Sportmedizin Auf kaltem Wege
Wo immer die deutsche Daviscup-Mannschaft spielt, sitzt unter den Stars ein kleiner, weißhaariger Mann. Professor Joseph Keul, 59, legt als Mannschaftsarzt Wert auf die Nähe zu Boris Becker oder Michael Stich, weil das »zur lockeren Atmosphäre« beiträgt.
Vor Milliarden Fernsehzuschauern herzte nach dem Finale der Fußballweltmeisterschaft in Italien Mannschaftsarzt Heinz Liesen, 50, den Teamchef Franz Beckenbauer. So dokumentierte der Internist, daß er auch diesmal mitgespielt hatte: Gegen den Widerstand des Kochs hatte er Nudeln servieren lassen.
Als Beckenbauer sein Amt an Berti Vogts weitergab, wechselte auch der Doktor. Mit ernster Miene sitzt seither Professor Wilfried Kindermann, 51, aus Saarbrücken bei Länderspielen telegen auf der Auswechselbank.
Der Kölner Professor Wildor Hollmann, 66, geht dagegen am liebsten gleich ins Fernsehstudio. In würdevollem Ton schwärmt der Präsident des Deutschen Sportärzte-Bundes dort gern über den Sport als »Gladiatoren-Handwerk«.
So haben es die ehrenwerten Professoren zu nationaler Bedeutung gebracht. Unermüdlich behauptet das Mediziner-Quartett, es wirke ganz uneigennützig, ihm liege nur die »Gerechtigkeit im Hochleistungssport am Herzen« (Keul). Dabei haben sich die Doktoren zu einem Kartell zusammengeschlossen, ohne das in der sportmedizinischen Forschung Deutschlands nichts geht.
Die Mediziner wirken so geschickt, daß eine Kontrolle ihrer Arbeit nahezu unmöglich ist. Im Laufe der Jahre haben sie ein so engmaschiges Netz aus Abhängigen und Gleichgesinnten geknüpft, daß alle Projekte unauffällig und konsequent realisiert werden können. So reifte auch der bisher größte Coup bis zum Baubeginn: Für 48 Millionen Mark soll in Königsbrunn bei Augsburg ein privates Regenerationszentrum entstehen - finanziert ausschließlich aus Steuergeldern.
Mit 32 Millionen Mark will die Bundesregierung das geplante Kurzentrum _(* Oben: mit Fußballprofi Andreas Möller; ) _(unten: mit Tennisprofi Michael Stich. ) fördern, in dem sich Spitzensportler von Training- und Wettkampfstreß erholen können. 16 Millionen Mark steuern der Freistaat Bayern und die Stadt Königsbrunn bei.
Das gängige Zusammenspiel von Medizinern, Funktionären sowie Politikern und Beamten des für Sport zuständigen Bundesinnenministeriums soll sicherstellen, daß Planung, Bau und Betrieb des Millionen-Projekts ohne öffentliche Ausschreibung einem Privatunternehmer übertragen wird.
Solche Kungelei hat in der Sportmedizin Tradition. Mit rund vier Millionen Mark fördert der Bund jährlich Forschungsprojekte im Sport. Die Mittel verteilt das Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp), rund die Hälfte erhalten die Mediziner. Die größten Posten sicherten sich in der Vergangenheit, oft ohne detaillierte Projektbeschreibung, die Professoren Keul, Liesen, Hollmann und Kindermann.
Seit über vier Jahren läßt sich der Freiburger Keul Forschungsprojekte zu den Themen »Metabolische und kardiozirkulatorische Adaptation« sowie »Trainings- und wettkampfbegleitende sowie sportartspezifische Untersuchungen« finanzieren. Für 1992 beantragte Keul insgesamt 505 900 Mark. Hollmann erhielt jahrelang Steuergelder für seine »Arbeits- und Trainingsuntersuchungen«. Der Fördertitel wurde zur Dauerquelle - nach seiner Emeritierung fließt das Geld weiter: an seinen Nachfolger Richard Rost.
Im Fachbeirat des BISp, der über die Mittelvergabe entscheidet, sind Hollmann und Keul die Wortführer. Forschungsaufträge werden ohne Ausschreibung vergeben. »Keiner kann durchschauen, was da passiert«, kritisiert Karlheinz Scherler, der Vorsitzende der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft. Er sieht in dem Verfahren die »Telefonherrschaft einiger weniger Leute«.
Der Griff in die Staatskasse wird mitunter ebenso plump wie dreist begründet. Sonst eher den deutschen Spitzenathleten zugetan, beantragte Keul nach dem Attentat auf Innenminister Wolfgang Schäuble eilig für das kommende Jahr 141 000 Mark für ein Projekt mit »leistungssporttreibenden Rollstuhlfahrern«. Rost will für 130 000 Mark die »Entwicklung eines Rollstuhlergometers« vorantreiben.
Als besonders lukratives Betätigungsfeld entdeckten die Sportmediziner aber die Regeneration von Spitzensportlern. Im Juli 1983 erarbeitete der Bundesausschuß Leistungssport (BAL) im Deutschen Sportbund (Mitglied im Beirat der Wissenschaftler: Joseph Keul) ein umfangreiches Konzept zur Regeneration. Die Planung des Bundeszentrums geriet dann zum Lehrbeispiel für sportpolitischen Filz.
Um das gewünschte Objekt in Bonn politisch durchsetzen zu können, beauftragte Erich Schaible, der für den Sport zuständige Ministerialdirektor des Innenministeriums, das BISp, eine wissenschaftliche Kommission einzusetzen. Im August 1989 nahm die »Arbeitsgruppe Regeneration« ihre Tätigkeit auf. Schon bald »verstärkte sich die Vermutung«, so ein AG-Mitglied, daß die Kommission nur als Alibi für die Aussage dienen sollte, daß »Königsbrunn als Regenerationszentrum zu favorisieren ist«. Die Wissenschaftler wollten dabei nicht mitspielen.
