Klimafreundliche Technik Grüne Riesen
Chicago, South LaSalle Street. Im elften Stockwerk eines schlanken Hochhauses sitzt Richard Sandor, 65, an seinem Schreibtisch. Von dort aus blickt er auf die Skyline der Metropole am Michigansee, wo vor gut 120 Jahren weltweit erstmals Wolkenkratzer errichtet worden waren. Am Handgelenk trägt der Manager ein grünes Plastikband mit der Aufschrift: "CCX - To Save the Planet".
CCX steht für Chicago Climate Exchange, eine Umweltfirma, die auch Amerikas Hochhäusern eine bessere Öko-Bilanz verpassen will. Denn die Turmbauten aus Beton, Stahl und Glas verschlingen bei herkömmlicher Bauweise gewaltige Mengen an Strom, Öl und Gas.
Sandor ist Vorsitzender der CCX. Das Unternehmen ist die Börse für Kohlendioxid-Verschmutzungsrechte, wie sie Stromerzeuger in Europa erwerben müssen, wenn sie Dreckschleudern betreiben.
Die Hochhäuser der Zukunft verwandeln sich nämlich immer mehr in Kraftwerke, die sich selbst versorgen. Je weniger Energie ein Bürogebäude für die Heizung, die Kühlung oder die Versorgung von Fahrstühlen, Rechenzentren oder Arbeitsbeleuchtung braucht, um so "grüner" ist sein "Rating".
Gestaffelt nach Punkten erfasst das amerikanische Leed-System (Leadership in Energy and Environmental Design) das Öko-Profil von Gebäuden. Bis zu 69 Punkte sind für die Verwendung von Recycling-Materialien, die Einsparung von Wasser, die Luftqualität am Arbeitsplatz und vor allem für den sparsamen Energieverbrauch zu vergeben.
Und auch wenn ein Hochhaus in der Nähe einer Bahn- oder Busstation liegt, verbessert das die Öko-Bilanz. Seit 2000 ist in den USA für 5300 Bauprojekte die Leed-Zertifizierung beantragt.
Für den preisgekrönten Entwurf des "7 World Trade Center", das sich 52 Stockwerke hoch als erstes neuerrichtetes Gebäude über dem Ground Zero der ehemaligen Zwillingstürme in Manhattan erhebt und über eine eigene Subway-Station verfügt, konnten 35 Punkte vergeben werden - Gold. Erst ab 52 Punkten gibt es Platin für besonders umweltgerechte Bürobauten.
Für den Bauherrn des neuen World Trade Center, den asthmakranken Investor Larry Silverstein, war es "keine Frage, dass wir grün bauen, denn ich weiß, wie wichtig es ist, gute Atemluft zu haben".
Dabei geht es nicht nur um die Lungen, sondern auch um den Geldbeutel der Bauherrn. Für Rudolf Glesti, den Leiter "Direkte Immobilienanlagen" des weltweit tätigen Rückversicherers Swiss Re bringen "ökologisch nachhaltige Gebäude bessere Nettorenditen". Denn je niedriger die Energiekosten, desto leichter lassen sich Büroimmobilien vermieten. Bis zu 70 Prozent weniger Energiebedarf können "intelligente" Gebäude nach Leed-Untersuchungen haben.
Und laut einer Studie des Lawrence Berkeley National Laboratory in Kalifornien bedeutet ein gesünderes Klima in den Bürotürmen bares Geld: Auf 6 bis 14 Milliarden US-Dollar werden allein die Gesundheitskosten durch Atemwegserkrankungen in klimatisierten Räumen geschätzt, bis zu vier Milliarden werden für Allergien und Asthma veranschlagt und bis zu 160 Milliarden durch Produktivitätsgewinne der Angestellten und Arbeiter.
So absolvierten nach US-Untersuchungen Studenten in Arbeitsräumen mit natürlichem Licht Mathematikarbeiten in 20 Prozent weniger Zeit, in Verkaufsläden mit Tageslicht ging die Ware schneller weg.
Nicht nur Verbraucherschützer und Ökologen, die seit Jahren ein sogenanntes Sick Building Syndrom wie Reizung der Schleimhäute oder Kopfweh beklagen, sondern auch Investoren interessieren sich daher für fortschrittliche Öko-Strategien beim Hochhausbau. Titel einer TV-Sendung über Öko-Architektur in der Wolkenkratzer-Hochburg New York: "The Green Apple".
Wolkenkratzer galten seit dem Ende des 19. Jahrhunderts als Ausweg aus einem anderen ökologischen Dilemma: Je mehr Wohn- und Bürohäuser in die Höhe gebaut wurden, desto weniger Grundfläche wurde verbraucht - ein Mittel gegen Zersiedelung und Flächenfraß. Über 400 Meter hohe Turmbauten in Chicago, New York oder Hongkong wurden zum Symbol der Moderne.
Dass die schlanken Riesen Energiefresser waren, störte die Bauherren nicht sonderlich: Energie war billig und reichlich vorhanden, Klimaschutz ein unbekanntes Wort. Doch mit steigenden Energiepreisen und wachsendem Umweltbewusstsein begannen auch auf ihr Image bedachte Spitzenarchitekten umzudenken.
