Begräbnis für eine Mumie
Eines Tages werde der »Spitzensport als Beruf wie jeder andere« betrieben, schwante dem sowjetischen Schriftsteller Jurij Wlassow in den sechziger Jahren. Er mußte es wissen, er siegte beim Olympia 1960 im Gewichtheben. Nun ist es wohl soweit.
Noch im September wollen Reformer die Amateurfrage, die »ewige Mumie«, wie schon Baron Pierre de Coubertin das Problem abgetan hatte, endgültig begraben. Beim Olympischen Kongreß diese Woche in Baden-Baden ist der Amateur 2000 das herausragende Thema. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) will die Zulassungsordnung für Amateursportler endlich der Wirklichkeit anpassen.
Der neue IOC-Präsident Juan Antonio Samaranch aus Spanien hatte schon eine Reform der betreffenden Regel 26 angekündigt, damit »Athleten der westlichen Demokratien gleiche Chancen bei ihrer Vorbereitung und gegenüber den Privilegierten« der östlichen Volksdemokratien hätten.
Die geltende Amateurregel zwingt Athleten alle Olympiajahre wieder zum Meineid. Denn das IOC-Statut erlaubt weder Startgelder noch Scheinstellungen. Die kommunistische Körperkultur, die ihre scheinbeschäftigten Meister des Sport einfach hokus, pokus durch Definition in Amateure zurückverwandelt, will sich ihre Wettbewerbsvorteile möglichst erhalten.
Die vorgesehene neue Regel legalisiert auch Vergünstigungen nach Art der westlichen Industrie- und Werbegesellschaft. Deshalb inszenierten die sowjetischen Sportführer sofort eine Kampagne für die geltenden, überholten Statuten.
Nachdem Coubertin die Olympischen Spiele wiederbelebt hatte, kämpften 1896 Fechtmeister, also Berufsfechter, ganz legal um olympische Medaillen. Der Sieger des Tennisturniers kassierte 1000 Goldmark. Geld war ursprünglich nicht einziger Angelpunkt der Amateurdiskussion gewesen.
Die Veranstalter der Londoner Henley-Regatta hatten etwa den amerikanischen Maurer John Kelly, den späteren Baulöwen und Vater von Grace, der Ehefrau des Fürsten Rainier von Monaco, als Profi abgewimmelt, weil er seinen Unterhalt durch körperliche Arbeit verdiente. Die Kopfarbeiter wollten sich nicht von Muskelwerkern abhängen lassen -- Amateurgesetze als Klassenkampf.
Als um 1900 für viele Sportarten internationale Verbände entstanden, entwickelten sie unterschiedliche Amateurvorschriften. Durchgängig verboten waren Geldpreise und wertvollere Geschenke. Die Statutenbastler hatten unterstellt, daß Amateursportler ihren Unterhalt durch Berufsarbeit erwürben. Das Vertrauen schützte meist, denn Kontrolle war selten möglich.
Gelegentliche Strafen trafen deshalb willkürlich wie Blitz und Hochwasser. Der erste Marathonsieger, der griechische Hirte Spiridon Louis, erhielt 1896 vom Zaren ein Cognac-Service, von einer Verehrerin eine goldene Uhr und von seinen Landsleuten 20 000 Drachmen, damals ein Vermögen. Kein Funktionär beantragte, ihn zu disqualifizieren.
Dem Amerikaner Jim Thorpe dagegen, der 1912 überlegen im Fünfkampf und Zehnkampf gesiegt hatte, auch vor dem späteren IOC-Präsidenten Avery Brundage, knöpften US-Funktionäre nachträglich die Medaillen wieder ab. Thorpe hatte in der Baseball-Liga für Farbige 360 Dollar verdient. So lautete die offizielle Begründung; doch vor allem fehlte ihm die richtige Hautfarbe. Thorpe stammte von indianischen Vorfahren ab.