Tatsächlich hatten Schaible und die Sportfunktionäre längst einen Bauherren ausgeguckt. Werner Deyle, ein Stuttgarter Architekt und Inhaber eines Planungsbüros, der in Königsbrunn bereits das Freizeitbad »Königsthermen« und eine Eislaufhalle betrieb, sollte auch das neue Regenerationszentrum bauen. Es fehlte aber noch die wissenschaftliche Reputation. Deshalb luden Deyle und seine Mitarbeiter zum »Königsthermen-Symposium« ins Grand-Hotel nach Berlin ein, um in entspannter Atmosphäre ein kollektives Votum aller einflußreichen Sportärzte und Funktionäre zu erreichen.
Hans Hansen, der Präsident des Deutschen Sportbundes (DSB), lobte vollmundig die private Regenerations-Initiative der Königsthermen als »Chance für den Sport«. In Diskussionskreisen unter Vorsitz von Schaible betonten Keul und Liesen die Wichtigkeit der aktiven Erholung. Und der BAL-Direktor Professor Rolf Andresen verstieg sich sogar zu der Behauptung, aktive Regeneration könne eine »Offensive gegen Manipulation und Doping« sein.
Das Lobbyisten-Treffen verfehlte seine Wirkung nicht. Die Teilnehmer waren sich bald einig, die wissenschaftliche Begründung für das allseits gewünschte Projekt nun selbst zu liefern.
Zu diesem Zweck wurde am 3. Juli in Frankfurt die »Deutsche Regenerationsstiftung« gegründet. Den Vorstand der Stiftung bilden Deyles Sekretärin Ingelore Erasmus und Professor Peter Rhein. Der ehemalige Sportdezernent der Stadt Frankfurt hatte lokale Prominenz erlangt, als er einst von der SPD zur CDU wechselte und später in den Frankfurter Korruptionsskandal um das Gartenbauamt verwickelt war.
Bauherr Deyle ("Ich bin hartnäckig"), der von der Stadt Königsbrunn bereits 200 000 Mark Planungszuschuß kassiert hatte, gewann hochrangige Persönlichkeiten für die Stiftung. Im Kuratorium arbeiten die Bundesminister Wolfgang Schäuble und Gerda Hasselfeldt, der Bayerische Staatsminister Hans Zehetmair, Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Alfred Gomolka und DSB-Chef Hansen mit.
Im Wissenschaftlichen Beirat sitzen unter anderen die Sportmediziner Hollmann, Keul, Kindermann, Rost und Liesen. Im Sportbeirat wirkt BAL-Direktor Andresen neben dem Ministerialdirektor Schaible; Leichtathletikchef Helmut Meyer ist ebenso mit von der Partie wie Bob-Präsident Klaus Kotter und Fecht-Bundestrainer Emil Beck.
Die Stiftungsherren erfüllten ihren Auftrag mit unvergleichlicher Chuzpe, attestierten sich selbst die wissenschaftliche Bedeutung ihres Tuns. Zufrieden notierte Schäuble in seinem am 9. Oktober vorgelegten Konzept für Königsbrunn, die Baumaßnahme habe »durch die Einschaltung von Wissenschaftlern von internationalem Rang« wie auch durch das Symposium in Berlin »seine wissenschaftliche Begründung gefunden«.
Sieben Wochen nach Stiftungsgründung unterzeichneten Rhein und Ingelore Erasmus mit Vertretern des Bonner Innenministeriums, des bayerischen Erziehungsministeriums und der Stadt Königsbrunn einen Vertrag über eine Bau-und Betriebsgesellschaft. Geschäftsführerin der GmbH ist wiederum Deyles Sekretärin. Gleichzeitig stellte die Bundesregierung die notwendigen Mittel für die kommenden Haushaltsjahre zur Verfügung.
Auf »kaltem Wege«, so der Bonner SPD-Abgeordnete Wilhelm Schmidt, sollte die Finanzierung des Regenerationszentrums in den Bundeshaushalt aufgenommen werden. Der Sportausschuß des Bundestages sollte nachträglich zustimmen.
Die SPD will den Baubeginn blockieren. Daß »ein privater Träger mit Bundesmitteln so reichlich« bedacht werden soll, hält Schmidt für »ziemlich einmalig«. Den lokalen SPD-Politikern in Königsbrunn ist vor allem der »Druck aus Bonn« und die »Narrenfreiheit der Beamten« ein Rätsel. Dem Fraktionsführer Jürgen Zerfaß ist das Ganze »ein großes Mysterium«.
Schmidt kann auch nicht mehr beeindrucken, daß Schäuble nach der eingehenden wissenschaftlichen Beratung das Regenerationszentrum als »unverzichtbare Vorbeugemaßnahme« propagiert, um damit dem »Doping den Boden zu entziehen«. Denn das »Funktionsprogramm« des Zentrums soll der Freiburger Professor Armin Klümper liefern.
Klümper war in etliche Dopingaffären verstrickt. Mit seinem »Klümper-Cocktail«, einem Medikamenten-Mix, wurde auch die Siebenkämpferin Birgit Dressel behandelt, die 1987 an einem allergischen Schock nach Medikamentenmißbrauch starb. Vor zwei Jahren wurde Klümper zudem wegen Rezeptbetrügereien verurteilt. o
* Oben: mit Fußballprofi Andreas Möller; unten: mit TennisprofiMichael Stich.