Achilles' Verse Fett, nicht fit

Lecker Zimtsterne: Eine der vielen süßen Versuchungen
Foto: DPAOh, großer Trainer im Himmel, vergib den sündigen Läufern ihre verdammten Fressanfälle. Verwandele Schokolade in Tofu und fettes Fleisch in Magerquark. Überall lauern die Gefahren für den Läuferleib, der seine stählernen Zeiten schon wieder seit Monaten hinter sich hat. Eine Wampe, wie aus Marzipankartoffeln modelliert und kein Ende der Spachtelmasse in Sicht. Zugleich kaum Zeit für Training. Zu viele Fresstermine.
Die Einladungsliste dieser Woche birgt schon wieder ein Kalorien-Inferno: drei Weihnachtsfeiern, jeweils zwei Gänse-Essen und Weihnachtsmarktbesuche, dazu der restliche Süßkram von Nikolaus, der so in der Wohnung verteilt ist, das man gar nicht umhin kommt, praktisch unbemerkt im Vorbeigehen ein halbes Pfund Schokolade (530 Kalorien, Angaben jeweils für 100 Gramm) zu inhalieren. Ganz am Ende, wenn gar nicht anderes mehr da ist, sind auch noch die zähen Printen (430 Kalorien) von Tante Ruth aus Aachen fällig, die angeblich eine Spezialität sein sollen, sich aber genauso gut als selbstklebende Zwischensohle im Winterschuh machen würden.
Das Problem ist ja ein doppeltes: Die Zeit, die man nicht läuft wegen der vielen gesellschaftlichen Verpflichtungen, die verbringt man mit Futtern. Also Treibstoff ohne Ende, aber ein Motor, der nur im Standgas tuckert. Man kann den Hüften beim Ausstülpen zuschauen. Advent, Advent, kein Kohlenhydrat brennt, wie der gestrige Montag wieder mal schmerzlich bewies. Zum Frühstück den Reststollen vom Wochenende (mit Marzipan), locker 200 Gramm, macht 800 Kalorien. Im Büro ein halbes Dutzend jener köstlichen selbstgebackenen Vanillekipferl von der herzensguten Frau Mönnich (60 Kalorien das Stück) mit je einem Dominostein als Belag (je 25 Kalorien).
Komischerweise hatte die gigantische Kantinen-Kohlroulade, die in einem guten Liter Soße angeschwommen kam, keinerlei Probleme, in die mikroskopisch kleinen Zwischenräume zu schlüpfen, die mein seit Wochen überfüllter Magen überhaupt bot. Der Verdauungstrakt fühlt sich an wie eine Altpapiertonne, die seit Wochen nicht geleert, aber täglich gewaltsamer gefüllt wird.
Nur mal theoretisch: Selbst ein strammer Stundenlauf über elf Kilometer in der Mittagspause, der so um die 1000 Kalorien vernichten soll, hätte kaum gereicht, das Gevölle des Vormittags abzufackeln. Womit wir beim nächsten Problem wären: Voller Bauch, der läuft nicht gern. Schwimmen soll man ja nach dem Mahl auch nicht.
Weil aber in der Weihnachtszeit nach dem Essen ständig vor dem Essen ist, gibt es folglich kaum eine freie Minute fürs Laufen. Allein der Gedanke daran macht mich seekrank. Dabei müsste ich dringend mal wieder; wenn ich überhaupt noch in diese verdammt engen Hosen passe.
Spätestens am Nachmittag beim Gang auf den Weihnachtsmarkt ist das schlechte Gewissen gemeinsam mit dem guten Vorsatz schlagartig verschwunden, gerade so, als ob der Eierpunsch derlei Gedanken verfliegen lässt. Kann es sein, dass stark gesüßter Eierlikör mit viel süßer Sahne und einer Extraportion Zucker eine extrem psychedelische Wirkung hat? Ich schwöre, ich wollte mir ein stilles Wasser bestellen, aber die bezaubernden Kollegen hatten mir bereits ein Glas gelber Pampe in die Hand gedrückt. Kann man ja nicht ablehnen, wäre sehr unhöflich.
Mit jedem Schluck spannte sich das Finisher-T-Shirt, das ich unter dem Geschäftshemd trug, ein wenig strammer um mich herum, obwohl es schon ein XL war. Die Hungerhaken, die ich abends mit Kopflampe durch den Tiergarten wieseln sah, als ich mit dem Auto nach Hause fuhr, die machten mir Angst vor mir selbst. Herr Doktor, bin ich noch normal, wenn ich nicht mit einer Diodenfunzel am Hirn zwischen den Bäumen herumstolpere?
Zuhause überraschte mich Mona netterweise mit einer Monster-Käseplatte. Ich hätte die ganze Nacht wetzen müssen, um das Kalorienkonto wenigstens auszugleichen. Am Wochenende habe ich mich mit Klaus-Heinrich und seiner Glühweinfahne durch den Grunewald gequält. Nicht auszuschließen, dass der ein oder andere Vogel vom Baum gefallen ist, nachdem er versehentlich ins Klaus-Heinrichs Ausdünstungen geraten war.
Kann auch sein, dass die nächste Erdbebenzentrale leichte Ausschläge verzeichnet hat, dort, wo wir auftraten. Eng anliegende Läufertextilien in bunten Farben können nicht nur optisch unvorteilhaft sein. Am Schlachtensee liefen ein paar Kinder hinter uns her. Wahrscheinlich wollten sie ein Autogramm. Sie hielten uns für Teletubbies.