Den neunmaligen finnischen Olympiasieger Paavo Nurmi schlossen die Funktionäre aus, bevor er seine Karriere beim olympischen Marathonlauf 1932 beschließen konnte. Deutsche S.214 Veranstalter hatten ihn wegen illegaler Spesenforderungen denunziert. Der französische Lauf-Weltrekordler Jules Ladoumegue startete als Profi vor großem Publikum in der Sowjet-Union.
Finanziert von einem nationalstolzen Zahnarzt beteiligte sich 1924 erstmals die Fußball-Nationalelf aus Uruguay am Olympiaturnier. Die Außenseiter siegten überlegen und verteidigten ihre Goldmedaille 1928. In Wirklichkeit handelte es sich um Profis. Aber das stellte sich anschließend heraus.
Sie durften ihre Trophäen behalten. Der Fußball-Weltverband (Fifa) führte als salomonische Lösung 1930 Weltmeisterschaften für Profis und Amateure ein. Uruguay organisierte 1930 die ersten Titelkämpfe und siegte auch.
Faschistenführer Mussolini und Hitlers Regierung förderten dann in den Dreißigerjahren besonders ihre Militärsportler. Beim Olympia 1936 in Berlin siegte der Berufssoldat Hans Woellke im Kugelstoßen; er fiel im Kriege als Angehöriger der Waffen-SS. Alfred Schwarzmann verdiente sich als Turn-Olympiasieger die Beförderung vom Soldaten zum Leutnant.
Bis zum Zweiten Weltkrieg waren Amateurfragen freilich bei allen Affären und Skandälchen Einzelfälle ohne wirkliches Gewicht für den Sport geblieben -- ein Scheinproblem. Dann griffen die Sowjet-Union und die osteuropäischen Staatssportler in den Wettkampf der Nationen ein. 1952 fand in Helsinki der erste olympische Ost-West-Ersatzkrieg statt.
Seither ziehen und zerren Ost und West unverdrossen an den Amateurregeln der internationalen Organisationen. Um erlaubte oder verbotene Zuwendungen geht es dabei nur vordergründig: Der Kampf zielt auf annähernd gleiche Startchancen für alle.
Bei Olympischen Spielen, Weltcups, kontinentalen und Weltmeisterschaften in etwa 40 Sportarten findet nahezu ununterbrochen rund um die Welt die Auseinandersetzung zwischen westlich orientierten Staaten, dem sogenannten sozialistischen Lager und den Ländern der Dritten Welt statt. Im Fernsehen schauen Millionen zu oder gar eine Milliarde Fans wie bei Fußball-Weltmeisterschaften.
Ob ein Langstreckler aus Kenia oder Äthiopien stammt, ob ein Abfahrtsstar für Österreich oder die Schweiz startet, ob einer im Gewichtheben für Polen oder die UdSSR um Medaillen stemmt oder für die DDR rudert -- Trainings- und Wettkampfbelastungen erlauben keinem mehr, einen normalen Beruf uneingeschränkt auszuüben. Hochleistungssport fordert den Athleten wie das Schaugeschäft seine Stars, der Konzertbetrieb den Pianisten und Tenor.
Deshalb rüsteten die Staatssportländer konsequent vor. »In der Sowjet-Union gibt es keinen Berufssport«, definierte jedoch Sowjet-General Gromow, einst ein einflußreicher Sportfunktionär in Moskau. »Die nach dem Sieg gezahlte Geldprämie ist der wohlverdiente Lohn.« Ähnlich umkurvte auch der erste SED-Generalsekretär Walter Ulbricht die Amateur-Hürde:
»Wir sind der Auffassung, daß ein Spitzensportler für unseren Arbeiter- und Bauernstaat mehr leistet und dessen Ansehen fördert«, rechtfertigte er Scheinstellungen für Sportler, »als wenn er an seinem Arbeitsplatz nur einer von vielen ist.« Und weiter: »Seine Kollegen delegieren ihn auf den Sportplatz zu intensivem Training. Zeigt er sich dieser Delegierung nicht würdig, dann wird er zurückbeordert. So einfach ist das, Genossen.«
Die internationalen Verbände gerieten in ein Dilemma. Behörden und Funktionäre der kommunistischen Staaten verbürgten offiziell die Berufsangaben ihrer Athleten und leugneten Siegprämien ab. Flüchtlinge packten zwar gründlich aus über genau geregelte Prämien-Tarife für Rekorde, Titel und Medaillen. Der Ostblock qualifizierte sie harsch als Lügner und Verräter ab.
Kein Weltverband und schon gar nicht das IOC unternahmen etwas gegen diese Falschmünzerei: Die Alternative wäre eine Spaltung des Weltsports. Aber Ost und West benötigen den Wettkampfaustausch dringend. Die rekordverdächtigen Ostathleten dienen im Westen als Zuschauer-Magneten, die Staatssportländer trachten die vermeintliche Überlegenheit ihres Systems durch Siege im Westen zu beweisen.
»Wir müssen nicht mehr definieren, wer ein echter Amateur ist«, erkannte der neue IOC-Präsident Samaranch, »sondern, wer ein echter Profi ist.« Denn völlig unrecht haben die kommunistischen Sportführer keineswegs, wenn sie behaupten, es gäbe in der UdSSR oder der DDR keine Profis.
Prämien und Privilegien genießen Athleten nur während ihrer sportlichen Karriere. Alle durchlaufen in ihren Athleten-Jahren eine gründliche Ausbildung S.216 für einen Beruf, und den üben sie später gewöhnlich aus.
Auch bundesdeutsche Leichtathleten, amerikanische Ruderer oder spanische Hockeyspieler bereiten sich auf gängige Berufe vor, während sie um Titel und Medaillen kämpfen. Aus dem Ruder-Olympiasieger Hans Lenk wurde ein Philosophieprofessor, aus dem Mittelstrecken-Rekordler Thomas Wessinghage ein Dr. med.
Prämien, Startgelder und illegale Zuwendungen ändern nichts an ihrem normalen Berufsziel, sie helfen die Jahre ohne volles Berufseinkommen wirtschaftlich zu überbrücken. In der Regel bleibt Amateursportlern unter dem Strich zu wenig, um später davon zu leben.
Darin besteht der entscheidende Unterschied zu Berufssportlern, die als Kicker oder Eislaufstars hochdotierte Verträge unterschreiben. Auch Automobil-Rennfahrer und Tennisspieler betreiben ihren Sport jahrelang als vollgültigen Beruf.
Die vertraglichen Einkünfte schaffen zusammen mit Werbeeinnahmen die solide Chance, bis zum Ende der Profi-Laufbahn genug Kapital angesammelt zu haben, um eine Existenz darauf zu gründen.
Gegenüber westlichen Amateursportlern jedoch verschaffte das dichte Förderungsnetz den Staatsathleten zunächst erhebliche Wettbewerbsvorteile: von der Scheinstellung, der Wohnung im Sportler-Objekt, der Vorzugsverpflegung bis zu Geldprämien und bevorzugter Berufsausbildung. Dagegen leben »unsere Athleten im Zwiespalt zwischen Sport und Beruf« (Karlheinz Gieseler, Generalsekretär des Deutschen Sportbundes).
Deshalb unterliefen Verbände und Sportler der westlichen Länder zunehmend die Amateur-Paragraphen. US-Athleten wie Hürden-Weltrekordler Renaldo Nehemiah schlagen sich mit Universitäts-Stipendien durch, italienische Olympiasieger wie der Sprinter Pietro Mennea fanden mit Fiat einen verständnisvollen Arbeitgeber, Frankreichs dreifachem Ski-Olympiasieger Jean-Claude Killy half ein Druckposten beim Zoll. In der Bundesrepublik ersetzt die Sporthilfe aussichtsreichen Sportlern Kosten und Verdienstausfall.
In der Leichtathletik und im Alpinen Skilauf wuchsen zugleich die Rekordler und Medaillengewinner in die Rolle begehrter Werbeträger. Konkurrierende Firmen ließen sich ihre erfolgreichsten Mannequins viel kosten. Sprinter Armin Hary siegte 1960 beim Olympia in Rom in Puma-Spikes; zur Siegerehrung erschien er mit Tretern der Konkurrenz adidas. Fast hätte der Markenwechsel zum Medaillenverlust geführt.
