
Rettung dank Therapeut: Trotz Krisen noch immer ein Paar
Paartherapie "Den Schmerz ertragen"
SPIEGEL: Herr Schmidbauer, Sie leben seit über 30 Jahren in einer Beziehung und haben drei Töchter. Was ist das Geheimnis einer guten Partnerschaft?
Schmidbauer: Kommunikation und Kooperation. Ich hatte immer das Gefühl, dass wir in unserer Beziehung kooperiert haben. Wenn ich beleidigt war oder dachte, ich bin an einer Grenze, dann ist meine Frau auf mich zugegangen - und umgekehrt. Zu einer guten Partnerschaft gehört auch, dass man den anderen toleriert und manches einfach aushält.
SPIEGEL: Kommen manche Menschen in Ihre Praxis mit der Erwartung, dass Sie den Partner ändern können?
Schmidbauer: Das ist ein Grundmuster. Paare fangen an, sich Vorwürfe zu machen, wenn nicht alle Bedürfnisse erfüllt werden. Wenn es ein Problem gibt, ist es völlig klar, dass man es nicht bei sich selbst, sondern beim anderen sucht. Damit beginnt das typische Spiel von Unterstellungen und gegenseitigen Schuldzuweisungen: "Du sagst ja immer ...", "Du hast aber doch ...". Diese Vorwürfe führen zu Gegenvorwürfen, nach dem Motto: "Ich bin nicht schuld, und wenn du dich änderst, dann wird die Beziehung besser." Und das führt dazu, dass die Beziehung vergiftet wird und man nicht mehr miteinander umgehen kann.
SPIEGEL: Wann ist eine Therapie ratsam?
Schmidbauer: Wenn sich ein Paar in einem Kleinkrieg zermürbt. Und wenn die Beziehung die Lebensqualität beeinträchtigt und sich angesichts der Konflikte Symptome einstellen wie Ängste, Schlafstörungen oder Depressionen.
SPIEGEL: Wäre es nicht besser, schon vorher einen Therapeuten aufzusuchen?
Schmidbauer: Sicher, aber in der Realität fällt es Paaren schwer, Hilfe anzunehmen. Insbesondere Männer sehen es als Niederlage, mit den Problemen nicht selbst fertig zu werden. Oder es gibt auch diese Phantasie, die Liebe sei nicht groß genug, was als eine Kränkung empfunden wird. Oft ist die Therapie die letzte Maßnahme, die erst ergriffen wird, wenn das Paar Angst vor dem Scheitern hat.
SPIEGEL: Meistens ergreifen Frauen die Initiative.
Schmidbauer: Nach meiner Erfahrung werden Männer erst aktiv, wenn ihre Frauen sagen, ich trenne mich von dir, wenn du keine Therapie machst. Es gibt ja diesen wunderbaren Buchtitel, "Ich dachte meine Ehe sei gut, bis meine Frau mir sagte, wie sie sich fühlt". Das kommt relativ oft vor. Der Mann denkt, die Ehe funktioniert, wenn die Kinder gewaschen sind, ein Essen auf dem Tisch steht und manchmal noch Sex stattfindet. Die Frau hingegen ist ganz unzufrieden, sie sagt, so können wir nicht leben, wir unternehmen nichts gemeinsam, wir reden nicht miteinander. Frauen sind anspruchsvoller, weil sie genauer wissen, wie wesentlich Gefühlsbeziehungen sind.
SPIEGEL: Welche Rolle nehmen Sie als Therapeut ein?
Schmidbauer: In erster Linie bin ich Zuhörer und Aufklärer. Ich bin der Geburtshelfer bei der Erkenntnis, was überhaupt für ein Spiel gespielt wird. Als Therapeut sollte man versuchen, die Paardynamik zu verstehen. Und das, was ich sehe, verdeutlichen. So hat sich zum Beispiel eine Frau in einer Sitzung beklagt, dass ihr Mann immer so spät aus dem Büro kommt. Sie warf ihm das vor. Daraufhin kam er noch später nach Hause.
SPIEGEL: Was raten Sie dann?
Schmidbauer: Ich versuche, die Dynamik zu erklären, in der sie ihren Anteil am Konflikt erkennen kann. Vorwürfe sind das Mittel, ihren Mann dazu zu bringen, immer länger im Büro zu bleiben. Da bekommt er Anerkennung, zu Hause keine.
SPIEGEL: Was ist die Schlussfolgerung?
Schmidbauer: Die muss sie dann selbst ziehen. Ich beschreibe das psychologische Gesetz, das ist mein Job. Und sie muss sich überlegen, wie es ihr besser gehen könnte. Zum Beispiel könnte sie selbst etwas unternehmen. Wenn sie dann fröhlich nach Hause kommt, ist das produktiver, als ihren Partner anzumuffeln.
SPIEGEL: Kommt es vor, dass einer der Partner Sie auf seine Seite ziehen will?
