Achilles' Verse Flaschen unter sich

Triathleten in Aktion: Vertrockneter Bernhardinerschwanz
Foto: REUTERSAuf Jürgen Klinsmann ist ja schon jede erdenkliche Hymne geschrieben worden. Nur eine noch nicht. Das Loblied des Hobby-Sportlers. Machen wir uns nichts vor. Der Juli ist der Monat tiefster Frustration für uns Ausdauer-Giganten. All die Versprechungen, das Wintertraining werde sich bemerkbar machen, all die Hoffnungen auf eine Sommersaison ohne Zipperlein bleiben jedes Jahr aufs Neue unerfüllt. Die niederschmetternde Bilanz zu Beginn der Sommerferien lautet: zuviel trainiert oder zu wenig, auf jeden Fall aber falsch. Also hechelt man ein paar Wochen noch verbissener zu viel oder zu wenig, und schon ist die Form endgültig ruiniert.
Nur dieses Jahr nicht. Ein Wunder ist passiert. Dem Heiligen Klinsi sei Dank. Es geschah beim Berliner Volkstriathlon, der zweitbesten Veranstaltung im Jahr nach dem Ironman. Die entscheidenden beiden Vorteile des Volkstriathlons gegenüber Hawaii: 700 Meter Schwimmen, 19 Kilometer Rad und 5 Kilometer Laufen sind überschaubar. Und Angeber mit Lizenz dürfen nicht mitmachen. Hier kämpft das Volk, vor allem gegen sich selbst. Eine wunderbare Aufbauveranstaltung für solche, die das ganze Jahr noch keinen einzigen vernünftigen Wettkampf absolviert haben für mich also.
Die Vorahnungen allerdings verhießen nichts Gutes. Drei Wochen WM schon, mindestens drei Bierkilo am Leib, die sich zusammen mit den anderen überflüssigen Pfunden an meiner Hüfte festgekrallt hatten. Aber es war einfach unmöglich, zu trainieren die vergangenen Wochen. Vor den Spielen war es zu warm, außerdem bin ich kein Morgentrainierer. Nach den Spielen war es zu dunkel. Und die Pausen dazwischen zu kurz. Die anspruchsvollste Strecke in diesen Tagen war die Kellertreppe, um den Neoprenanzug aus dem Winterschlaf zu holen. Hmmh, ich hatte ihn etwas geräumiger in Erinnerung. Laufen die Dinger ein? Unser Keller ist ja sehr trocken. Und der Einteiler erst.
Es gibt ungefähr ein vorteilhaftes Foto von mir in dem Ding, es war nach einer zweimonatigen Diarrhöe. Von Anziehen konnte keine Rede sein. Schon das erste Bein weigerte sich, durch die viel zu enge Öffnung zu passen. Wenn man ein bisschen reißt, knackt es leise und man hat ein paar Nanometer gewonnen. Das Bein tat weh in dem Ding, die Durchblutung würde komplett abgeschnürt im Wettkampf. Luftholen war unmöglich. Ich überlegte, mich bei Metzger Bachhuber durch die Wurstmaschine direkt in den Neo zu drücken. Mit mir hatte eine Ottfried-Fischerisierung stattgefunden. Mir war schlecht. Ich hatte Hunger. Und Durst vor allem. Es ist grausam, wenn man sich an regelmäßigen Bier-Konsum gewöhnt hat. Man braucht einfach seine tägliche Dosis.
Was sollte der Tri-Quatsch überhaupt? Ich hatte keine Lust, mich zu blamieren. Andererseits: Wenn nicht hier, wann dann überhaupt noch mal starten in diesem Jahr? Der Volkstri ist der Altglascontainer des Ausdauersports: Flaschen unter sich. Es war viel zu früh am Sonntag. Ich suchte mir eine Stelle im Wald, um mich in den Neo zu pressen. Um mich herum ging das gesamte Startfeld in aller Seelenruhe pinkeln. Alle grinsten. Ich hasste sie. Zum Schwimmstart muss man erst einmal einen Kilometer laufen. Das taucht in der Gesamtstrecke überhaupt nicht auf. Ich schwitze. Statt Zunge trug ich etwas im Mund, das schmeckte wie ein vertrockneter Bernhardinerschwanz.
Meine Taktik für heute war simpel: Bloß nicht hetzen. Lass die anderen machen. Mein Schwimmtempo genügte gerade, um über Wasser zu bleiben. Auf dem Rad lief es überraschend gut, obwohl ich kaum trainiert hatte. Der Tacho zeigte Zahlen an, die ich seit Ewigkeiten nicht gesehen hatte. Ich überholte tatsächlich dann und wann einen Mitstreiter. Der Lauf schließlich war ein reines Vergnügen. Nichts tat weh, so wie sonst immer. Am Ende war ich eineinhalb Minuten schneller im Ziel als zu meinen besten Tagen, irgendwann kurz nach dem Krieg. Es war ein Wunder. Dick und untrainiert, dazu eine ausgeprägte Scheißegal-Haltung - wie konnte einem da eine Bestzeit unterlaufen?
Ganz offenbar hatte es was mit den weichen Faktoren zu tun. Die Quasi-Ruhewochen während der WM hatten den Akku gefüllt. Alle kleinen Verletzungen waren unmerklich auskuriert worden. Die Sportlerseele ruhte in tiefem Fußball-Patriotismus. Das war das Klinsmann-Konzept für die persönliche Spitzenleistung. Leider war das alles eine reine Zufallskonstellation, die sich nie so wiederholen lassen wird. Oder? Vielleicht habe ich es bis zur nächsten WM ja vergessen.