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FORMEL-1-RENNEN Alles im Plan

Ungarn veranstaltet 1986 das erste Formel-1-Rennen im Ostblock und verspricht dazu einen Rennkurs für das Jahr 2000. *
aus DER SPIEGEL 3/1986

An einer Theke in Rio trafen sich Anfang 1985 zwei Ungarn, ein Emigrant und ein Funktionär aus Budapest. Die beiden brüteten das überraschendste Sportereignis des Jahres 1986 aus - das erste Formel-1-Rennen im Ostblock.

Der ausgewanderte Tamas Rohanyi, 46, arbeitet beim größten brasilianischen

Privatsender, »TV Globo«, Tibor Balogh, 47, ist Generalsekretär des Ungarischen Automobilklubs; beide sind ausgepichte Motorsportfans und waren zum »Großen Preis von Brasilien« nach Rio angereist. Gemeinsam spannen sie am Traum ihres Lebens.

Mit Erfolg: Am 10. August wird der Grand-Prix-Zirkus, ein Sinnbild kapitalistischen Gewinnstrebens, in Ungarn einfallen. Ein Panorama aus Produktwerbung wird die Landschaft verstellen, zum erstenmal erleben Fans im Ostblock live die werbebepflasterten Ungetüme von Rennwagen und deren Fahrer als wandelnde Litfaßsäulen. Die erzkapitalistische Raserei vor Werbekulissen will die Intervision des Ostblocks von Prag bis Moskau und bis in entfernte sibirische Blockhütten übertragen.

Bei ihrem Debüt im kommunistischen Osteuropa sollen die rasenden Werbeträger über »einen Kurs für die Jahrhundertwende« röhren, wie Bahnarchitekt Istvan Papp versprach, eine »Anlage, die den Weg in die Zukunft weist«. Papp beriet sich drei Tage in London mit dem Briten Bernard Ecclestone, dem Chef der Konstrukteurs-Vereinigung Foca, der den Ungarn die Lizenz für den ersten Grand Prix im Ostblock verkaufte.

Acht Monate Zeit haben die Veranstalter, ihre 3895 Meter lange Rundstrecke mit sieben Links- und acht Rechtskurven bei den Ortschaften Mogyorod und Kerepestarcsa nordöstlich von Budapest in ödes Gelände zu pflastern. Anders als auf westlichen Pisten werden die Leitplanken dichter zur Ideallinie stehen, damit die fahrenden Geschosse bei Unfällen weniger Fläche zum Schleudern vorfinden.

Zwei Kurven ziehen die Planer besonders eng, einmal um das fahrerische Können herauszufordern, außerdem um das Tempo zu drosseln. Die Organisatoren erwarten Durchschnitts-Geschwindigkeiten von 170 bis 190 km/h.

Um eventuelle Rettungsmaßnahmen zu beschleunigen, konzentrieren sich ein Hubschrauber, die Ambulanz- und Rettungswagen nahe den Boxen. Von dort können sie jeden Punkt schnellstens erreichen. Der Innenraum bleibt von Zuschauern frei.

Die Chance, das aufwendigste Rennsport-Spektakel der Welt nach Ungarn zu holen, standen günstiger denn je: 1985 fand der Grand Prix von Südafrika wegen der zunehmenden Unruhen gegen den burischen Rassismus zum vorerst letzten Mal auf dem Kyalami-Kurs statt.

Überdies hatten die Grand-Prix-Veranstalter, so die »Frankfurter Rundschau«, »einen geradezu katastrophalen Einbruch«- erlebt. Nach Preiserhöhungen bis zu 30 Prozent zahlten am Nürburgring nur 45000 Fans, Estoril stellte beim Grand Prix von Portugal mit 11000 Zuschauern einen Minusrekord auf. Im motorsportlich verkümmerten Ostblock herrscht dagegen Nachholbedarf.

Zwar hatten auch Prag und Moskau Interesse angemeldet, aber nur in Budapest fand Grand-Prix-Manager Ecclestone »den Geschäftssinn und die Mentalität vor, die zur Durchführung eines WM-Laufes unerläßlich sind«, eben Verständnis für kapitalistisches Gebaren. Und Erfahrung: Als einzige Ostblock-Stadt beteiligt sich Budapest am internationalen Leichtathletik-Zirkus mit einem Devisen-Sportfest, bei dem West-Stars Dollars kassieren.

Die Entscheidung über das kapitalistische Abenteuer, das der Emigrant Rohanyi ausgeheckt und Balogh, der Generalsekretär des Automobilklubs, zu Hause propagiert hatte, traf das höchste politische Gremium Ungarns, das Politbüro. Mögliche Opposition gegen das westliche Spektakel auf sozialistischem Boden unterliefen die Politiker: Sie »behandelten den Plan als wirtschaftliche Angelegenheit«, berichtete Balogh, »so wirbelte er keinen Staub auf«.

Passend zum Fünfjahresplan schlossen die Ungarn mit Ecclestone auf fünf Rennjahre ab. Als Hauptmotiv nannte die »Financial Times«, »dringend benötigte harte Währung hereinzuholen«. Den Staat kostet das Vorhaben keinen Forint. Koordiniert von der Nationalbank bringen der Ungarische Automobilklub, die Reiseagenturen »Ibusz« und »Cooptourist«, dazu die »Asphalt«-Straßenbaugesellschaft sowie das Transportunternehmen »Volan« den Etat von umgerechnet 11 Millionen Mark auf.

Dafür erschließt der Rennkurs eine touristisch unterentwickelte Region. Die vor allem aus Österreich und der Bundesrepublik erwarteten 30000 ausländischen Rennsportfans sollen Devisen bringen und zudem die Hotel-Kapazität in Budapest auslasten helfen. Mit den TV-Einnahmen hoffen die Planer ihre Devisen-Ausgaben in drei Jahren zu amortisieren. Das Hauptrisiko ist die Lizenzgebühr, die Ecclestone für die Beschickung eines Formel-1-Rennens fordert: mindestens drei Millionen Dollar.

Die neue Rennstrecke, das Gelände auf dem sie entsteht, Infrastruktur und Organisation können die Veranstalter in Forint zahlen. Mit Rücksicht auf den Umweltschutz verzichteten sie darauf, das Rennen in Budapest auszutragen. Statt dessen kauften sie einer Genossenschaft in der Provinz für 550000 Mark brachliegende Fläche minderer Qualität ab. Hügel formen natürliche Tribünen, von denen aus 8O Prozent des Kurses zu überschauen sind. Nur im Start- und Zielbereich werden Metallrohr-Tribünen aufgestellt.

Zur Einstimmung holten die Planer im November 1985 zur ersten »Hungarian Racing Car Show« Rennwagen von Brabham und McLaren nach Budapest. Die Formel-1-Stars Nelson Piquet und Keke Rosberg erschienen als Gäste. Ein Sonderjournal trug den Titel: »Ihr Leben - die Raserei«.

Im Juni findet die Generalprobe mit einem Tourenwagen-Rennen statt. Dann bleiben noch zwei Monate zu Korrekturen.

Nur eines wurmt die Organisatoren des ersten Grand Prix im Ostblock. Sie dürfen die Kapazität von 150000 Zuschauern nicht ausschöpfen. Denn der Etat gibt nur 400 mobile Toiletten her. Das reicht nach den Bestimmungen nur für 120000 Zuschauer.

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