Wie findet der Mensch sein Glück? Dreieck des Wohlbefindens

Was genau macht ein glückliches Leben aus? Ist es Geld, Liebe, Ruhm, innerer Frieden, Sex, Freundschaft, Bildung und Kultur, Gesundheit - und von allem möglichst viel?
Lachende Freunde: Menschliche Bindungen sind wichtig, damit sich das Leben gut anfühlt

Lachende Freunde: Menschliche Bindungen sind wichtig, damit sich das Leben gut anfühlt

Foto: Corbis

Ein zehnjähriges Mädchen, ein Single-Mann Mitte zwanzig, die Chefin eines Großunternehmens, ein Querschnittgelähmter oder eine rüstige Rentnerin haben natürlich sehr unterschiedliche Vorstellungen von dem, was ihr Herz erwärmt und die Welt für sie behaglich macht. Dabei ändern sich die Wünsche im Laufe der Zeit auch noch. Glück ist deshalb immer das, was sich jemand gerade darunter vorstellt.

Die Frage muss also lauten: Gibt es übergeordnete Faktoren, die es den Menschen erleichtern, morgens erwartungsfroh aufzustehen und abends mit einem Lächeln ins Bett zu fallen?

Jan Delhey, Soziologe und Glücksforscher an der Jacobs University in Bremen, hat mit seinen Kollegen von der "Happiness Research Group" nach diesen Bedingungen gesucht. Eine Reihe von gesellschaftlichen Faktoren spielen eine Rolle, so Delhey, aber auch individuelle. Aus seinen jahrelangen Studien hat er eine Glücksformel entwickelt: "Haben, Lieben, Sein" lautet sein Dreieck des Wohlbefindens.

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Geografie des Glücks: Lebenszufriedenheit in den Regionen und Großstädten

Foto: DER SPIEGEL; Quelle: Deutsche Post Glücksatlas 2012

Die drei Faktoren Haben, Lieben und Sein können je nach Typ unterschiedlich gewichtet sein, aber kein Aspekt kann einen anderen völlig ersetzten. Nur Geld allein macht nicht froh, kein Geld aber eben auch nicht; nur von Freundschaft kann niemand leben, ohne Freunde jedoch nur schlecht; und wer in der eigenen Anwesenheit auf der Welt nicht den geringsten Sinn erkennen kann, der hat es schwer, gutgelaunt unterwegs zu sein.

Das Essentielle muss gesichert sein

Viele Studien zeigen, dass die meisten Menschen in materiell gesicherten Verhältnissen leben müssen, um ihr Dasein genießen zu können. Täglich mühsam um das eigene Überleben zu kämpfen, stört das Seelenheil empfindlich. Deshalb kann Geld, entgegen dem Volksmund, durchaus glücklich machen. So ergab die Auswertung von 450.000 Fragebögen an der US-Universität Princeton, dass schnöder Mammon die Menschen froher macht - wenn auch nur bis zu einer bestimmten Höhe. Das Glückslimit lag in der Untersuchung bei rund 60.000 Euro Jahreseinkommen. Verdiente jemand mehr, fühlte er sich nicht automatisch noch wohler.

Aber Achtung: Der Mensch vergleicht sich mit anderen, will diese übertreffen und strebt immer nach mehr - oft ohne zu schätzen, was er hat. "Hedonistische Tretmühle" nennt das Hilke Brockmann, Bremer Kollegin von Delhey und ebenfalls Glücksexpertin. "Sich aus diesem Zwang zu befreien, ist nicht leicht, kann aber sehr hilfreich sein", rät die Wissenschaftlerin. Zumal sich der Reiz eines neuen Autos oder eines schicken Rings schnell abnutzt.

Menschliche Bindungen sind grundsätzlich sehr wichtig, damit sich das Leben gut anfühlt. Das belegen zahlreiche Untersuchungen. Ein fester Partner, eine liebevolle Familie, verlässliche Freunde steigern die Glückschancen des Einzelnen deutlich. Auch wer sich für andere einsetzt, etwa in der Nachbarschaft oder in Vereinen, ist im Durchschnitt zufriedener als ein stiller Stubenhocker. "Studien zeigen, wer regelmäßig Geld spendet, fühlt sich gut", sagt Delhey. Der glückliche Eremit ist und bleibt eine seltene Spezies.

