Lesezeichen Aushöhlung des Rechts

Handelsketten diktieren heute den Verlagen ihre Bedingungen. Sie verletzen Vorgaben des Bundeskartellamts und lassen die Kulturvielfalt veröden.
Von Gerhard Beckmann

Es ist eine Geschichte von David gegen Goliath, die in den Feuilletons vor wenigen Monaten Schlagzeilen machte: Der kleine Zürcher Diogenes Verlag bot dem großen Online-Händler Amazon die Stirn. Als der Zwerg sich weigerte, Forderungen des Riesen nach rabattähnlichen Extrazahlungen zu erfüllen, kaufte der zur Strafe keine Diogenes-Bücher mehr ein. Vor einem Jahrzehnt wäre es noch undenkbar gewesen, dass ein Buchhändler einem Verlag übermäßige Konditionen abzupressen versucht. Inzwischen aber sind im Buchhandel Großfirmen entstanden, die auch die größten Verlagsgruppen in den Schatten stellen.

Das alte Kräfteverhältnis ist gekippt. Das Großfilialunternehmen Thalia, der Versender und Billigkettenbetreiber Weltbild und amazon.de kommen mit Büchern auf geschätzte Jahresumsätze von 380 bis 520 Millionen Euro. Die Konzerne Random House (C. Bertelsmann, Goldmann und andere), Bonnier (Piper, Carlsen und andere) und Holtzbrinck (S. Fischer, Rowohlt und andere) dagegen erzielen nur zwischen schätzungsweise 165 und 220 Millionen Euro Jahresumsatz. Damit hat auch den Buchbereich eine Entwicklung erfasst, die sich in Großbritannien und in den USA längst vollzogen hat: Große Händlerketten und Discounter diktieren Herstellern die Konditionen. Wer das nicht hinnehmen kann oder will, wird schon mal aus dem Sortiment geworfen - "ausgelistet".

Diese Drohkulisse bauen jetzt auch deutsche Großbuchhändler gegenüber Verlagen auf. Der Vertriebschef eines bedeutenden Verlags zitiert, was er zu hören bekam, als er Rabattforderungen eines Großbuchhändlers nicht akzeptierte: "Dann werde ich von dir nur noch die paar Titel beziehen, die ich unbedingt haben muss. Alle anderen kannst du in der Pfeife rauchen!" Um ein Exempel zu statuieren, hat Amazon diese weit verbreitete Drohung beim Diogenes Verlag (Jahresumsatz 42 Millionen Euro) wahrgemacht. Auf diese Weise ist eine skandalöse Praxis publik geworden, welche die darin verwickelten Firmen bisher als Geschäftsgeheimnis unter der Decke hielten.

Während eine Buchhandelsgroßmacht wie Amazon - deren hervorragender Katalog im Übrigen auch manch kleiner Buchhandlung zu umsatzträchtigen Kundenbesuchen verhilft - als Marktführer im Internet-Versand im Einzelfall noch kompromissbereit ist und finanzschwächere Verlage anders behandelt als stärkere, wird die Handelssparte des Weltbild-Konzerns von den Verlagen besonders gefürchtet. Der Firmenname, der bei einem profitorientierten Unternehmen verblüffend wirkt, verweist auf die religiöse Abstammung des gefräßigen Riesen: Weltbild hat sich aus einem Zeitschriftenverlag der katholischen Kirche mit angeschlossenem Buchversand entwickelt.

Noch heute ist der Konzern im Besitz von 14 Bistümern und der Soldatenseelsorge Berlin. In Zeiten immer spärlicherer Kirchensteuereinnahmen empfangen die katholischen Bischöfe den Geldsegen, den ihnen ihr "Weltbild" bringt, wie ein Gottesgeschenk. Weltbild-Chef Carel Halff, ein Niederländer, hat als frommer Katholik und ebenso strategisch planender wie knallhart Rendite-orientierter Geschäftsmann das Unternehmen in bald drei Jahrzehnten zur heutigen Breite und Größe geführt, mit einem Gesamtumsatz von über einer Milliarde Euro. Und solange der Konzern nicht gerade antikatholische Pamphlete oder pornografische Massenware vertreibt, sieht der Klerus keinen Grund, sich ins operative Geschäft einzumischen.