Die prestigeträchtige Jagd nach Höhenrekorden ist zwar weiterhin im Gange. Jüngste Beispiele sind die Petronas Towers in Malaysia (452 Meter) und das Taipei 101 in Taiwan (508 Meter). Aber längst, so resümiert die "New York Times", werde von den Bauherrn auch gefragt: "Wie grün ist mein Hochhaus."
Doch so einig sich Bauherren und Architekten in der Zielrichtung "grün" sind, so unterschiedlich sind die Konzepte, nach denen Hochhäuser gebaut werden. So entpuppten sich etwa nach einer Untersuchung des Darmstädter Instituts für Wohnen und Umwelt von 24 Gebäuden mit Glasfassaden viele als wahre Schwitzkästen. Sie verbrauchten Primärenergie zwischen 300 und 700 Kilowattstunden pro Quadratmeter (kWh/m2). Das entspricht dem Niveau schlecht gedämmter Altbauten.
Doch immerhin erreichte der Öko-Pionier unter den deutschen Hochhäusern, die Commerzbank-Zentrale in Frankfurt, einen Wert von 520 kWh/m2. Das ist zwar immer noch sehr viel mehr als bei Gebäuden mit Steinfassaden, die gerade mal bei 100 bis 150 kWh/m2 liegen. "Der Vergleich ist aber nicht sachgerecht", urteilt Ingo Therburg vom Energiereferat der Stadt Frankfurt, denn in Bürohäusern könne sich der Energieverbrauch durch Rechenzentren oder Kantinen "schnell verdoppeln".
Im Vergleich mit dem Bonner Post Tower sieht das Commerzbank-Hochhaus schon heute ziemlich alt aus.
Im 2. Teil: Lernen von den Architekten arabischer Wohnhäuser
Das Architektenbüro Murphy/Jahn aus Chicago bestückte das 41 Stockwerke und 162 Meter hohe Gebäude mit diversen Zu- und Abluftschächten, die im Inneren einen sogenannten Kamineffekt erzeugen.
Fünf Skygärten im Gebäudeinneren, begrünte Zwischengeschosse, die sich über bis zu neun Stockwerke erstrecken, bilden den Klima-Kamin, in dem die erwärmte Luft aufsteigt und durch je nach Winddruck und Temperatur geöffnete Klappen wieder entweicht. "Das ist das erste Hochhaus mit dezentraler Belüftung", sagt Thomas Lechner, Bauprofessor in Kaiserslautern.
Beim "Klima-Engineering" haben sich die Experten der Transsolar-Energietechnik in Stuttgart, die für Großarchitekten wie Helmut Jahn oder Frank O. Gehry Energiekonzepte entwerfen, an alten Vorbildern orientiert. Transsolar-Partner Lechner: "In traditionellen arabischen Häusern ist der Kamineffekt seit Jahrtausenden bekannt."
Noch mehr ließen sich die Architekten im südchinesischen Guangzhou einfallen. Der "Pearl River Tower" der China National Tobacco Corp. soll wie eine Windmühle funktionieren. In dem 69 Stockwerke aufragenden Turm wird der vorhandene Wind in Öffnungen der Fassade aufgefangen. Damit soll nicht nur der Druck auf das Gebäude verringert werden, sondern der eintretende Wind soll Turbinen zur Stromerzeugung antreiben. Das beauftragte Architektenbüro SOM aus Chicago verspricht ein "selbstversorgendes Gebäude", ein vertikales Passivhaus.
Eine reiche Energieernte offerierte auch der Entwurf des Berliner Büros Léon Wohlhage Wernik für einen Fernsehturm ebenfalls in der kantonesischen Boomstadt Guangzhou. Mit 664 Meter Höhe, einschließlich der 155 Meter hohen Antenne, wären alle Höhenrekorde gebrochen. Eine Fassade aus Glasfaserkabeln und Fotovoltaik-Solarzellen sollte das Gebäude mit Energie versorgen.
In dem L-förmigen Riesen waren auf mehreren Stockwerken Themenparks, Restaurants und Freizeitstätten vorgesehen. Die Einnahmen aus Vermietung und Stromgewinnung hätten das Gebäude nach Auskunft von Planer Siegfried Wernik schon "in fünf Jahren" rentabel gemacht.
Die Realisierung scheiterte schließlich an nationalen Befindlichkeiten und den Baukosten von 240 Millionen Euro, die das Budget um das Doppelte überschritten. Die Stadtverwaltung gab daher bei dem britischen Büro Arup einen herkömmlichen Fernsehturm in Auftrag. "Die waren nicht mutig genug", sagt Architekt Wernik, "das wäre ein energiepolitisches Signal für ganz China gewesen."
Verpasste Chancen auch in Deutschland. So gehören die hochaufstrebenden Türme am Potsdamer Platz in Berlin nicht zur ersten Garde der Öko-Bauten. Zwar fängt das Daimler- Chrysler-Quartier von Renzo Piano wenigstens das Regenwasser für interne Spülzwecke auf. Aber im gesamten Quarré wurde kein einziger Bau der fortgeschrittenen Solar-Architektur realisiert. Eine ähnliche Pleite bahnt sich bei der Hamburger Hafencity an, Europas größtem Stadtentwicklungsprojekt. Ausgerechnet im städtischen Architekten-Wettbewerb für die dortige "Universität für Baukunst und Raumentwicklung" konnte ein erster Preis nicht vergeben werden: Die ökologischen Anforderungen waren von den Architekten missachtet worden.