Allergietests Dem Täter auf der Spur

Allergietest: Bei Allergien gegen Haustaub, Pollen oder Tierhaare kommt meistens der Pricktest zum Einsatz
Foto: CorbisDas Bauchweh kam aus heiterem Himmel: Blähungen, Durchfall, Krämpfe plagten Manfred Martin* immer wieder. Sein Arzt tippte auf eine Allergie, schließlich reagierte Martin seit Jahrzehnten auf Pollen. Doch was genau war der Auslöser, das Allergen?
Zu Beginn jeder Ursachenfahndung stehen ein Gespräch mit dem Arzt sowie ein Fragebogen: Wie sehen die Lebensumstände aus? Nimmt der Betroffene Medikamente, hat er Haustiere, gibt es familiäre Vorbelastungen? Und wann treten die Beschwerden auf? Diese Anamnese gibt erste Hinweise auf das Allergen - aber das allein reicht nicht. "Nur die Kombination aus Allergietests und Anamnese bringt einen zum Ziel", sagt Thomas Werfel, Hautarzt und Allergologe an der Medizinischen Hochschule Hannover.
Diverse Allergene, diverse Testmethoden
Bei Kontaktallergien, etwa gegen Substanzen aus Kosmetika oder Schmuck, kommt der Epikutantest zum Einsatz. Dafür wird das verdünnte Allergen mit einem Pflaster aufgetragen und dringt in die Haut ein. Nach zwei bis drei Tagen überprüft der Arzt, ob und wie die Haut reagiert hat.
Häufiger genutzt wird der sogenannte Pricktest. Er führt bei Verdacht auf eine Soforttyp-Allergie weiter, die Allergien also, auf die der Körper unmittelbar durch "hysterische" Abwehrsymptome reagiert, wie Niesattacken, Jucken und Husten oder Hautquaddeln.
Dieser Ausschlag zeigt sich auch, wenn beim Pricktest Lösungen mit Allergenen wie Pollen, Hausstaub, Schimmelpilzen, Gewürzen und Nahrungsmitteln auf die Haut aufgetragen werden.
In zwei Reihen werden diese Testflüssigkeiten auf die Innenseite des Unterarms getropft, danach wird die Haut durch die Tropfen (unblutig) angepikst, damit die Allergenlösung eindringen kann. An der Einstichstelle zeigt eine Quaddel bereits nach rund 20 Minuten eine Reaktion des Körpers an.
Hauttests sind nicht immer ausreichend
Bei Patient Manfred Martin reagierte die Haut nicht nur an den Stellen mit Pollenallergenen, sondern auch dort, wo Lösungen für verschiedene Gewürze, Soja, Milch, Erbsen und Linsen in die Haut eingedrungen waren.
Allerdings gilt der Pricktest bei Nahrungsmitteln als nicht so zuverlässig wie etwa bei Pollen. Daher setzte Martins Arzt auf einen zweiten Test, der häufig in der Praxis zum Einsatz kommt, einen Bluttest auf Antikörper vom Typ IgE; es sind Antikörper, den das Immunsystem gegen vermeintlich gefährliche Stoffe produziert. Mit dem Bluttest bestimmen Mediziner die Menge dieser spezifischen Antikörper auf bestimmte, bereits verdächtige Stoffe. Da die Tests im Labor ausgewertet werden, vergehen ein paar Tage bis zum Ergebnis. Martins IgE-Test bestätigte den Verdacht aus dem Pricktest. Der Test zeigte nicht nur erhöhte Werte für Pollen, sondern auch für einige Nahrungsmittel an.
Damit schien die Sache klar. Der 55-Jährige versuchte sich auf die neue Situation einzustellen und die vermeintlichen Allergene vier Monate lang zu vermeiden. Verbesserung? Keine. So landete er schließlich bei Sonja Lämmel, Ernährungsberaterin beim Deutschen Allergie- und Asthmabund.
Sie weiß um die Fehleranfälligkeit von Allergietests: Dass ein Test positiv ausfällt, zeigt lediglich, dass der Körper auf ein Allergen sensibilisiert ist. Das aber bedeutet nicht, dass dieses Allergen auch für die Symptome verantwortlich ist. Experten sprechen von einer "stummen Sensibilisierung", wenn ein Allergen trotz positiven Hauttests oder Allergienachweises keine Krankheitssymptome auslöst.
Symptom = Allergie?
Der hannoversche Allergologe Thomas Werfel schätzt, dass bei Nahrungsmitteltests rund die Hälfte der positiven Testergebnisse keine Relevanz für die Symptome hat. "Ein positiver Allergietest ist immer nur ein Hinweis auf eine Allergie", sagt auch Sonja Lämmel - kein Beweis.