An der Kette der 269 Weltbildplus-Läden (in Deutschland, Österreich und der Schweiz) sind der Augsburger WeltbildKonzern und der Münchner Großbuchhändler Hugendubel mit je 50 Prozent beteiligt. Das Erfolgsrezept, das auf einer Minimalversorgung der Bevölkerung mit Büchern basiert, ist eine relativ kleine Auswahl von Bestsellern und Ratgebern. Die werden in so großen Mengen eingekauft, dass die dabei erzielten Sonderrabatte die stetige Ausdehnung finanzieren. Die Bestellung von Büchern, die nicht zum Bestsellersortiment gehören, ist unmöglich bei solchem Verkaufskonzept, das die flächendeckende Versorgung der deutschen Bevölkerung mit der Vielfalt der Bücher gefährdet und die Interessen der Leser eingrenzt. Eben das aber soll das Preisbindungsgesetz für Bücher verhindern. Abgesehen davon unterlaufen Sonderrabatte manches Mal die Spruchpraxis des Bundeskartellamts und verletzen damit geltendes Recht.

Denn die Buchbranche unterscheidet sich in einem entscheidenden Punkt von anderen Einzelhandelsbranchen: Bücher müssen von Gesetzes wegen den Endkunden zu einem fixen Ladenpreis verkauft werden, der von den Verlagen festzusetzen ist. Während Discounter und große Supermarktketten etwa ihre den Lebensmittelproduzenten abgehandelten höheren Rabatte im Wettbewerb meist an die Konsumenten weitergeben, indem sie die Produkte verbilligen, hat der Buchkäufer davon rein gar nichts. Damit hier kein Missbrauch getrieben wird, gibt es eine wettbewerbliche Einschränkung. Sie legt eine Obergrenze von maximal 50 Prozent für Rabatte fest. Es handelt sich um eine Regelung zum Schutz kleiner Buchläden vor Ort und damit letztlich der Konsumenten. Jeder Rabatt, der wegen besonderer Umsatzgröße darüber hinausgeht, ist auch als Diskriminierung kleinerer Händler unzulässig.

Als ein Verlagsmarketingleiter den Geschäftsführer einer Großbuchhandlung bei überhöhten Rabattforderungen auf diesen Tatbestand hinwies, lachte der ihn aus: Die Rechtslage kümmere ihn nicht. Die Weltbild-Händler haben sogar schon 60 Prozent Rabatt gefordert, sie bekommen von einigen mittelständischen Verlagen 57 Prozent Rabatt. "Unter 52 bis 52,5 Prozent geht bei Weltbild gar nichts", sagt ein Münchner Verlagschef.

Auch das Preisbindungsgesetz für Bücher wird routinemäßig gebrochen. Es verpflichtet die Verlage, keinem Einzelhändler einen höheren Rabatt zu gewähren als dem Großhandel, über den etwa ein Drittel des Gesamtumsatzes der Verlage mit Romanen und Sachbüchern läuft.

Der Zwischenhandel ist das logistische Herzstück der Branche: Er liefert tagtäglich über Nacht all die Titel, die die Buchhändler nicht vorrätig haben, und er gibt einen Großteil seiner Verlagsrabatte an den lokalen Buchhandel weiter. Die Rabattobergrenze von 50 Prozent soll verhindern, dass kleinere Händler zu sehr benachteiligt werden.

Allerdings ist festzustellen, dass Verlage die gegenwärtige Situation vielfach selbst verschuldet haben. Vor allem Großverlage haben aus reinem Umsatzkalkül seit Beginn der neunziger Jahre Großbuchhandlungen aus freien Stücken laufend bessere Rabatte und geldwerte Zuwendungen eingeräumt - bis weit über 50 Prozent. So hofften sie, größere Marktanteile zu gewinnen - ein schlimmer Fehler.

Erstens sind, unter anderem deshalb, besonders Taschenbücher immer teurer geworden. Galt noch vor vier Jahren die eherne Branchenrichtlinie, ein Taschenbuch dürfe nicht mehr als 20 Mark kosten, so werden Taschenbücher inzwischen reihenweise für 12,90 Euro angeboten. Der Preisschub kommt großenteils dadurch zu Stande, dass die Taschenbuchverlage ihre Einkommensverluste, welche die übermäßigen Rabatte an Handelsketten nach sich ziehen, durch Preiserhöhungen wettmachen - mit der Folge, dass die Leute weniger Titel kaufen und auf Schnäppchenjagd nach der Billigware des Ausverkaufs gehen. Die Verkaufsstückzahlen normaler Bücher sinken seit Jahren. "Nur mit einem zusätzlichen Rabatt an die Großen wird kein einziges Buch mehr verkauft", konstatiert die Hanser-Marketingchefin Felicitas Feilhauer.

Zweitens sind die Renditen eingebrochen - bei Publikumsverlagen ohnehin kaum mehr als drei bis vier Prozent.

