
Digitaler Aufbruch in der Autoindustrie: Das Zeitalter i
Digitaler Aufbruch der Autoindustrie "Ein großer Schritt Richtung Zukunft"

Ulrich Kranz, 56, ist einer der Visionäre bei BMW. In den Neunzigerjahren entwickelte er den erfolgreichen Geländewagen X5, "Project i" heißt der firmeninterne Thinktank, den der Ingenieur aufgebaut hat - und der die Bayerischen Motoren Werke in die Zukunft führen soll. Kranz sitzt seit diesem Jahr auch im Aufsichtsrat des Konzerns.
SPIEGEL: Herr Kranz, das Project i wurde anfangs innerhalb des Konzerns belächelt und als "Bastelgruppe Kranz" bezeichnet. Wie erklären Sie sich das?
Kranz: Belächelt ist das falsche Wort. Wir erhielten 2007 die sehr komplexe Aufgabe, BMW fit für die Zukunft zu machen. Mit neuen Ideen dafür zu sorgen, dass BMW auch 2020 und darüber hinaus an der Spitze der Branche bleibt. Ein solches Aufgabenspektrum erhält man nicht jeden Tag vom Vorstand. Natürlich gab es da hausintern einige Skeptiker.
SPIEGEL: War auch Neid dabei? Es heißt, Sie und Ihr Team seien mit einem üppigen Budget ausgestattet worden.
Kranz: Das Budget mussten wir uns erst erarbeiten, indem wir den Vorstand von unseren Ideen überzeugten. Aber ich war in einer komfortablen Position, weil ich die Mitglieder meines Teams aus allen Abteilungen des Konzerns frei zusammenstellen konnte. Das war enorm wichtig, immerhin sollten wir ein ganzheitliches Konzept erarbeiten. Denkanstöße zu neuen Technologien, neuen Materialien, anderen Fertigungsverfahren bis hin zu konkreten Modellen zu liefern, das war der Auftrag. Und das nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Profitabilität, sondern auch der Nachhaltigkeit.
SPIEGEL: Konnten Sie dabei transparent arbeiten, oder waren Sie und Ihre Leute eine Task-Force, die im Geheimen wirkte?
Kranz: Das Projekt war im Unternehmen durch vorausgegangene Strategie-Workshops bekannt. Außerdem hatte es sich natürlich herumgesprochen, dass ich Mitarbeiter rekrutiere. Zudem war unser Thinktank keine isolierte Insel. Wir zogen direkt aufs Werksgelände und hatten dort eine Prototypen-Werkstatt, um Ideen gleich umzusetzen.
SPIEGEL: Wie innovativ und verrückt wurde denn damals bei Ihnen gedacht, im Vergleich zu dem, was man als Ergebnis heute kennt?
Kranz: Genau kann ich Ihnen das nicht verraten, nur so viel: Für manche Details war vielleicht die Zeit noch nicht reif. Aber wir haben uns zum Beispiel von Anfang an gefragt: Wie sieht eine Produktion aus, bei der die Energie zum Bau der Fahrzeuge komplett CO²-frei erzeugt wird? Wie kommt ein Fertigungsprozess zustande, der 70 Prozent weniger Wasser verbraucht oder 50 Prozent weniger Energie? Diese Ziele haben wir uns früh gesetzt und auch unsere Lieferanten früh mit einbezogen. Das war schon sehr ungewöhnlich.
SPIEGEL: Klingt aber nicht nach Science-Fiction.
Kranz: Für mich sind unsere Fahrzeuge i8 und i3 schon ein großer Schritt in Richtung Zukunft. Den Elektroantrieb haben wir komplett im Haus entwickelt, auch die Batterie. Wir kaufen zwar die Batteriezellen zu, aber ich kann Ihnen verraten: Da ist noch Potenzial, sowohl was die Batterie angeht als auch in Bezug auf den Wirkungsgrad der E-Maschine. Auch bei der Vernetzung haben wir viel erreicht. Es gibt zum Beispiel eine App, mit der ich meinem i3 beim Frühstück sagen kann, dass ich demnächst losfahren möchte. Das Auto holt sich dann Energie aus der Steckdose, um die Batterie schon mal auf Idealtemperatur zu bringen.
