Wirksamkeit von Massage Streichen, pressen, kneten, klopfen

Viele Menschen lieben es, sich massieren zu lassen. Aber ist der Druck der Hände medizinisch auch hilfreich?
Eine große Anzahl von Massagen steht zur Auswahl - welche ist die passende?

Eine große Anzahl von Massagen steht zur Auswahl - welche ist die passende?

Foto: Lars Borges/ DER SPIEGEL

Massieren ist eine der ältesten Heilmethoden. Jeder Mensch hat es schon ausprobiert: Zwickt oder schmerzt es am Körper, drücken wir gern mit der Hand auf die Stelle oder streichen zart darüber, um uns Linderung zu verschaffen. Meistens tut das gut.

Die Ursprünge des Wortes Massage finden sich sowohl im Griechischen (massein - kneten), im Hebräischen (massa - betasten) als auch im Arabischen (massah - reiben). Die Wurzeln des absichtsvollen Drückens reichen zurück nach China ins dritte Jahrtausend vor Christus, zu den alten Griechen und Römern.

Um 400 vor Christus schrieb der griechische Arzt Hippokrates, der berühmteste Mediziner des Altertums: "Der Arzt muss viele Dinge beherrschen, in jedem Fall aber das Reiben." Gemeint ist damit die Massage. Der römische Herrscher Julius Caesar ließ sich, so ist es überliefert, regelmäßig massieren, unter anderem wegen starker Kopfschmerzen.

Große Auswahl, passend für jedes Weltbild

Heutzutage bieten Physiotherapeuten und andere Heilkundige ganz unterschiedliche Formen der Behandlung an: Klassische Massage, Bindegewebsmassage, Thai-Massage, Tuina-Massage, Shiatsu-Massage genauso wie Fußreflexzonentherapie, Ayurveda-Massage oder Breuss-Massage und vieles, vieles mehr. Manche Anwendungen werden mit Wärme, Klängen und Düften kombiniert, andere im Wasser vollzogen. Je nach Weltbild sollen die heilenden Hände gegen ganz bestimmte oder gleich gegen fast alle menschlichen Leiden helfen.

Aber was ist dran am Streichen, Kneten, Knubbeln, Pressen, Quetschen, Drücken, Klopfen, Handauflegen? Was sind aus verantwortungsvoller medizinischer Sicht wirksame Anwendungen, wobei handelt es sich eher um Wellness, und was ist schlicht Hokuspokus?

Der schwedische Gymnastiklehrer Per Henrik Ling erreichte Anfang des 19. Jahrhunderts, dass die Schulmedizin die Massage anerkannte. In dieser Zeit begannen Mediziner auch zu untersuchen, inwieweit Massagen wirksam sind.

Die Frage der Heilung bleibt unbeantwortet

Unstrittig ist heute, welche Effekte vor allem traditionelle Massagen im Körper erzielen können: Sie steigern die Durchblutung, versorgen die behandelten Regionen besser mit Nährstoffen, lösen Verklebungen zwischen Gewebeschichten, bauen Lymphflüssigkeit ab, entspannen die Muskulatur, lindern Schmerzen, beruhigen den Patienten insgesamt.

Doch welche Leiden und Krankheiten mit Hilfe von Massagen nachweislich gebessert oder gar geheilt werden können, diese Frage ist nur schwer zu beantworten.

Sehr häufig verordnen Ärzte Massagen, wenn ein Patient über Rücken- oder Nackenschmerzen klagt. Dazu urteilt das unabhängige Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen in Köln sehr vorsichtig: "Studien deuten an, dass klassische Massagen, Thai-Massagen und Akupressur mehrere Wochen anhaltende Kreuzschmerzen lindern können." Gleichzeitig stellten die Experten fest: "Doch nicht für alle Massageformen ist wissenschaftlich belegt, dass sie bei chronischen Rückenschmerzen wirksam sind."

