HOCKEY Aufs Geratewohl
Verärgert pfiff Indiens Premierminister Morardschi Desai seinen Wohnungsminister Sikander Bakht zurUck: »Laß dc Finger vom Hockey.«
Die Tätigkeit des von der Regierung beauftragten Schlichters Bakht hatte nichts bewirkt; Indiens Hockey-Funktionäre hatten ihre eigene Nationalmannschaft gesprengt, die im März in Buenos Aires den Weltcup verteidigen sollte.
Das war geschehen: Indiens Hockey-Elite rüstete sich in Patiala auf das Welt-Turnier. Wie stets kujonierten Funktionäre die Spieler, vor allem die aus der Minderheit der Sikhs.
»Die Sikhs zerstören unser Spiel«, giftete Generalmajor und Hockey-Funktionär Eustace D"Souza während eines Streits. Drei der Sikh-Sekte zugehörige Stars zogen empört aus, drei andere Nationalspieler verzichteten auf die Anreise.
»Hockey ist die Inkarnation der indischen Auffassung von Politik«, unterstrich der Rechtsanwalt und frühere Hockey-Funktionär Mahendra Lal Mitra die Bedeutung des Stockspiels für sein Land. Tatsächlich errang Indien auf keinem Gebiet eine ähnliche Vormachtstellung wie im Hockey. Vielen Indern bot das Spiel die einzige soziale Aufstiegschance.
Aber die Chancen wurden vor allem von materiell besser gestellten Anglo-Indern verteilt, Nachkömmlingen der britischen Kolonialisten, die Indiens Hockey-Herrschaft einst mitbegründet hatten.
Sie besetzten die Verbands-Posten und stellten die Nationalmannschaft auf. Die meist ärmeren Hindu-Spieler mußten außergewöhnliche Leistungen vorweisen, bevor sie eine Chance erhielten, um olympische Medaillen zu spielen und durch eine Stellung bei der Polizei oder in der Armee soziale Sicherheit zu erwerben.
Seit 1947 erwuchs Indien durch die Moslem-Mannschaft des ebenfalls unabhängig gewordenen Pakistan ein ernster Rivale. Zugleich brodelte in Indien ein Hockey-Bürgerkrieg zwischen den Anglo-Indern und den in die Hockey-Nationalmannschaft drängenden Sikhs. Die Sikhs galten als besonders zuverlässige Soldaten und wandten sich nach dem Zweiten Weltkrieg verstärkt dem Sport zu. »Ein Sikh ist schon durch seinen Glauben zum Siegen prädestiniert«, behauptete der frühere Nationaltrainer Sardar Harbail Sikh.
So durchschlagend sie auftraten. blieben die Sikhs doch abhängig vom Wohlwollen der Funktionäre. »Bei uns werden selten die Besten aufgestellt«, räumte Cheftrainer Randhir Singh Gentle ein. Was Wunder, daß 1972 nur noch eine olympische Bronzemedaille abfiel und Indien 1976 auf den siebten Platz abrutschte. Darum hielten sich die Funktionäre Sikhs als Trainer und Sündenböcke zugleich. Seit 1968 verschliß der Verband acht Nationaltrainer.
* Erkenntlich am Turban.
Zudem beuteten die Funktionäre die abhängigen Spieler skandalös aus. Einige ihrer Oberen sahen die Spieler erst, wenn eine Siegerehrung anstand; die Funktionäre reisten Erster Klasse und quartierten sieh in Luxushotels ein; andere besetzten auch bei Olympischen Spielen Unterkünfte der Mannschaft. Fünf und sechs Spieler mußten dann in einem Zimmer zusammenrücken und teils sogar ihre Verpflegungsbons mit den ungeladenen Repräsentanten teilen.
»Ich werde den Teufel tun und was sagen«, erklärt Spieler Aschok Kumar, warum keine Klagen nach außen drangen, »sonst bin ich draußen.« Durch »unzureichende Führung und Planung aufs Geratewohl« (Nationaltrainer Kunwar Digvidschaj Singh) büßte Indien seine Vormacht im Hockey ein; Pakistan, die Bundesrepublik und Neuseeland lösten den Serien-Olympiasieger ab.
Als einen Grund für den Niedergang nannte Cheftrainer Randhir Singh, »daß die Jungen nicht mit Manager und Trainer zurechtkommen. Es gab ernste Probleme und Rivalenkämpfe«.
Schon einmal, 1974, hatte das Nationale Olympische Komitee (NOK) Indiens den Hockey-Verband wegen seiner Machenschaften und Manipulationen aufgelöst. Dann rehabilitierte sich Indiens Hockey-Organisation 1975 mit dem Weltcup-Sieg. Als jüngst sechs Stützen der Mannschaft rebellierten, beauftragte Premier Desai seinen Minister Bakht, den Streit zu schlichten. Doch parteiisch befahl Bakht, die Sikhs endgültig auszuschließen, und vertiefte den Graben.
Abermals griff das NOK ein, feuerte D"Souza, löste den Verband auf und vertritt vorerst Indiens Hockey selbst. In Pandschabs Hauptstadt Tschandigarh verließen Studenten ihre Vorlesungen und protestierten gegen die Diskriminierung ihrer Landsleute, in Patiala drangen Demonstranten ins Trainingslager vor und skandierten: »Holt die verdienten Spieler zurück.
»Wir sollten kein Team zum Weltcup schicken«, riet Altnationalspieler Dhjan Tschand. »Den nominierten Spielern fehlt es an Klasse.« Cheftrainer Randhir Singh beugte angesichts der verbliebenen 16 Jungspieler vor: »Wenn sie es diesmal nicht schaffen, hoffen wir auf das nächste Mal.«
Nur Luis Cordeiro, der Vorsitzende des Auswahl-Komitees, glaubt fest an den Sieg. »Das Leben dreht sich wie ein Rad«, meditierte er, »und so ist es auch mit dem Spiel.«