»Bei der ungeheuren finanziellen Ausweitung des Sports kann man«, urteilte IOC-Mitglied Willi Daume über die Amateurregel, »dem Sportler, der das alles mit seiner Leistung trägt, nicht weiterhin die Philosophie der Armut und der 2,50 Dollar Tagesspesen verkünden.« Am weitesten rückte der Internationale Skiverband davon ab. Er gestattet seinen Olympia-Amateuren sechsstellige Jahreseinkünfte.
Die Ski-Stars bekommen allenfalls Taschengeld bar auf die Hand; ihr nationaler Verband schließt Ausrüster-Verträge mit Zubehörfirmen ab und überweist den Rennläufern je nach Erfolg Honorare aus den Pool-Verträgen auf ein Sperrkonto; darüber dürfen sie erst nach dem Ende ihrer Karriere verfügen. Der österreichische Abfahrts-Olympiasieger Franz Klammer verdiente in guten Jahren 400 000 Mark.
In einigen olympischen Sportarten lassen sich Leistung und Zugewinn ohnehin nicht mehr klar trennen. Im Springreiten kämpfen vorwiegend Amateure um offizielle Geldpreise. Der Gewinn geht zwar an die Pferdebesitzer, aber Reiter und Eigner sind mitunter identisch. Olympiasieger Alwin Schockemöhle besaß zugleich einen Turnierstall. Erfolgreiche Turnierreiter gewinnen oft nicht nur mit, sondern auch an ihren Pferden, die sie ausbilden und mit kräftigem Aufpreis verkaufen.
Segler wie der dänische Bootsbauer Poul Elvström (vier olympische Goldmedaillen) schlugen mit ihren Erfolgen gleichzeitig Kapital aus ihrem sportlichen S.218 Handwerkszeug. Der US-Segel-Olympiasieger Lowell North warb immer auch für die Produkte seiner Segelmacherei.
Nur der nichtolympische Tischtennis-Verband unterscheidet keine Amateure und Profis. Jeder darf ohne Gewissensbisse nehmen, was ihm Veranstalter oder Firmen bieten. Gleichwohl bewirbt sich die internationale Föderation um olympische Anerkennung. Auch der Tennis-Verband rechnet für 1988 mit seiner olympischen Neuzulassung. In den Ostblock-Ländern laufen deshalb schon kostspielige Förderungs-Programme für tennisbegabte Jungen und Mädchen -- Medaillen winken.
Daraus entwickelte sich eine paradoxe Situation: Im Eishockey spielten die Staatsamateure der UdSSR in der letzten Woche abermals Kanadas Profis aus. Im Skilauf und in der Leichtathletik kümmern Profi-Unternehmen der Pleite näher als dem Profit dahin, weil die Amateure bessere Leistungen vorführen und daher sichere und höhere Einkünfte erzielen.
Nur noch einen Amateursünder traf nach dem Zweiten Weltkrieg der olympische Bann: Der konservative IOC-Präsident Brundage schloß den österreichischen Skistar Karl Schranz vom Winter-Olympia 1972 aus, weil er bei einem Fußballspiel auf seinem Leibchen für »Aroma-Kaffee« geworben hatte.
Ein Exempel wurde nicht daraus. Ohne Abfahrts- und Slalomrennen verlieren Winterspiele ihre Anziehungskraft -- auch auf das Fernsehen, dessen Honorare die Organisation finanzieren. Der US-Hochsprung-Weltrekordler Dwight Stones tappte in die eigene Falle: Er startete bei einem Profimehrkampf für Stars aus verschiedenen Sportarten und ließ sein Honorar (33 600 Dollar) an einen Klub überweisen. Der bestand nur aus ihm und seinen Verwandten. Er wurde gesperrt.
Solange Brundage im IOC regierte (bis 1972), blieb es beim olympischen Meineid und durchlöcherten Amateurregeln. Als Bundesgenossen schlossen sich dem knorrigen Baulöwen und Hotel-Eigner aus Chicago die Sportführer aus dem Ostblock an. Zum Chef der IOC-Amateur-Kommission berief Brundage den rumänischen Historiker und Schriftsteller Alexandru Siperco.