Schmidbauer: Ja, und hinter dieser Haltung steht der Wunsch, dass ich ihm recht gebe und das unerwünschte Verhalten seines Partners abstelle. Diese Erwartung muss ich enttäuschen. Die Beteiligten müssen akzeptieren, dass Menschen umso weniger zu einer Veränderung bereit sind, je mehr Druck auf sie ausgeübt wird. Im Gegenteil, sie wehren sich gegen einen Angreifer und dessen reale oder imaginäre Verbündete.
SPIEGEL: Wie schaffen Sie es, als Paartherapeut neutral zu bleiben und Distanz zu wahren?
Schmidbauer: Es ist meines Erachtens viel stressiger, wenn man Partei ergreift, weil man den Überblick verliert. Außerdem hängt Neutralität mit meinem Rollenverständnis zusammen. Zur Haltung des Therapeuten gehört es, die Allparteilichkeit zu wahren und sich in jeden Partner einzufühlen, auch in seine Grenzen. Mein Ziel ist es, für beide und ihre Beziehung das Beste zu erreichen. Das ist natürlich begrenzt. Ich kann Menschen nicht glücklich machen. Es ist ein Kardinalfehler und gehört zum weiten Feld des Unprofessionellen, eine bessere Beziehung anzubieten.
SPIEGEL: Woran ist ein inkompetenter Therapeut denn zu erkennen?
Schmidbauer: Therapeuten, die rechthaberisch auftreten, nicht bereit sind, über ihre Methoden zu diskutieren, sind nicht geeignet für eine Beziehungsklärung. Das gilt auch, wenn einer behauptet, es sei normal, es sei in Ordnung, dass Klienten nach den ersten Sitzungen unglücklicher und unzufriedener sind als vorher. Oder wenn einer düster sagt, wer jetzt aufgebe, wandere in den sicheren Untergang, andere Therapeuten seien unfähig, andere Methoden wertlos.
SPIEGEL: Wie findet ein Paar heraus, welcher Therapeut am besten zu ihm passt?
Schmidbauer: Ich denke, man sollte sich auf sein Gefühl verlassen, weil man intuitiv sehr viel mehr wahrnimmt als rational. Es kommt darauf an, dass man sich wohlfühlt, damit man sich auch öffnen kann. Dazu gehört auch das Gefühl, dass der Therapeut kompetent ist und sein Handwerk versteht.
SPIEGEL: In der Paartherapie gibt es zwar eine Reihe von Modellen, aber keine umfassende Theorie.
Schmidbauer: Die meisten Paartherapeuten haben die Systemtheorie verinnerlicht, die eng verwandt ist mit der Psychoanalyse und der Verhaltenstherapie. Die wichtigste Erkenntnis der Psychoanalyse ist, dass die Erfahrungen der frühen Kindheit entscheidend die späteren Liebesbeziehungen prägen. Das Kind in einer Familie ist nicht als Monade zu verstehen, vielmehr hat die Beziehung der Eltern, die Art ihres Umgangs miteinander großen Einfluss. Wenn man den Patienten behandeln will, muss man die ganze Familie in den Blick nehmen und die Elternbeziehung zum paartherapeutischen Gegenstand machen.
SPIEGEL: Was müssen die Klienten dazu beitragen, dass die Therapie erfolgreich wird?
Schmidbauer: Eine Paartherapie kann Anstöße geben, aber sie kann eine Beziehung nicht kitten. Das muss das Paar selbst tun. Eine Beziehung ist wie ein Fluss, man kann Hindernisse wegräumen, die das freifließende Wasser stören, aber man kann nicht mehr Wasser in den Fluss leiten. Der Therapeut kann die Störungen aufheben, indem er die Einsicht in die Probleme erarbeitet und das Paar ermutigt.
SPIEGEL: Inwiefern?
Schmidbauer: Was ich wichtig finde, ist die Umstrukturierung von Ängsten. Nehmen wir an, ich bin eifersüchtig und hindere meinen Partner daran, einen Tanzkurs zu besuchen. Dann bleibt er zwar bei mir, aber er ist sauer. Wenn ich ihn gehen lasse, dann muss ich meine Eifersucht aushalten. Das ist auch unangenehm. Als Therapeut sage ich dann schon, der gute Schmerz ist, ihn gehen zu lassen. Und vielleicht kann der andere dazu beitragen, dass man diesen Schmerz erträgt. Indem er zum Beispiel früher, als er versprochen hat, heimkommt.
SPIEGEL: Sie geben durchaus praktische Ratschläge?
Schmidbauer: In solchen Fällen schon. Wenn ich das Gefühl habe, dass ich dem Paar helfe, störende Ängste zu überwinden, ist es auch eine gute analy tische Methode, direkte Strukturen zu setzen.
SPIEGEL: Das klingt so, als könne man Beziehung trainieren.
