VEREINE / BUNDESTAG Bis zum letzten
Lange vor Kurt Georg Kiesingers Kanzlerschaft nahmen 20 Bundestagsabgeordnete aus SPD und CDU die Große Koalition vorweg. Sie trafen sich regelmäßig, zweimal die Woche, und sie boten ein gleichförmiges Bild: schwarze Stiefel, grün-weißer Dreß.
In neutraler Kicker-Kluft probten die Schwarz-Roten harmonisches Mannschaftsspiel -- als Fußballer der »Sportgemeinschaft Deutscher Bundestag e. V.«. Dem eingetragenen Parlamentarier-Verein, der 1951 gegründet worden ist, gehören derweil 720 Mitglieder an. Es sind Abgeordnete und Minister, Türsteher und Beamte.
Allmorgendlich ab sechs Uhr können Volksvertreter und Staatsdiener in einem fensterlosen Bundestagskeller in die Knie gehen oder Bocksprünge üben; sie stoßen sich im Bonner Gronau-Stadion mit dem Lederball gesund oder wummern mit Gewehren auf einem gemieteten Schießstand.
Was oben im Plenum freiwillig vermieden wird, ist unten im Keller längst verboten: harter Schlagabtausch von Mann zu Mann. Denn auch dort war der Verein der politischen Entwicklung voraus -- die Statuten gestatten nur Schattenboxen, das keinem weh tut. So keilte der wohlbeleibte Berufs-Berliner Ernst Lemmer in einem Schaukampf mit dem früheren Kölner Berufs-Boxer Peter Müller minutenlang wild in die Luft -- vor sich tänzelnd »de Aap«, der freundlich grinste und seinen Partner pries: »Dä is janz jut.«
Trainiert wurden die Betriebssportler jahrelang von dem Bundestags-Saaldiener Rudi Schulmeister, einem früheren Berufsboxer, der tagsüber in Frack und roter Weste die Tür des Plenarsaals bewacht, durch den bei Hammelsprung -- Abstimmungen die Ja-Sager marschieren. Neuerdings engagierte der Bonner Klub noch einen Sportlehrer.
Die parlamentarische Mehrheit unter den Mitgliedern bewegt sich mit Maßen. Denn die gesetzten Herrensportler begnügen sich häufig mit Ping-Pong und Standfahrrad-Treten im Wandertempo. Doch immerhin erwarben schon 52 Mitglieder das Sportabzeichen. Rekordhalter ist der Bundestags -- Oberregierungsrat Herbert Witt, der in diesem Jahr zum 25. Mal die Bedingungen für die Nadel in Gold erfüllen will.
Die Nadel-Probe bestanden auch vier ehemalige und amtierende Bundesminister -- Erich Mende, Theodor Oberländer, Bruno Heck, der die Kugel neun Meter weit wuchtete, und der ehemalige Amateur-Radfahrer Franz-Josef Strauß, der 20 Kilometer in 48:30 Minuten herunterstrampelte. Als erste Parlamentarierin qualifizierte sich die Christdemokratin und Fürsorgerin Annemarie Griesinger, 43, für das Goldabzeichen. Sie sprang 3,25 Meter weit und bezwang die 1000-Meter-Distanz In 6:25 Minuten.
Auf sportliche Hochleistung jedoch ist nur eine Minderheit aus. So die Luftgewehr-Mannschaft, die Im letzten Jahr nur knapp die Qualifikation zur Endrunde der deutschen Meisterschaft verpaßte; Team-Mitglied Siegfried Börss, ein Bundeshausangestellter, schoß sich mit der Luftpistole unter 140 Bewerbern auf den elften Platz der Schützenmeisterschaft. Und Ehrgeiz treibt auch die grün-weißen Fußbauer. Die Kicker kämpfen, wie der Vereinsvorsitzende und SPD-Abgeordnete Dr. Adolf Müller-Emmert lobt, auf dem Rasen »verbissen bis zum letzten«.
Sie siegten gegen Prominenten-Mannschaften mit Schaukünstlern wie Willy Millowitsch oder Kabarettisten wie Wolfgang Neuss. Aber sie lockten bei allem Erfolg bis 1967 höchstens 3000 zahlende Zuschauer auf die Ränge. Denn Kondition und Können der Volksvertreter wurden im Volk offenbar gering geschätzt:
In einem Quiz, den der Südwestfunk vor einem Wohltätigkeitsspiel der Parlamentarier gegen seine Funkmannschaft startete, tippten 90 Prozent der 12 000 Einsender auf eine Bonner Niederlage. Doch die Abgeordneten gewannen klar mit 3:1. So lockten die Parlaments-Kicker im Mal zu ihrem ersten Spiel in diesem Jahr schon 5000 Schaulustige an. Am letzten Donnerstag stellten sie sich einer Berliner Prominenten-Equipe.
Inzwischen fühlen sie sich -- paritätisch aus roten und schwarzen Koalitionsbrüdern zusammengesetzt -- so stark, daß sie über die Bonner Botschaft ein Parlamentarier-Länderspiel gegen Schweizer Abgeordnete vereinbarten.
Mannschaftskapitän Müller-Emmert traut den Deutschen alles zu: »Wir treten gegen jede Abgeordneten-Mannschaft der Welt an.« Als erste deutsche Mannschaft hatte der Bundestags-Klub schon gegen Sportleiter den Wettkampf-Verkehr mit Israel aufgenommen. Noch in diesem Jahr fliegen die Bonner zum Rückspiel nach Tel Aviv.
Alle Einnahmen zweigen die Bonner Balltreter, die 1967 zwölfmal angepfiffen wurden, an Hilfsfonds wie die Aktion Sorgenkind ab -- obwohl der Parlamentsverein maßhalten muß. Von den Beiträgen, die kürzlich von 75 Pfennig auf eine Mark je Mitglied angehoben wurden (Tennisspieler: 60 Mark im Jahr), vermag der Klub gerade den Schießstand und (anteilig) einen Tenniscourt zu mieten. Zuschüsse aus Bundesmitteln bekommen die Bundessportler nicht, weil ihnen eine Jugendabteilung fehlt.
Nicht einmal die eigenen Mitglieder kümmern sich um das Gedeihen ihres Vereins. Als einige Abgeordnete die Sportdebatte des Bundestags letzten Dezember dazu nutzten, für ihren Im Keller übenden Klub lichtere Übungsräume zu fordern, saßen nur 60 Parlamentarier Im Plenarsaal -- obwohl 330 der 518 Bundestagsabgeordneten der hauseigenen Sportgemeinschaft angehören.
Die Aktiven hoffen nun auf erhöhtes Interesse durch prominenten Nachwuchs: Kanzler Kiesinger, bisher pur passives Mitglied, hat sich jüngst nach den Bedingungen für das Deutsche Sportabzeichen erkundigt.