Dessen Reformvorschläge liefen darauf hinaus, alle staatlichen Fördermaßnahmen offiziell zu gestatten, die in den Staatssportländern zur Alltagspraxis gehören. Hilfen durch private Mäzene und industrielle Sponsoren, wie sie sich im Westen eingebürgert haben, wollte er verbieten.
»Durch die Gesellschaft« sollten Olympia-Teilnehmer unterstützt werden, »von der Gemeinschaft den Lohnausfall ersetzt« bekommen. Niemand aber dürfe »Namen oder sportliche Erfolge für kommerzielle Propagandazwecke« einsetzen.
In der neuen Zulassungsbestimmung, die das IOC 1974 nach dem Brundage-Rücktritt erlassen hatte, erscheint der Begriff des Amateurs nicht mehr, ebenso erloschen im Text »Geist und die Ethik der Olympischen Tradition«. Die zehn Gebote für Olympia-Amateure schrumpften von 131 auf 60 Zeilen.
Außerdem bescherte die neue Regel 26 den Athleten bemerkenswerte Erleichterungen. Sie dürfen sich seither unbeschränkt in Trainingslagern tummeln, ihr Nationales Olympisches Komitee (NOK) oder nationale Verbände können »Entschädigungen zur Deckung von finanziellen Einbußen« bewilligen, Athleten dürfen »akademische und technische Stipendien annehmen«.
Dafür sprudelten in den westlichen Industrieländern immer höhere Summen. S.221 Die Schlüsselrolle spielt das Fernsehen, vor allem durch Lizenzgebühren für Übertragungsrechte bis zu 250 Millionen Dollar.
Soviel überweist die US-Anstalt ABC für die Olympischen Sommerspiele 1984 in Los Angeles. Davon lebt auch das IOC. Von der Lizenzsumme erhält es ein Drittel. Außerdem öffnet eine TV-Übertragung auch Amateur-Veranstaltungen der einträglichen Bandenwerbung.
Internationale Wettkämpfe sind ohne Sponsoren nur ausnahmsweise zu finanzieren. »Tiefschlag«, kritisierte das Ost-Berliner »Sportecho« bei den Box-Europameisterschaften 1981 im finnischen Tampere die »adidas«-Aufschriften auf den Startnummern der Boxer. Ohne die westdeutschen Sportausrüster wären die Titelkämpfe freilich geplatzt. »Das Geld hatte diesmal über den Sport ... gesiegt«, faßte das DDR-Blatt zusammen.
Schließlich hatte auch die Olympiastadt Moskau für 1,6 Millionen Dollar Coca-Cola Vertriebsrechte während der Sommerspiele verkauft. Zur Generalprobe bei der Spartakiade 1979 turnten Verteiler in der weiß-roten Firmenuniform auf den Tribünen des Lenin-Stadions herum. Wegen des US-Boykotts mußte der Konzern auf den Olympia-Auftritt verzichten.
Aber auch Funktionäre und Sportler aus dem Ostblock zeigten sich anfällig für das süße Profigift aus dem Westen: Zuerst durften Eishockey-Stars und Trainer aus der CSSR, dann sogar aus der UdSSR Verträge mit Westklubs abschließen, wenn auch von der jeweiligen Sportbehörde kontrolliert.
Dabei kassierte der Staat jeweils seinen Anteil von den Westeinnahmen, zehn bis 15 Prozent etwa die Staatsagentur Pragosport. Im Tennis beteiligen sich Ostblock-Stars wie Ivan Lendl (CSSR), Ilie Nastase (Rumänien) oder Wojtek Fibak (Polen) seit Jahren am Profizirkus. Auch die rumänische Geldranglisten-Neunte Virginia Ruzici (Gewinnsumme: 187 113 Dollar) spielt um Pfund und Dollar, siegte aber 1981 auch als Studentin bei der Universiade, einem reinen Amateur-Wettbewerb.