SPIEGEL: Niemand kann heute abschätzen, welcher Antrieb sich durchsetzt. Deshalb muss man in alle Technologien investieren. Wie erleben Sie das?
Kranz: Es ist eine spannende Zeit. Es wird unglaublich viel geforscht, auch Diesel- und Ottomotoren werden immer weiter verbessert. Hybride, Plug-in-Hybride und natürlich die Brennstoffzelle - man muss wirklich bei allen Themen vorn dabei sein. Aber für die Megacitys ist der Elektromotor ganz sicher der Antrieb der Zukunft.
SPIEGEL: Finden Sie den i3 eigentlich radikal genug? Er ist zwar mit seinem hohen Carbonanteil und seinem Elektroantrieb unkonventionell, aber doch noch ein klassisches Besitzmobil. Sollten Elektroautos, die noch einen großen ökologischen Rucksack mit sich herumschleppen, nicht geteilt werden?
Kranz: Wir haben unser Programm DriveNow schon im Jahr 2011 gestartet, mit unseren Minis, mit dem BMW 1er und auch mit unserem umgebauten Elektro-1er. Dieses Pilotprojekt läuft in München, Berlin und San Francisco. Und in diesen Metropolen macht Carsharing absolut Sinn.
SPIEGEL: Jetzt haben Sie geschickt die Frage nach dem i3 umschifft.
Kranz: Im Jahr 2015 wird es den BMW i3 auch bei DriveNow geben.
SPIEGEL: Aber geraten Sie da nicht in eine Zwickmühle? Zurzeit bekommt man als Kunde für den Mehrpreis des i3 gegenüber einem vergleichbaren BMW ein ökologisches Statussymbol, mit dem man zeigen kann, dass man zur automobilen Avantgarde gehört. Wenn nächstes Jahr hundert i3 in Carsharing-Flotten herumfahren, fällt dieser Bonus aber weg.

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Kranz: Das glaube ich nicht. Wir haben für unser Project i gründlich recherchiert. Was sagen Städteplaner, Bürgermeister und Bürger weltweit, die in Megacitys leben? Dabei wurde deutlich: Die Leute möchten weiterhin individuelle Mobilität, sie wollen kein winziges Fahrzeug, und sie möchten auf nichts verzichten. Gleichzeitig ist bei Formgebung, Interieur und Materialien eine gewisse Kontinuität gewünscht, man darf da nicht zu radikal sein. Was den i3 angeht, denke ich, der Sprung war weit genug, aber nicht zu weit. Die Menschen wollen ein Fahrzeug mit kleiner Verkehrsfläche und maximalem Innenraum.
SPIEGEL: Zahlen Sie eigentlich bislang bei jedem verkauften i3 drauf?
Kranz: Man muss das in einem größeren Zusammenhang betrachten. Beim i3 haben wir Technologien und Themen erarbeitet, die nicht allein diesem Auto zugutekommen. Der Auftrag war eben nicht, einen Solitär zu entwickeln, sondern die BMW Group zukunftsfähig zu machen. Und die Investitionen lohnen sich, weil sie Auswirkungen haben auf das gesamte Unternehmen. Das wird man auch in Zukunft sehen.
SPIEGEL: Also werden sich Philosophie und Verfahrensweisen des Project i im BMW-Konzern weiter ausdehnen?
Kranz: Genau. Was wir erarbeiten, wird in Form von Know-how-Transfer in andere Produktlinien hineinwirken. Ich habe immer gesagt: Wenn wir gut sind, werden manche Dinge sofort übernommen. Und wir haben recht behalten, das werden wir bald sehen, gerade bei Nicht-i-Fahrzeugen.