Drittens haben sie damit die Expansion genau jener Großbuchhändler finanziert, die sie jetzt mit ihrer so erworbenen Marktmacht unter Druck setzen.

In der Existenz gefährdet ist auch der klassische mittelständische und kleinere Buchhandel. Zur Kompensation der Forderungen der Großen "bedienen die Verlage sich ein wenig bei ihren schwächeren Handelspartnern, indem sie ihnen schlechtere Konditionen aufdrücken", sagt Peter Jakobeit, Inhaber der Buchhandlung pan41 in Renningen und Vorsitzender des baden-württembergischen Sortimenterausschusses. "Was, zugespitzt, bedeutet: Sie müssen das Wachstum der Großen mitfinanzieren. Wenn das so weitergeht, wird die Weiterführung vieler Betriebe bald nicht mehr möglich sein." Dagegen will sich auch die Holtzbrinck-Gruppe stemmen: "Die wirtschaftliche Situation der meisten Verlage und Buchhändler", betont Rüdiger Salat, bei Holtzbrinck Geschäftsführer für Buchverlage, erlaube "keine simple Umverteilung" von Rabatten und Konditionen.

Die Bevorzugung der Großbuchhändler hat sich noch in anderer Hinsicht als Fehler erwiesen. Die Verlage hatten spekuliert, mit Verkaufsflächen von 1000 und mehr Quadratmetern, die inzwischen schon in Städten ab 60 000 Einwohnern anzutreffen sind, würden mehr Leser gewonnen und mehr Bücher verkauft. Diese Erwartung hat sich nicht erfüllt. Der Umsatz pro Quadratmeter ist seit Jahren rückläufig. Außer einer Verdrängung von alteingesessenen mittelständischen und kleinen Sortimentern ist nichts passiert.

Die Großen initiieren auch keine Bestseller. Sie setzen meist nur auf bereits bekannte Autorennamen und gängige Ware, die per Selbstbedienung zu verkaufen ist - mit ihrem geringen Personalbestand sind sie zu Entdeckungen, Kundenberatung und aktivem Verkauf meist nicht mehr im Stande. Auf diese Weise bleiben viele Titel auf der Strecke. Einkauf und Angebot werden durch den ausgehandelten Rabatt bestimmt. Kleine und mittlere Verlage, die da nicht mithalten können, ziehen von vornherein den Kürzeren.

Bei einigen Verlagen hat nun ein Umdenken eingesetzt. Für den Erhalt einer vielfältigen Buchkultur in Deutschland, sagt Claudia Reitter, in der Geschäftsführung bei Random House für Vertrieb und Marketing zuständig, komme es entscheidend auf "unsere mittleren und kleineren Buchhandlungen an - auf Unternehmer und ihre Mitarbeiter, die bereit und in der Lage sind, sich für einzelne Bücher und Autoren einzusetzen. Neue Konditionensysteme müssen diesen Umständen Rechnung tragen." Genauso sieht es ihr Suhrkamp-Kollege Georg Rieppel. Beide arbeiten an einem Modell, bei dem primär nicht Umsatzgröße, sondern buchhändlerische Leistung zählen.

Seit ein paar Wochen quält die Verlage nun ein weiterer Alptraum. Im bayerischen Städtchen Weilheim (20 000 Einwohner) startete Weltbild die erste stationäre "Vollbuchhandlung". Anders als in den bisherigen, kleineren Läden kann dort über das beschränkte Angebot im Laden hinaus jedes Buch bestellt werden wie im klassischen Buchhandel: ein Konzept, um möglicherweise flächendeckend die alten mittleren und kleineren Buchhandlungen vor Ort anzugreifen und zu verdrängen. Das Erfolgspotenzial ist beträchtlich, weil der überhöhte Rabatt, den der Versender einstreicht, nach seinen Weltbildplus-Läden nun auch für dieses Projekt gefordert und gewährt wird.

Wenn dieser Plan aufgeht, dürfte er das Veröden der deutschen Buch- und Leselandschaft weiter beschleunigen.

"Vor den Gefahren einer übermäßigen Konzentration bei den Verlagen wird seit langem gewarnt", sagt Günter Berg, neuer verlegerischer Leiter bei Hoffmann und Campe in Hamburg. "Jetzt kommt es darauf an, dass wir erkennen: Die übermäßige Stärke einiger weniger Buchhandelsunternehmen stellt möglicherweise eine noch ärgere Bedrohung unserer Buchkultur dar. Solch eine Entwicklung sollten die Verlage auf keinen Fall durch eine kurzsichtige Rabattpolitik unterstützen."

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