Jedenfalls überrundete die Realität im internationalen Sportverkehr abermals die Theorie der reformierten Amateurregel 26:
* Der Internationale Wettkampfbetrieb ist ohne werbende Wirtschaft und die Finanzkraft potenter Sponsoren nicht aufrechtzuerhalten.
* Das Fernsehen entscheidet durch Honorare und als Mittler von Schleichwerbung den Erfolg wesentlich mit.
* Athleten lassen sich unter diesen Bedingungen nicht mehr mit einem Vergelt's Gott abspeisen.
Alsbald kurbelte der 1980 in Moskau gewählte IOC-Präsident Samaranch eine neuerliche Reform an. Vorsitzender der Reformkommission war inzwischen das deutsche IOC-Mitglied Willi Daume. Sein Streich-Quintett formulierte bis zum Sommer 1981 eine mehrmals überarbeitete, angepaßte Regel 26: Sie verlangt Olympia-Teilnehmern nur noch ab, die Regeln des IOC und ihres internationalen Fachverbandes zu respektieren. Das bedeutet im Klartext, daß auch in anderen Sportarten Zuwendungen legal würden, wie sie im Skisport üblich sind.
Den Rahmen ziehen die sogenannten Bye-laws. Diese Bedingungen fordern den Umweg über Sportorganisationen; verboten bleiben Prämien bar auf die Hand (wie sie im Ostblock gleichzeitig geleistet und dementiert werden). Sonst erlaubt die Reformregel »gegen die Ausbeutung menschlicher Höchstleistung« (Daume) sogar Werbung mit Leistungen, Namen und Bildern des Athleten.
Nach dem neuen Entwurf muß das IOC einen Athleten zudem anhören, bevor es ihn ausschließt. Überdies mahnt das Reformstatut korrektes sportliches Verhalten an: Verzicht auf Doping und Gewalt.
Die neue Zulassungsordnung würde Athleten aus kapitalistischen und sozialistischen Ländern ungefähr gleichstellen. Die »Leninisten« im Weltsport, schrieb DSB-Generalsekretär Gieseler, dürften »nicht erwarten, daß sich die Sportführer aus den freiheitlich-demokratischen Gesellschaften mit sozialer Marktwirtschaft länger ihrem politischen Diktat unterwerfen«.
Sergej Pawlow, der Präsident des sowjetischen Olympia-Komitees (NOK), löste eine Gegenkampagne aus: »Reaktionäre Kräfte im internationalen Sport versuchen die olympische Bewegung zu spalten« und »Olympische Spiele für Profis zu organisieren«. Überall aus dem Ostblock tönte das Echo zurück. DDR-Sportchef Manfred Ewald graulte sich vor »Geschäftemachern«, die versuchten, »sich mit ihrem Geld Sportler zu kaufen«.
Im IOC bedarf die Regeländerung einer Zweidrittel-Mehrheit. Daume: »Das wird schwer.« Denn die Ostblock-Konservativen trommelten Verbündete auch in der Dritten Welt zusammen, in der vielfach der Prestigesport aus dem Staatshaushalt gefördert wird.
Doch da gingen die Leichtathleten voran. Bei ihrem Kongreß im September in Rom öffneten sie Sponsoren und Veranstaltern die Stadiontore. Künftig dürfen Leichtathleten über ihre Verbände Stipendien, Verdienstausfall und sogar Wohnungen beziehen.
Bis 1982 will die Zulassungskommission des Internationalen Leichtathletik-Verbandes zeitgemäße Richtlinien für nationale Fonds »wie im alpinen Skisport« (Vizepräsident Artur Takac) erlassen, die Firmen- und Sponsorengelder sammeln und den Sportlern zustecken.
Wie im Ski-Weltcup sollen 20 bis 30 Sportfeste ausgeguckt werden, bei denen Athleten Punkte einheimsen, die dann ihren Anteil am Fondsvermögen bestimmen. Die IAAF soll diese Veranstaltungen im neuen Sportwunderland »als Paket verkaufen«, schwebt Takac vor, »an die TV-Stationen und an einen Hauptsponsor für, sagen wir, acht Millionen Dollar«.