Dabei weiß die Glücksforschung: Der Partner ist wichtiger als die Familie. Und im Durchschnitt am glücklichsten fühlen sich die Menschen, die lange mit demselben Partner zusammenbleiben.

Was bedeuten Kinder für das Glück?

Machen aber Kinder froher und ausgeglichener, wie immer wieder behauptet wird? Ja und nein. Forscher der University of Glasgow haben herausgefunden, dass verheiratete Paare umso glücklicher sind, je mehr Kinder sie haben. Bei Alleinerziehenden sorgen mehr Kinder jedoch nicht automatisch für mehr Glücksgefühle. Eltern erleben durch ihre Kleinen starke Momente der Freude, müssen im Alltag aber auch viel Kraft für die Erziehung aufwenden und erleben sich in ihrer Freiheit eingeschränkt.

Viele Kinderlose wiederum können nur schwer einschätzen, was genau mit Kindern in ihrem Leben anders wäre. Damit sind Kinder für sie auch kein entscheidender Glücksfaktor.

Auf jeden Fall sollte ein Mensch etwas für ihn Befriedigendes in seinem Leben tun. Das kann der Beruf sein, eine ehrenamtliche Tätigkeit, ein mit Leidenschaft betriebenes Hobby, der Glaube an einen Gott oder eine andere Art der Spiritualität. Zu versuchen, der eigenen Existenz einen Sinn jenseits von Essen und Trinken zu verleihen, kann eine große Quelle des Wohlbefindens bedeuten. Dabei muss es sich ja nicht gleich um den Plan handeln, die Welt zu retten.

Wird einem die Bereitschaft, glücklich zu sein, in gewisser Weise schon in die Wiege gelegt? Gibt es womöglich eine genetische Anlage zum Hochgefühl? Ein amerikanischer Psychologe lud Zwillingspaare zu einer Glücksanalyse. Er befragte eineiige, also genetisch identische Zwillinge nach ihrem Gefühlszustand. Eine Gruppe von ihnen war nach der Geburt zusammengeblieben, eine andere getrennt worden und unter verschiedenen Umständen aufgewachsen.

Auch die politische Situation beeinflusst das Wohlbefinden

Das Ergebnis: Die Aussagen der beiden Gruppen unterschieden sich kaum, was nahelegt, dass der Grad an Glück und Zufriedenheit auch von den Genen mitbestimmt wird. Jeder bekommt also wohl von seinen Eltern eine eher kleine oder große Portion Glück mit auf den Weg.

Sicher sind Forscher auch, dass gesellschaftliche Umstände das Glücklichsein fördern: politische Freiheiten, die einem erlauben, ohne Angst seine Meinung äußern zu können, zuverlässige staatliche Institutionen frei von Korruption, die einem ein Gefühl der Sicherheit geben.

Die heutigen Leistungsgesellschaften, die vor allem an Effizienz und Gewinnmaximierung ausgerichtet sind, haben spezielle Glücksbarrieren: "In einer Hochleistungswelt, wie wir sie heute bei uns haben, gibt es oft nur Anerkennung für den, der ganz oben steht, der die Goldmedaille gewinnt", kritisiert Soziologin Brockmann. "Dadurch werden die meisten Menschen immer wieder enttäuscht." So entsteht die Gefahr, ohne ernsten Grund zu klagen und auf hohem Niveau frustriert zu sein.

Grundsätzlich lässt sich Glück nicht erzwingen, das sagen alle Experten, es gibt keine Glücksstrategie mit Erfolgsgarantie. Wer also zwanghaft versucht, glücklich zu sein, hat beste Chancen, langfristig unglücklich zu bleiben. Ohnehin ist das Glück stets nur ein flüchtiger Begleiter. Niemandem gelingt es, dauerhaft im siebten Himmel der Gefühle zu schweben. Der permanente Rauschzustand würde unser Gehirn auch überfordern.

"Glück lässt sich nicht festhalten, aber immer wieder aktiv suchen", sagt Forscherin Brockmann. Wie hat es der Arzt, Komiker und TV-Moderator Eckart von Hirschhausen so nett formuliert: "Stellen Sie sich vor, Sie selbst wären das Glück. Würden Sie dann gern bei sich vorbeikommen?"

Dabei kann es schon helfen, die Ansprüche an das Glück nicht zu hoch zu schrauben. Der deutsche Schriftsteller Karl Gutzkow notierte nüchtern: "Irdisches Glück heißt: Das Unglück besucht uns nicht zu regelmäßig."

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