Lämmel riet Martin deshalb zum nächsten Fahndungsschritt: Er sollte ein Tagebuch führen, detailliert alles Gegessene protokollieren, ebenso Zeit und Ausmaß der Beschwerden. Zusätzlich startete er eine Auslassungsdiät, bei der gezielt einzelne verdächtige Stoffe weggelassen wurden. Doch es änderte sich nichts, die Beschwerden verbesserten sich kaum. Über drei Monate hinweg versuchte Lämmel in mehreren Terminen mit Martin den Auslöser dingfest zu machen - erfolglos.

Weil die Suche nach dem Verursacher so schwierig ist, hoffen manche Betroffene auf alternative Methoden statt der Allergietests, wie sie in den Leitlinien der allergologischen Fachgesellschaften empfohlen werden. Diese alternativmedizinischen Tests halten einer wissenschaftlichen Überprüfung indes nicht stand.
Bei der Kinesiologie etwa werden die verdächtigen Stoffe auf bestimmte Körperregionen gelegt. Kann der Patient nicht gegenhalten, wenn der Kinesiologe gegen Arm oder Bein drückt, gilt das vermeintliche Allergen als identifiziert. In kontrollierten Studien ergaben sich allerdings keine Unterschiede zwischen Placebos und vermeintlich echten Auslösern.
Zu viele Testergebnisse verwirren
Das gilt auch für eine Diagnostik über Bioresonanz oder Elektroakupunktur. Die Schweizerische Gesellschaft für Allergologie und Immunologie kam 2006 zu dem Schluss: "Die klinische Überprüfung in verblindeten kontrollierten Studien zeigte für beide Verfahren in der Diagnostik keine Korrelation mit den Ergebnissen der anerkannten, wissenschaftlich geprüften Methoden."
Auch die Wissenschaft versucht, die Methodik von Allergietests zu verbessern. Der neueste Schrei sind Microchips, die mit mehr als hundert allergieauslösenden Einzelproteinen zugleich arbeiten. Ein Tropfen Blut aus der Fingerkuppe reicht, und die Chips zeigen an, gegen welche Stoffe der Patient sensibilisiert ist. "Die Analyse funktioniert mit dem Chip ähnlich gut wie mit etablierten IgE-Bluttests", sagt Werfel. Der Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie sieht dennoch ein Problem: Der Arzt ertrinke geradezu in Informationen. Man erhalte viele positive Testergebnisse, die aber nicht alle zu den Schilderungen des Patienten passen müssten.
Manchmal helfen nur Provokationstests, um eindeutig zu ermitteln, welcher Stoff das Immunsystem in Aufruhr versetzt. Dabei wird der Körper gezielt mit dem verdächtigen Stoff konfrontiert: Er wird beispielsweise in die Nase oder das Auge geträufelt, oder der Patient muss ein verdächtiges Nahrungsmittel essen.
Endgültige Gewissheit durch Provokationstests
Provokationstests sind sehr zuverlässig. Deshalb dienen sie dazu, Hinweise aus Haut- oder Bluttests noch einmal zu überprüfen und die auslösenden Allergene endgültig zu überführen. Sie bergen aber auch ein höheres Risiko. Im schlimmsten Fall kann der Organismus mit einem anaphylaktischen Schock reagieren, deshalb müssen solche Tests gerade bei Nahrungsmitteln stets unter ärztlicher Aufsicht stattfinden.
Als Goldstandard gilt die doppelblinde, placebokontrollierte Versuchsanordnung, bei der weder Patient noch Mediziner wissen, wann der verdächtige Stoff verabreicht wird und wann nur ein Scheinallergen. Solche Tests sind aufwendig und teuer und kommen daher nur selten zum Einsatz.
Bei Manfred Martin hatte Ernährungsberaterin Lämmel irgendwann den Verdacht, dass er gar keine Lebensmittelallergie hat, sondern eine Unverträglichkeit, bei der das Immunsystem nicht beteiligt ist.
Der Besuch beim Internisten und ein Atemtest bestätigten schließlich eine Laktoseintoleranz. Martins Dünndarm kann den Milchzucker nicht mehr verdauen, stattdessen zersetzen ihn Bakterien im Dickdarm, die dabei unter anderem Wasserstoff produzieren. Das Gas verursacht Blähungen und Bauchschmerzen. So stellte sich der Verdacht auf eine Allergie letztlich als falsche Fährte heraus.
*Name der Redaktion geändert