Baseball-Skandal So funktionierte das Spionage-System der Houston Astros

Der 1. November 2017 gilt als größter Tag in der Geschichte der Houston Astros. An jenem Mittwoch hatten die Baseballer das entscheidende siebte Spiel der World Series bei den Los Angeles Dodgers 5:1 gewonnen und waren 55 Jahre nach ihrer Gründung endlich erstmals Meister. Doch nun steht fest, hinter diesen Titelgewinn gehört eine Anmerkung: mit unfairen Mitteln errungen.
Es ist unklar, welchen Einfluss genau der Regelbruch der Astros auf den Ausgang der Saison hatte. Doch nun ist erwiesen, dass der Verein seine Gegner ausspionierte. Im Außenfeld des heimischen Stadions wurde eine Kamera so positioniert, dass die Signale, die der gegnerische Fänger seinem Werfer mittels Fingerzeig gibt, mitgeschnitten werden konnten. Die Aufnahmen wurden umgehend auf einen Monitor im Astros-Dugout übertragen und dort von den Spielern entschlüsselt.
Durch ein oder zwei Schläge gegen eine direkt neben der Bank angebrachte Mülltonne ließen sie ihren am Schlagmahl stehenden Teamkollegen wissen, dass diese mit einem sich wegdrehenden Curveball rechnen sollten. Kein Trommeln bedeutete einen hart und geradeaus geworfenen Fastball.
Nuancen entscheiden
Im Duell Werfer gegen Schläger sind es oftmals Nuancen, die darüber entscheiden, wer von beiden gewinnt. Der Pitcher versucht, seinem Gegenüber den kleinen Ball entweder so scharf oder aber auch so raffiniert entgegenzuschleudern, dass dieser seinen Schläger vergeblich schwingt. Für den Batter wiederum ist es eine Art Ratespiel, zu erahnen, was für ein Ball gleich auf ihn zukommt. Wenn er jedoch vorher weiß, mit welchem Wurf er zu rechnen hat, kann er sich darauf einstellen und hat somit einen Vorteil.
Im November hatte der ehemalige Astros-Profi Mike Fiers erstmals gegenüber Journalisten von der Spionage-Kultur des Vereins gesprochen - und die nordamerikanische Baseball-Liga (MLB) daraufhin umgehend eine Untersuchung eingeleitet. Liga-Fahnder haben drei Monate lang 68 Personen interviewt, 23 davon sind aktuelle oder ehemalige Spieler der Astros. Es wurden zehntausende Text-Nachrichten, E-Mails, Video-Clips und Fotos ausgewertet.
Gestern präsentierte MLB-Commissioner Rob Manfred das Ergebnis und die Folgen. Er suspendierte Astros-Trainer Andrew Jay Hinch und General Manager Jeff Luhnow für die kommende Saison. Vereinseigner Jim Crane ging noch weiter: Er entließ beide. Der Klub muss zudem die Maximalstrafe von fünf Millionen Dollar zahlen und verliert 2020 sowie 2021 bei der Aufteilung der Nachwuchstalente sein Zugriffsrecht in der ersten und zweiten Runde.
Der Skandal wird auch Auswirkungen auf die Boston Red Sox haben. Deren jetziger Trainer, Alex Cora, war 2017 der so genannte Bench Coach bei den Astros, der zweite Mann hinter dem Cheftrainer, - und gilt als Initiator des Betruges. Coras Name taucht im neunseitigen Bericht von Commissioner Manfred elfmal auf. Er sei “aktiver Beteiligter der Maßnahme” gewesen, heißt es und habe “vorbehaltlos das Verhalten der Spieler gebilligt.”
Auch der Konkurrenz aus Boston drohen Konsequenzen
Manfred sprach noch keine Sanktionen gegen Cora aus, sondern will das Ergebnis einer weiteren MLB-Untersuchung abwarten. Die Liga hatte bereits vor einiger Zeit Hinweise bekommen, dass die Red Sox in ihrem Meisterjahr 2018 ähnlich verboten operiert haben könnten wie die Astros eine Saison zuvor. Es ist davon auszugehen, dass Cora eine mindestens ebenso harte Strafe bekommt wie Hinch und Luhnow.
Der “Boston Globe” schrieb, dass die Red Sox bald “erheblichem Druck ausgesetzt sein könnten, Trainer Alex Cora zu entlassen". Es könnte also sein, dass vier Wochen vor Beginn der Saisonvorbereitung nicht nur der Vizemeister Houston Astros ohne Coach dasteht, sondern auch Titelanwärter Boston Red Sox. Klubbesitzer John Henry, dem neben den Red Sox auch der FC Liverpool gehört, hat sich bislang noch nicht zu möglichen Konsequenzen geäußert.
Die “USA Today” fragt derweil: “Wo rangiert die Astros-Schande unter den schlimmsten des Sports?” und listete sogleich andere Skandale der amerikanischen Sportgeschichte auf. Von den Dopingsündern Lance Armstrong und Marion Jones bis hin zum “Deflategate” der New England Patriots, die im Playoff-Halbfinale 2014 gegen Indianapolis wissentlich Luft aus den Footbällen gelassen hatten und deren Quarterback Tom Brady deshalb zu Saisonbeginn 2015 für vier Spiele gesperrt wurde, bis hin zu Donald Sterling.
Wo genau der Spionage-Skandal einzuordnen ist, wird sich zeigen. Auf jeden Fall werde der Titelgewinn der Astros 2017 “für immer mit Argwohn betrachtet”, schreibt USA-Today-Kolumnistin Nancy Armour. “Der Baseball”, so Armour weiter, “wurde seiner Integrität beraubt - und das ist von allem die größte Niederlage.”