Sachbücher Wehmütige Huldigung

Die uruguayische Autorin Cristina Peri Rossi widmet der Kulturgeschichte der Zigarette und des Tabaks ein persönlich intoniertes Buch.
Von Margit Knapp

Im Grand Palace Café in Montevideo sah Cristina Peri Rossi zum ersten Mal eine Frau rauchen. Es war im Jahr 1951, und für das zehnjährige Mädchen aus Uruguay vereinten sich in der rauchenden Frau alle Mythen der fünfziger Jahre und alle Sehnsüchte nach einem freien, unabhängigen, wilden Leben.

Das erfahren wir am Anfang des Buchs, und schon sind wir mittendrin in dieser Liebeserklärung an die Zigarette, die mit einer schmerzvollen Trennung endet.

Die Autorin, die heute in Barcelona lebt, erzählt eine sehr persönliche Geschichte über die Bedeutung des Rauchens im Parlament, in geheimen Wohnungen, in denen sie gegen die Diktatur konspirierte, in Diskotheken, in Wartezimmern von Krankenhäusern, am Ausgang der Kinos, mit Freundinnen, Ehemännern, Liebhabern, allein. Ihr Buch ist ein Brevier der unzähligen Gesten, die sich mit dem Rauchen verbinden.

Das Rauchen war weitaus mehr als ein Laster, es wurde zu einer Lebensform und bedeutete träumen, Gesellschaft haben, sich nicht allein fühlen, gefährlich leben.

"Ich habe in verschiedenen Städten, auf verschiedenen Kontinenten gelebt, wo die Jahreszeiten genau entgegengesetzt sind; ich hatte große und kleine Liebschaften, musste zweimal ins Exil gehen, einmal nach Paris und einmal nach Barcelona, ich habe mehr als dreißig Bücher geschrieben, die in viele Sprachen übersetzt wurden, zahlreiche Preise bekommen, ich war oft krank, hatte zwei Operationen, eine Lungenentzündung, bin in ein anderes Haus, ein anderes Viertel gezogen ... aber eins ist gleich geblieben: Ich habe geraucht und geraucht" - ein ereignisreiches Leben und sein kleinster gemeinsamer Nenner.

Ihren Kampf gegen die Zigarette beschreibt die Autorin als Verlust, keineswegs als Triumph.

Heute, wo Rauchen nicht mehr so modern ist, wo Gesundheit, Nachhaltigkeit und Ökologie die neuen Schlagwörter sind, erinnert Cristina Peri Rossi an die Modellfunktion des Kinos: Weltstars wie Rodolfo Valentino, Orson Welles, Marlon Brando, John Wayne, Marcello Mastroianni, Alain Delon, Clint Eastwood - allesamt waren sie rauchende Helden. Humphrey Bogart machte in fast allen seinen Filmen als unwiderstehlicher Raucher Furore. Marlene Dietrich entzündete als Inbegriff der Femme fatale mit der Zigarette in der Hand derart die Leidenschaften, dass beides fortan unauflöslich verbunden schien.

Doch Cristina Peri Rossi hält sich nicht nur bei den Mythen auf. Sie erwähnt auch die handfesten Interessen der Tabakunternehmen, die jahrelang Hollywoodstars gratis mit Tabak versorgten. Sie beleuchtet die psychologischen Aspekte des Rauchens und gibt schließlich einen historischen Überblick, der mit Kolumbus beginnt: Als Christoph Kolumbus in Amerika landete und es für Indien hielt, wurde ihm von einem seiner Seeleute berichtet, hier gebe es seltsame Wilde, die durch Mund und Nase Rauch ausstießen, den sie durch ein braunes Rohr inhalierten, das an der den Lippen gegenüberliegenden Seite brenne.

Zwei Jahrhunderte später brachte die Tabakindustrie in Kuba eine kulturelle Kuriosität hervor: den Vorleser, der in den Fabriken mit lauter Stimme vorlas - Jules Verne oder Victor Hugo, Emile Zola oder Maxim Gorki und manchmal sogar Friedrich Nietzsche -, während zwei- oder dreihundert schwitzende Männer und Frauen Zigaretten drehten. Bis heute kann gemeinsames Rauchen ein Zeichen von Verbundenheit und Solidarität sein: Jemandem in einer schwierigen Lebenslage eine Zigarette anzubieten, drückt mehr aus als viele Worte.

Dieses leidenschaftliche und zugleich informative Buch über die Faszination der Zigarette ist die wehmütige Huldigung an eine "verführerische Geliebte", wie es im Buchtitel heißt: ein Sehnsuchtsbuch für Raucher wie Ex-Raucher.

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