Mobilisieren statt massieren

Wolfgang Ost, 51, betreibt gemeinsam mit sechs anderen Ärzten eine Praxis für Orthopädie und Unfallchirurgie in Nürtingen bei Stuttgart. Etwa 60 bis 70 Prozent seiner Patienten kommen in seine Sprechstunde, weil ihr Rücken sie quält. "Sehr viele dieser Kranken wünschen sich Massagen", sagt der Orthopäde, "aber ich verschreibe nur ungern welche." Warum? "Die medizinische Wirksamkeit von Massagen ist umstritten." Ost setzt eher auf Krankengymnastik, manuelle Therapie, "eine aktive Mobilisierung des Patienten". Dies sei wesentlich erfolgversprechender.

Genauso sieht das auch Professor Wolfgang Rüther, 62, Direktor der Klinik für Orthopädie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und Ärztlicher Leiter der dortigen Berufsfachschule für Physiotherapie. "Massagen haben bei Rückenschmerzen kaum einen therapeutischen Effekt", stellt er nüchtern fest. Grundsätzlich gelte: "Die klassische Muskelmassage ist heutzutage als Heilmittel fast bedeutungslos." Es fehle einfach die Evidenz, also der Nachweis, dass Massieren den Patienten tatsächlich hilft.

Für eine langfristige Besserung bei starken Rücken-, Schulter- oder Nackenschmerzen muss der Kranke seine Körperhaltung verbessern, bestimmte Muskeln trainieren oder eventuell sogar seine Lebensführung überdenken.

Es gibt verschiedene Denkansätze

Wie Massagen ein Leiden lindern oder gar heilen sollen, dazu gibt es zwei völlig unterschiedliche Denkschulen:

  • Der Druck der Hände hilft direkt an der Stelle, wo massiert wird. Das ist der klassische Ansatz.

  • Oder das Handanlegen kuriert Krankheiten über sogenannte Energiebahnen oder Reflexbögen, die sich nach dieser Vorstellung durch den ganzen Körper ziehen. Durch die Fußreflexzonenmassage etwa sollen auch die inneren Organe beeinflusst werden. So befindet sich angeblich an der Fußsohle des linken Fußes unter der Großzehe ein Areal, das aufs Herz wirkt: Wird dort gerieben und gedrückt, soll sich das positiv auf die Blutpumpe auswirken.

Für die zugrunde liegende Idee, "Energieblockaden" lösen oder "Energieströme" aktivieren zu können, gibt es allerdings keinerlei wissenschaftliche Belege. Hier wird die Therapie zur reinen Glaubenssache.

Eine ganz eigene Wirkung hat bei allen Behandlungsformen der direkte Kontakt zwischen Therapeut und Patient. "Der Wert des Massierens liegt vor allem in der menschlichen Zuwendung", erklärt Klinikchef Rüther. Da Massagen fast immer mit individueller Betreuung verbunden sind, empfinden viele Personen sie als überaus angenehm. So hilft die Behandlung vielen Kranken, sich kurzfristig wohler zu fühlen. Das kann unter anderem bei durch Stress bedingten Rückenschmerzen Erleichterung verschaffen.

Positive Nebeneffekte

Auch Patienten mit Depressionen berichten immer wieder von einem besänftigenden und ausgleichenden Effekt, wenn sie sich massieren lassen. Woran dies genau liegt, muss die Forschung noch klären. Wahrscheinlich spielt dabei der menschliche Kontakt die entscheidende Rolle. Kranken, bei denen die Flüssigkeit im Lymphsystem nicht normal transportiert wird, kann ebenfalls durch spezielle Massagen geholfen werden.

Als wahrer Mumpitz müssen jedoch die vielfältigen Massagemaschinen betrachtet werden, die heutzutage für zu Hause und sogar unterwegs angeboten werden. Nicht nur, dass die rotierenden Walzen oder vibrierenden Luftkissen oft technisch nicht viel taugen; vor allem fehlt die segensreiche menschliche Wärme des Massierenden. Für den Orthopäden Ost ist klar: "Die Geräte sind absolut sinnlos." Auch Wissenschaftler Rüther ist sich sicher: "Solche Maschinen nützen rein gar nichts."

Sich hingegen durch einfühlsam massierende Hände in völlige Entspannung entführen zu lassen - das kann wunderbar sein.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten