GESELLSCHAFT Aus dem Verkehr
Millionen Bundesdeutsche verdrängten Teuerung und DDR-Konflikt. Ganz Fußball-Deutschland schwang sich zum Schiedsrichter auf.
Da war dem Bundesliga-Besten Borussia Mönchengladbach im Europacup gegen Real in Madrid zweimal ein Treffer gelungen, der zum Sieg, dem Klub zu einer Millionen-Kasse in der nächsten Runde und den Spielern zu je 9000 Mark Prämie genügt hätte. Nur der Mann, auf den es einzig ankam, entschied anders. Schiedsrichter Leonardus van der Kroft, 46, pfiff zweimal Freistoß für die anderen.
»Der Schiedsrichter war bestochen«, verstärkte die »Hamburger Morgenpost« Mutmaßungen auf Schlagzeilengröße. Aber auch »Politiken« aus Kopenhagen fragte keß: »Ich wüßte gern. was er bekam von Real Madrid.«
Als Borussia beim Stande von 1:1 das erste siegverheißende Tor erzielt hatte, befand es Linienrichter Ben Hoppenbrouwer, 43, als korrekt, aber van der Kroft erkannte es wegen Abseits nicht an. Umgekehrt funktionierte das Zusammenspiel beim folgenden Treffer (siehe Phasenphotos Seite 84): Der Schiedsrichter zählte Wittkamps Tor zunächst, ließ sich dann jedoch vom 40 Meter abseits postierten Hoppenbrouwer belehren, eine Borussen Hand sei im Spiel gewesen.
Doch eines abgefeimten Betruges bedurfte es kaum. Mijnheer van der Kroft, der einst wegen einer Verletzung das Fußballspielen aufgeben mußte, ist gut bezahlter Personalchef, Hoppenbrouwer gar Betriebsleiter und zudem Obmann der holländischen Schiedsrichter-Vereinigung.
Die Männer, die es, teils mit exhibitionistischem Eifer, verlangt, unbefriedigende Alltagsrollen zu kompensieren und vor Millionen TV-Zuschauern den Stadion-Diktator zu spielen, sind das zerbrechlichste Glied im Fußballgeschäft. Wie vor 100 Jahren, als die Kicker noch uni die Ehre oder allenfalls eine kühle Lage spielten, sind die Unparteiischen Amateure.
In einem Europacup-Spiel nehmen die Klubs bis zu 1,6 Millionen Mark ein, die Spieler Real Madrids kassieren 15 000 Mark Prämie. Doch die Schiedsrichter im Millionenspiel, nach deren Pfeife die Millionäre in Fußballstiefeln tanzen müssen, werden mit ungefähr 120 Mark Spesen abgefunden.
Sie müssen sich mühsam hochdienen und ständig trainieren; van der Kroft schiedsrichtert seit 16 Jahren, aber erst 1971 erwarb er die internationale Lizenz. Ihr Risiko schließt sogar Lynch-Gefahren ein. Bei der WM 74. waren die Schwarzhemden für 250 000 Mark (Tod) und 500 000 Mark (Invalidität) versichert.
Aus gut 200 in Europa lizenzierten Unparteiischen wählt die Schiedsrichter-Kommission der Europäischen Fußball-Union (Uefa) die Leiter und Linienrichter für die Europacup-Run· den aus. Ein offizieller Uefa-Beobachter kontrolliert jedes Spiel.
Aber wirksame Sanktionen gegen Fehlleistungen verzeichnet kein Reglement. Wenn ein Schiedsrichter spielentstellende Entscheidungen getroffen hat oder wie jüngst bei einem Bundesligaspiel in Bremen offensichtlich alkoholisiert die Zeit nicht mehr abzulesen vermag, »verschwindet er ein Vierteljahr in der Versenkung«, wie DFB-Sprecber Kolzenburg bekundete, »ohne daß es die Öffentlichkeit mitbekommt«. Die zuständige Kommission der Uefa zog van der Kraft, wie Insider erfuhren, schon aus dem Spielverkehr. Aber Proteste gegen unanfechtbare, sogenannte Tatsachen-Entscheidungen haben keine Chance.
So steckt die Fußballwelt voller Versuchung für die schier unangreifbaren Pfeifenmeister. Wo es um mehr als Gastgeschenke geht, etwa 20 000 Mark, »für die mich ein Italiener zu kaufen versuchte, wie der Hannoveraner Gerhard Schulenburg nach dem Europameisterschafts-Spiel Bulgarien gegen Italien berichtete, treten niemals Klubmitglieder, sondern private Mittelsmänner auf. So versuchte etwa der ungarische Emigrant Deszö Solti den portugiesischen Schiedsrichter Francesco Lobo zugunsten Inter Mailands einzustimmen. Er versprach ihm einen Wagen und 5000 Dollar.
Einen ungetreuen Spielleiter, den Griechen Michas, strich die Uefa schon endgültig von ihrer Liste. Er hatte den englischen Klub Leeds United im Europacup-Finale gegen Inter Mailand offensichtlich um den Sieg betrogen.
Überfordert sind die Schiedsrichter allemal: Mit bloßem Auge können sie in Zweifelsfällen nicht eindeutig Abseits und Handspiel ausmachen oder beurteilen, ob ein Spieler im Strafraum unfair umgerammt worden ist oder sich bühnenreif hat fallen lassen.
»In einer extremen Situation«, beschrieb der Bremer Sportpsychologe Professor Fritz Stemme, »sind kontrollierte Urteile aus dem Bewußtsein nicht mehr abzurufen.« Unter dem Streß abgeforderter Blitzentscheidungen unterliegt auch der Schiedsrichter unbewußten Vorlieben und Abneigungen. »Warum hassen Sie uns?« schrie Borussia-Torwart Wolfgang Kleff den Schiedsrichter ahnungsvoll an.
Vielleicht ist die Erklärung einfacher. Die »Berlingske Tidende« aus Kopenhagen weiß jedenfalls über van der Kroft: »In der 1. Holländischen Division ist er als ausgeprägter Heimschiedsrichter bekannt.«