Doping Aus einer anderen Welt
Wann immer deutsche Athleten ein Problem hatten, wußten sie eine Adresse, die Hilfe versprach: München, Helene-Mayer-Ring 31. Dort, versteckt hinter einer Außenstelle des städtischen Werkhofes, hat Willi Daume, 77, sein Büro.
Wer Nominierungskriterien für Olympia nicht erfüllte und doch mitwollte, wer außerhalb der Förderrichtlinien dringend Geld brauchte oder durch den Spitzensport in soziale Bedrängnis geriet, fand beim Präsidenten des Nationalen Olympischen Komitees (NOK) stets ein offenes Ohr. Trotz aller Ämterhäufung - Daume war Vizepräsident des Internationalen Olympischen Komitees, derzeit führt er auch noch die Deutsche Sporthilfe - verstand er sich als unermüdlicher Anwalt der Athleten.
Doch jetzt, wo die Not am größten ist, wo sie wegen ihrer Doping-Praxis öffentlich als Betrüger am Pranger stehen, fühlen sich die Athleten auch von Daume verraten. Wie alle anderen Funktionäre leugnet der mächtigste Mann des deutschen Sports seinen nicht unwesentlichen Part an der jahrelangen Doping-Praxis. Daume, kritisierte der ehemalige Läufer und heutige Sportmediziner Wilfried Kindermann, baue sich »eine eigene Welt« auf.
Als sich rund 200 deutsche Spitzensportler am vergangenen Wochenende in Stuttgart zur »Olympiaparty« und »ARD-Sport-Gala« trafen, wurde die Distanz mehr als deutlich. Immer wieder diskutierten die Athleten in Grüppchen, wie zu verhindern sei, »daß nur wir was abkriegen« (Kugelstoßer Ulf Timmermann). Hilflos suchten die angeblich »mündigen Athleten« nach einem starken Verbündeten im Kampf gegen die sich jetzt als Saubermänner gebärdenden Funktionäre.
»Alle großen Denker«, klagte Ruder-Weltmeister und Aktivensprecher Volker Grabow, habe Daume beim Vereinigungstag des Deutschen Sportbundes in Hannover bemüht, von Aristoteles bis Horaz, von Platon bis Goethe, »aber kein Wort zu den wirklichen Problemen gesagt«. Und die Erkenntnis aller Gesprächszirkel war: Die Sportler haben mit Daume jahrzehntelang einem janusköpfigen Apparatschik vertraut.
Aus vielen Begebenheiten, die jetzt erst weitererzählt werden, fügt sich durchaus das Bild des Doping-Mitwissers und -Dulders zusammen: *___Als 1977 der damalige Leichtathletik-Doping-Jäger Horst ____Klehr die Zustände in seinem Verband schilderte, ____seufzte Daume nur: »Was glauben Sie, Herr Klehr, was ____sonst noch alles vor meinem Schreibtisch ausgebreitet ____wird?« Und er tat nichts. *___1977 erfuhr Daume, daß der Freiburger Mediziner ____Professor Joseph Keul Anabolika rezeptiert hatte - nur ____wenig später sprach er der deutschen Sportmedizin sein ____"volles Vertrauen« aus. *___1984 schilderte der Diskuswerfer Alwin Wagner in einem ____Brief, wie bei einem Länderkampf in Italien der ____Hochspringer Dietmar Mögenburg als Kugelstoßer antreten ____mußte, weil die kräftigen DLV-Männer alle gedopt waren. ____Daume schweigt bis heute dazu. *___Als 1988 der inkriminierte Freiburger Mediziner Armin ____Klümper vom damaligen Leichtathletik-Präsidenten ____Eberhard Munzert nicht als Olympia-Arzt für Seoul ____akzeptiert wurde, reiste Daume eigens an, um sich für ____den Einsatz des Spritzendoktors stark zu machen.
Bei den Doping-Diskussionen im vergangenen Jahr erfuhren die Athleten selbst, was vom feinsinnigen Daume zu erwarten ist. Hinter verschlossenen Türen im Frankfurter Haus des Sports legte eine Schar handverlesener Sportler dem obersten Olympier dar, daß die für die Förderung verlangten Leistungsnormen nur unter Einsatz chemischer Mittel zu erfüllen seien. Erbost brach der Sporthilfe-Chef die Diskussion ab: »Ich weigere mich, darüber zu verhandeln.«
Verbittert registrierten die Athleten schließlich, wie Daume sich bei der TV-Gala mit keimfreien Sportgrößen wie Karl-Heinz Rummenigge und Harald Schmid umgab. Ein »letztes Gespräch« wollen jene Sportler, die auf Aufklärung und Aufarbeitung drängen, mit Daume noch führen. Zeigt Daume keine Einsicht, wollen sie den »ganzen Doping-Apparat« hochgehen lassen.
