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Angst vor Anfängern

Für Formel-1-Rennen finden die Rennställe keine Lauda-Nachfolger mehr. Neulinge bringen sich und die Weltmeister in Gefahr.
aus DER SPIEGEL 10/1978

Den ersten Gefahrenpunkt entdeckte Automobilweltmeister Niki Lauda in Monza bereits am Startplatz. Neben ihm stand der Rennwagen von Ricardo Patrese. »Das ist ein Anfänger, und dazu noch ein Italiener«, murrte Lauda. Dann winkte er den Nachwuchsfahrer zu sich.

»Grüß Gott, ich bin der Lauda und fahr hier um die Weltmeisterschaft.« Patrese verbeugte sich und stammelte »si, si«. Der Weltmeister befahl: »An der ersten Schikane kannst du machen, was du willst. Fahr« vor mir oder fahr« hinter mir, aber tauch mich nicht.«

Der Rüffel wirkte. Lauda kam als Zweiter ins Ziel. Schon oft hatten Neulinge in der höchsten Autorennwagen-Klasse Karambolagen und Ausfälle verursacht. »Wo ist der verfluchte Patrese«, schrie der deutsche Rennfahrer Hans-Joachim Stuck in Zolder nach dem Großen Preis von Belgien. Kurz nach dem Start hatte ihn Patreses Shadow »glatt abgeschossen«, wie Stuck berichtete. Mit zerknitterter Haube und verbogenem Schaltgestänge hielt der Deutsche gleich wieder zur Reparatur an der Box. Er büßte zwei Runden ein.

Noch schlimmer widerfuhr es dem Schweden Ronnie Peterson letzten Herbst im japanischen Fuji. Vor dem Einbiegen in eine Kurve glaubte Peterson zunächst an den Weltuntergang. »Ich habe einen starken Schlag gespürt und dann einen roten Schatten über mir gespürt.«

Der rote Schatten war der Ferrari des kanadischen Grand-Prix-Neulings Gilles Villeneuve. »Jesus Christus, hoffentlich überlebe ich das«, schrie Villeneuve im Fluge. Er und Peterson überlebten. Zwei Zuschauer lagen tot an der Rennstrecke, neun andere wurden von Sanitätern geborgen.

Nicht immer hatte die Premiere junger Fahrer so glimpflich geendet. Seit 1948 starben 72 Grand-Prix-Fahrer, auch Weltmeister darunter; nicht selten hatten Fehler von Neulingen die tödlichen Unfälle bewirkt.

»Höchstens zehn Prozent aller Unfälle verursachen erprobte Fahrer selbst«, berichtete Weltmeister Jochen Rindt. »20 bis 30 Prozent Anteil haben Materialfehler, mindestens 50 Prozent aller Karambolagen entstehen durch Anfänger.« Rindt verunglückte in Monza tödlich.

Tod, Invalidität oder rechtzeitiger Verzicht dezimierten die Elite der Formel-1-Rennfahrer. Befähigter Nachwuchs bot sich in den letzten Jahren immer seltener an. Mancher überlebte nicht einmal den Aufstieg über die Formel 3 oder 2 zur Grand-Prix-Klasse.

Auch Weltmeister Lauda riskierte in den unteren Klassen mehrfach sein Leben und baute Unfälle. Laudas Devise: »In meiner Klasse muß ich alles niederbügeln.« Diese Entschlossenheit zum Aufstieg besitzen zwar alle Anfänger, doch nur wenige verfügen über das Können wie einst Rindt oder jetzt Lauda.

Von den etwa 50 Rennfahrern, die an Formel- 1-Rennen teilnehmen dürfen, besitzen bestenfalls acht Aussichten auf den Weltmeistertitel. Bei den anderen reicht das Können nicht aus.

Obwohl die drei deutschen Grand-Prix-Fahrer Hans-Joachim Stuck, Jochen Mass und Rolf Stommelen schon jahrelang dabei sind, gelten sie noch immer nicht als Titelanwärter. Keinem glückte bisher der Sieg in einem Grand-Prix-Rennen, obwohl sie Wagen steuerten wie McLaren und Brabham, mit denen andere Weltmeister geworden waren.

In 17 Läufen mit durchschnittlich 24 Startern ermittelte die Formel 1 jährlich den Weltmeister -- es ist der Fahrer, der aus allen Rennen die meisten Punkte auf den Plätzen eins bis sechs sammelt.

»Vorne ankommen und punkten ist manchmal wichtiger, als auf Teufel komm raus Erster zu werden«, rät Weltmeister Lauda. So wurde der Amerikaner Maria Andretti in den letzten beiden Jahren nicht Weltmeister, obwohl er häufiger gesiegt hatte als Lauda. Er war allerdings auch häufiger mit Defekten oder durch Karambolagen ausgefallen, während Lauda als Zweiter, Dritter oder Vierter Punkte ergatterte.

Könner und Rechner wie Lauda entdecken die Rennställe kaum noch. Villeneuve, Nachfolger von Lauda bei Ferrari, gewann in den ersten beiden Grand-Prix-Rennen 1978 noch keinen Meisterschafts-Punkt. Einmal schied er abermals aus, als er wieder mit Peterson kollidierte. Peterson: »Dieser verdammte Kerl ist mir schon wieder hinten reingefahren.«

Sogar Mädchen setzten die Rennstallbesitzer in ihre Renner, wenn sie keinen männlichen Nachwuchs mehr fanden. Schon 1959 ließ Porsche die Italienerin Theresa de Filippis ans Steuer -- ohne Erfolg. Die Italienerin Lella Lombardi, Tochter eines Wurstmachers und nach bravourösen Fahrten in der viertrangigen Formel V die »Tigerin von Turin« genannt, startete 1975 und 1976 in Formel-l-Rennen.

Nur einmal fiel ein halber Punkt für sie ab, beim Grand Prix in Barcelona. Das Rennen war nach einem schweren Unfall, verursacht durch den Kölner Rolf Stommelen, abgebrochen worden. Die WM-Punkte wurden nach dem Stand beim Abbruch verteilt. Lella Lombardi, begünstigt durch die zahlreichen Ausfälle, lag noch an sechster Stelle. 1977 verzichtete sie auf weitere Rennen.

1978 setzten die Eigner des Hesketh Ford V8 die frühere Skirennläuferin Divina Galica ans Steuer. Für die ersten drei Rennen dieser Saison konnte sich die Engländerin nicht qualifizieren. Letzte Woche auf der südafrikanischen Kyalami-Strecke unterlag sie bei einem internen Qualifikations-Rennen dem jungen Amerikaner Ed Cheever. Der Formel-1-Neuling Keijo Rosberg aus Finnland begrub seine Starthoffnungen unter Trümmern.

Die einzige Fahrerentdeckung des letzten Jahres gelang Lotus-Chef Colin Chapman. Der Schwede Gunnar Nilsson gewann den Großen Preis von Belgien. Inzwischen kann Nilsson nicht mehr Rennen fahren. Er erkrankte an Lungenkrebs.

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