Schmidbauer: Das ist eine Illusion. Ich denke, das Lernen in Beziehungen ist vor allem das Ertragen. Man muss differenzieren zwischen aktiven und passiven Kompetenzen. Die meisten Menschen sind sehr leistungsfixiert und haben deshalb eine Vorliebe für aktive Kompetenzen: Sie hätten gern das ultimative Rezept, den Partner zu verändern. Die Paartherapie geht eher in die andere Richtung: das Einüben und Erwerben von passiven Kompetenzen. Die aktive Kompetenz wäre, meinen Partner vom Tanzkurs abzubringen. Die passive ist, ihn nicht an die Kette zu legen. Und wenn ich mir den Abend selbst gut gestalte und zufrieden bin, dann habe ich etwas dazugewonnen an Beziehungsstabilität.
SPIEGEL: Was sind die häufigsten Konflikte?
Schmidbauer: Ich würde schon sagen: Eifersucht. Und Diskrepanzen in der Erotik. Ungleichzeitigkeit von emotionalen Bedürfnissen.
SPIEGEL: Laut Umfragen ist das häufigste Beziehungsproblem fehlender oder unbefriedigender Sex.
Schmidbauer: Das ist nur die Spitze des Eisbergs. Unbefriedigender Sex ist ein Symptom für ein gestörtes Kommunikationsverhalten oder einen Mangel an gegenseitiger Bestätigung. Sex ist die elementarste Form von Anerkennung. Wenn einer der beiden das Gefühl hat, er bekommt nicht genügend Aufmerksamkeit, hat er natürlich auch keine Lust, mit dem anderen zu schlafen.
SPIEGEL: Paartherapeuten sagen, dass bis zu 70 Prozent der Paare, die eine Beratung in Anspruch nehmen, nach der Geburt eines Babys in Beziehungsschwierigkeiten geraten sind. Ist das auch Ihre Erfahrung?
Schmidbauer: Es herrscht noch immer die Vorstellung, ein Kind festige eine Ehe. Das Gegenteil ist der Fall: Die Geburt eines Kindes ist der häufigste Scheidungsanlass. Das liegt an der speziellen Situation in modernen Beziehungen. Solange sich das Paar nur gegenseitig hat, werden kindliche Bedürfnisse an Aufmerksamkeit, die gar nicht formuliert werden müssen, befriedigt. Ein Kind reißt diese Bestätigungen an sich, denn es ist ja ganz real bedürftig. Das ist für viele sehr schwer auszuhalten.
SPIEGEL: Erleben Sie in Ihrer Praxis, dass Paaren die Sexualität und Lust abhandenkommen, sobald Kinder da sind?
Schmidbauer: Das ist häufig ein Problem. Da stellt sich die Frage, ob das Paar in der Lage ist, eine alltagstaugliche Sexualität zu entwickeln, die nicht auf Verliebtheit angewiesen ist. Wenn ein Baby in die Familie kommt, muss man sich Raum für die Erotik schaffen: einen Babysitter organisieren oder das Kind bei den Großeltern unterbringen. Man kann nicht mehr spontan sein, sondern muss plötzlich taktisch werden. Viele erleben dies als eiskaltes Management. Ein Paar, dass seine Erotik trotz Kinderstress retten will, muss Spaß daran haben, diese zu planen.
SPIEGEL: Ist die Erwartung, Liebe, Freundschaft und Sex dauerhaft in einer Zweisamkeit zu vereinen, nicht ohnehin eine Überforderung?
Schmidbauer: Sicherlich. Ich denke, es ist viel gewonnen in einer Therapie, wenn sichtbar wird, dass man eigentlich keinen schlechten Griff gemacht hat mit dem Partner. Menschen neigen dazu, sich an Idealen zu messen. In der Realität muss man Durchschnitte vergleichen.
SPIEGEL: Ist eine Therapie auch dann erfolgreich, wenn das Paar sich trennt?
Schmidbauer: Wenn sich die Partner dafür entscheiden, ihre Beziehung zu beenden, wäre das Ziel der Therapie, den Grund zu verstehen. Die daraus gewonnen Einsichten können dann zwar nicht in der gegenwärtigen, aber in der nächsten Beziehung genutzt werden.
SPIEGEL: Was lernt man aus gescheiterten Beziehungen?
Schmidbauer: Zu verstehen, warum es nicht gegangen ist, was man nicht ausgehalten hat und was man dem Partner angetan hat. Es gehört zu einer erwachsenen Verarbeitung von Trennungen und Scheidungen, zu sehen, welche Fehler man gemacht hat und wie man sie vermeiden kann.
SPIEGEL: Was kann man tun, um miteinander befreundet zu bleiben nach der Trennung?
Schmidbauer: Entscheidend ist, ob man bereit ist, die eigene Verantwortung für das Scheitern zu übernehmen. Eine Beziehung ist eine GmbH, in der jeder von beiden 50 Prozent Anteile hat. Wenn ich das akzeptieren kann, dann sehe ich, dass man Gemeinsamkeiten und gute Zeiten miteinander hatte, auf denen man aufbauen kann. Solche Paare sind in der Lage, auch nach einer gescheiterten Liebesbeziehung befreundet zu sein.