Denn der funktioniert immer noch wie in alten Zeiten. Kaum hatte der Lagenschwimmer Raik Hannemann zugegeben, wie in der DDR gespritzt und gedopt wurde, entzog ihm der 1. SC Berlin, als Dynamo-Club einst von der Stasi gefördert und heute dank der Hilfe des omnipräsenten Fecht-Cheftrainers Emil Beck von Mercedes gesponsert, die Startberechtigung. Hannemann verlor 800 Mark Leistungszulage, und auch den überlassenen Sixt-Mietwagen mußte er wieder abgeben - derweil bereiten sich die des Dopings bezichtigten ehemaligen DDR-Schwimmer ungestört im Trainingslager des Deutschen Schwimm-Verbandes auf die Weltmeisterschaft vor.
Nur drei Wochen nachdem die Doping-Lawine losgetreten wurde, mehren sich die Anzeichen dafür, daß von den Funktionären in bewährter Manier über die Vorfälle der Mantel des Vergessens und Schweigens gebreitet wird - gerade so, wie es ins Konzept paßt.
In der am stärksten involvierten Leichtathletik sieht Präsident Helmut Meyer in der Aufarbeitung der Doping-Vorwürfe nur ein »Kinderspiel«. Und als die DLV-Vizepräsidentin Ilse Bechthold und der frühere Sportwart Otto Klappert zu einem internationalen Kongreß nach Monaco jetteten, mokierten sie sich angesichts der Aufregung im Lande: »Man weiß ja, wie das so ist.«
Wenn Willi Daume über die Besetzung der unabhängigen Kommission redet, dann schweben ihm »hochrangige wissenschaftliche Mitglieder« vor, wie etwa die ehemalige Bundestagspräsidentin Annemarie Renger oder die kaum Deutsch sprechenden Läufer Edwin Moses (USA) und Sebastian Coe (Großbritannien). Nur eins will Daume auf jeden Fall verhindern: daß ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß die sportlichen Betrüger zur Wahrheit zwingt. Scheinheilig sieht der NOK-Präsident darin die Autonomie des Sports gefährdet - gleichwohl steckt er ungerührt 20 Millionen für seine Sporthilfe ebenso weg, wie er jetzt von Bonn die Arbeit der Untersuchungskommission bezahlt haben will.
Daume darf sich der Hilfe einiger Brüder im Geiste sicher sein. Als die Olympische Sportbibliothek den Athleten in der letzten Woche beim Adventskaffee ihren neuesten Hochglanz-Bildband überreichte, nannte Chefredakteur Willi Ph. Knecht die Vorwürfe »Doping-Geschwätz«. Und mit einem kongenialen Flachpaßspiel griffen das ZDF und Bild die Doping-Enthüller an. Im »Aktuellen Sport-Studio« nannte Moderator Bernd Heller, der nebenbei auch noch mit Fernsehrechten von Sportveranstaltungen dealt, die Informanten geldgierig, die Wahrheit nutzlos. Und beim obligatorischen Blick durchs Sportschlüsselloch erspähte das Boulevardblatt unbefriedigte Sexgier eines Trainers als Aussagemotiv.
All die Resolutionen, die in den letzten Tagen verfaßt wurden - der Bundesausschuß Leistungssport versicherte, schärfere Kontrollen durchzuführen, die Leichtathleten verlangten Tests im Abstand von 14 Tagen, die DLV-Sportärzte forderten »flächendeckende Trainingskontrollen« - sind bisher nichts als Sonntagsreden. Als die Zehnkämpfer Frank Müller und Thorsten Dauth die Probe aufs Exempel machen und sich freiwillig testen lassen wollten, wurden sie abgewiesen.
Aus dieser Erfahrung heraus beschloß der TV Wattenscheid, vereinseigene Kontrollen einzuführen. Die dunkle Vergangenheit - Trainer Heinz Hüsselmann bot Läuferinnen Anabolika an (SPIEGEL 50/1990) - soll schnell abgehakt werden. Klubmäzen Klaus Steilmann versichert blauäugig: »Alle haben vor meinem Schreibtisch gesessen und auf die Frage ,Dopst du?' mit Nein geantwortet.«
Während von großen Sponsoren wie Mercedes, IBM, Adidas oder Nike immer eindringlicher Konsequenzen bei der Sportführung angemahnt werden, hat Pharma-Riese Bayer ebenfalls einen eigenwilligen Schlußstrich unter die Affären gezogen. Für seinen Werksklub gewann der Konzern ein »neues Vorbild für die Jugend«. Angespornt durch einen Jahreslohn von über 200 000 Mark, so schätzen Insider, läuft und springt die des Dopings verdächtigte Olympiazweite und Weltmeisterin Heike Drechsler im nächsten Jahr für Leverkusen. Leichtathletik-Abteilungsleiter Karl-Heinz Naujoks befand ungerührt: »Daß sie im Zusammenhang mit Doping genannt wurde, stört uns nicht.«