten aus "Tausendundeiner Nacht" - eine der echten Geschichten. Die Unterscheidung ist erforderlich, seitdem die Orientalistin Claudia Ott den zum Teil jahrtausendealten Versen, Fabeln und Parabeln, von denen Vieles ursprünglich aus Indien stammt und seinen Weg übers Persische ins Arabische fand, neu übersetzt hat. Indem sie die Ausgabe des 1984 vom Iraker Muhsin Mahdi herausgegebenen Werks aus dem Arabischen übertrug, hat sie gewissermaßen wie eine Restauratorin die später aufgetragenen Schichten über dem großartigen Sittengemälde entfernt und das gute, alte Original freigelegt. Das Resultat ist nicht nur für Orientalisten ein Kleinod.
Claudia Ott hat eine tadellose Gelehrtenbiografie: Studium der Orientalistik in Jerusalem, Tübingen und Berlin, arabische Musik in Kairo, Wanderjahre im Orient, seit dem Jahr 2000 Assistentin am Institut für Außereuropäische Sprachen und Kulturen an der Universität Erlangen-Nürnberg. Und arabische Rohrflöte spielt sie auch noch.
Die Erzählungen aus "Tausendundeiner Nacht" gehören zu den großen Werken der Weltliteratur. Im arabischen Raum aber waren sie jahrhundertelang tabu und galten wegen ihrer Sex-and-Crime-Passagen als Schundliteratur. Die ersten Exemplare kamen im 19. Jahrhundert in der islamischen Welt in Umlauf.
Die Geschichten spielen nicht in tausendundeiner Nacht, sondern in nur 282 Nächten. Zahlreiche andere Nächte hat der Pariser Diplomat und Orientalist Antoine Galland im 18. Jahrhundert hinzugefügt. Er hatte die dreibändige Handschrift im Jahr 1701 von einem syrischen Freund bekommen und, weil sie ihm zu exotisch erschien, nach dem Geschmack der französischen Salons umgestaltet.
Claudia Ott übersetzt mit großer Präzision und in kürzestmöglicher Distanz zur ältesten arabischen Fassung. Sie erklärt auch anschaulich die verschiedenen arabischen Versmaße und Reimschemata.
Die Katharsis ist radikal, aber nicht rabiat. Viele Geschichten sind geblieben, wie sie waren. Viele altvertraute Helden freilich fielen der Kürzung zum Opfer: Sindbad, Aladin, Ali Baba und Company. Warum?
Weil sie nachträglich von Galland eingefügt wurden und weil sie ein falsches Orientbild vermitteln, sagt Claudia Ott.
Die "Galland-Handschrift" hatte 300 Jahre lang großen Einfluss auf die westliche Literatur. Nur war sie eben ein Konglomerat aus der arabischen Fassung des 15. Jahrhunderts und vielen dazugepanschten Storys und Histörchen. Sie entsprachen dem Klischee des 18. Jahrhunderts, in dem der Orient als Welt aus "Bädern, Düften, Tänzen, Genüssen" figurierte, wie der französische Dichter Francois René de Chateaubriand schwärmte.
Die Geschichten aus "Tausendundeiner Nacht" sollen im 18. Jahrhundert nach der Bibel das zweitpopulärste Buch Europas gewesen sein, Montesqieues "Persische Briefe" und Mozarts "Entführung aus dem Serail" hatten in dem Werkverschnitt ihre Wurzeln.
Auch die Trivialliteratur bemächtigte sich der Orientbegeisterung. Frankreich wurde von einer Woge von Liebes- und Abenteuerromanen überschwemmt, die in Kasbas, Serails und Karawansereien spielen: Der geheimnisvolle Orient als permanenter Kassenschlager.
In dem fremden Reich der Sinne durften alle Grausamkeiten und Verworfenheiten, die von der europäischen Zivilisation tabuisiert waren, literarisch ausgelebt werden. Die arabische Welt, das war ein schwüles Badehaus voll strammer Kerle und draller Weiber, in dem die Wasserpfeife nicht ausging. Der Okzident projizierte alle Dekadenz auf den Orient - so wie heute die Islamisten alle Dekadenz auf den Westen projizieren.
Der Mameluck als debiler Sadist, Onanist und Päderast, dessen Ausschweifungen dem westlichen Betrachter perverse Wollust und zu seiner Entlastung auch wohligen Abscheu vermittelte. Antoine Gallands Handschrift prägte ein Vierteljahrtausend das europäische Orientbild mit.
Die ursprüngliche arabische Handschrift, die ihm als Vorlage diente, hat während dieser ganzen 250 Jahre kein Arabist mehr angeschaut. Das Buch hat bis auf die Rahmenhandlung keinen roten Faden. Sein Schema ist das dramaturgische Chaos. Es ist ein Konvolut von Geschichten vieler anonymer Erzähler. Auch der aufmerksame Leser verliert gelegentlich den Überblick. Das wird billigend in Kauf genommen.
Eine jugendfreie Lektüre ist auch die Ott-Übersetzung nicht. In die literarischen Passagen mischt sich die derbe Umgangssprache der Geschichtenerzähler von Kairo, Bagdad und Damaskus. Ein Beispiel aus der 31. Nacht: Ein Mädchen zieht sich vor einem Lastträger aus, zeigt auf seine Scham und fragt: "Mein Liebling, was haben wir denn hier?" Der Träger rätselt: Vagina, Möse, Klitoris, Fotze, Tausendfüßler, Fickparadies? Nein, wird er von der Schönen belehrt. Es heiße "Basilikum, das auf den Brücken sprießt". Nein, das ist nichts für Kinder.
In neuem Licht erscheinen auch die Hauptfiguren der Rahmenhandlung: König Schahriyar, der seine Geliebten nach dem Liebesakt zu töten pflegt. Und Schahrasad, die schönste und weiseste der Frauen, die ihm Geschichten erzählt und die ihre Erzählung stets im Morgengrauen an der spannendsten Stelle abbricht und dadurch ihren Kopf rettet. Was Schahrasad zu erzählen hat, ist eine unendliche Geschichte. Ihr nie endender Geschichtenfluss rettet nicht nur ihr, sondern auch das Leben vieler Frauen im Reich König Schahriyars.
Dass die Autorin während ihrer Arbeit an dem Jahrtausendwerk ihrem Lebenspartner zwei Söhne geboren hat, beweist allein natürlich noch nicht, dass sie keine Undercover-Feministin ist. Aber dass sie in ihrem Nachwort ausdrücklich und stolz darauf hinweist, darf als Indiz gelten. Jedenfalls solange sie den ungenannten Gefährten nicht in einen Sperling verwandelt.