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FUSSBALL Bleierne Pflicht

Die Hoffnung, der elegante Michael Ballack werde der Nationalelf ein Gesicht geben, erweist sich als Illusion. Abbild des deutschen Teams ist eher der blasse Carsten Ramelow.
Von Jörg Kramer
aus DER SPIEGEL 25/2003

Aus Höflichkeit hielt Deutschlands Teamchef auf dem Weg in die Katakomben des kleinen Stadions »Tórsvøllur« in Tórshavn am vergangenen Mittwoch inne, als von der Tribüne über ihm ein Fußballfan seinen Namen rief.

Rudi Völler lächelte dem Mann mit der schwarz-rot-goldenen Eulenspiegelkappe erwartungsvoll zu und breitete die Arme aus, als wollte er für den glanzlos erarbeiteten 2:0-Sieg der von ihm betreuten Nationalmannschaft gegen die Auswahl der Färöer noch einen Glückwunsch empfangen. Der Witzbold deutete aber nur brüsk auf Völlers wasserdichte Trainingsjacke und befahl: »Schenk mir die!« Kopfschüttelnd setzte der Teamchef seinen Weg fort.

Den Protagonisten des deutschen Fußballs ist schon größerer Respekt entgegen- gebracht worden als zum blamablen Saisonschluss. Drei Tage vor der armseligen Partie gegen die unbeholfenen Färinger in der Hauptstadt der Inselgruppe im Golfstrom hatte die »Sunday Times« über das uninspirierte 1:1 der Deutschen bei den vierschrötigen Schotten gespottet: Der hellste Aspekt ihres Aufgebots sei das »strahlende Weiß ihrer Trikots« gewesen.

Jetzt, in Tórshavn, stand der blonde Abwehrchef Carsten Ramelow, 29, bereit, kri-

tische Fragen abzuwehren. Er trug einen grauen Trainingsanzug, in der Hand eine graue Plastiktüte, und den schwarzen Kulturbeutel hatte er zwischen seinen Füßen abgestellt. »Ich weiß nicht, was man von uns will«, sagte er so eintönig, wie die Mannschaft gespielt hatte, »entscheidend ist, wenn''s drauf ankommt.« Gemeinsam mit den zuhörenden Reportern bildete er eine Art Ring, so dass die Formation einem färöischen Kettentanz ähnlich sah.

Bei dem zeremoniellen Brauch wird, ohne Instrumentalbegleitung, zu gesungenen Verserzählungen getanzt, der Schrittrhythmus richtet sich nach dem Inhalt der vom Vorsänger rezitierten Ballade. Ramelow trug in Prosa vor, und die schleppenden Bewegungen verrieten einen freudlosen Gang der Handlung.

In der Tat befindet sich Fußball-Deutschland im Tief. Und die Hoffnung, ein durch erstaunliche Fügungen zu Stande gekommener zweiter Platz bei der letzten Weltmeisterschaft könnte beim globalen Championat 2006 im eigenen Land noch übertroffen werden, welkt dahin. Dem Münchner Teamleader Michael Ballack schwant, dass »wir in der Quantität der Spieler noch nicht die Klasse haben«.

Auf dem Weg zur Qualifikation für die Europameisterschaft 2004 geht der Nationalmannschaft offenbar jede Zuversicht verloren. Ballack, gerade von Völler zum »Weltstar« geadelt, forderte die minderbegabten Mitspieler nach der Schottland-Partie in Glasgow auf, sie sollten »ihren Job machen«, wenn er selbst mal wegen Unpässlichkeiten zur tragenden Rolle nicht tauge. Der Vorgesetzte Völler klagte beim Vorarbeiter Ballack, der dann mit schadhafter Wadenmuskulatur auf den Färöern passen musste, Selbstkritik ein.

Auch wenn DFB-Boss Gerhard Mayer-Vorfelder keine Bereitschaft zur Kenntnisnahme der neuen Lage zeigte ("Ich such jetzt nicht nach einem großen Haar in der Suppe"): Inzwischen ist der Zweifel über die Glaubensgemeinschaft der deutschen Fußballfreunde gekommen.

Bisher waren die Fans optimistisch: Mit kümmerlichen Vorstellungen wie zuletzt beim 1:1 gegen Litauen oder dem 1:0 gegen Serbien und Montenegro werde es ein Ende haben, sobald der Stratege Ballack, 26, wieder die Fäden ziehe. Doch jetzt folgte seinem schlappen Comeback gegen Schottland eine neuerliche Verletzungspause, und der Leverkusener Ramelow sagte im Teamquartier von East Kilbride bei Glasgow über den »Fußballer des Jahres": »Der Michael ist ein absolut wichtiger Spieler. Aber es wird ein bisschen viel drum gemacht.« Ramelow klang genervt.

Der blasse Biedermann vom Bayer-Team, wegen seiner zuverlässig unspektakulären Spielweise oft unterschätzt und dennoch beinahe mit Leverkusen brav und emotionslos in die Zweitklassigkeit abgestürzt, steht für eine ernüchternde Erkenntnis: Nicht die Eleganz des torgefährlichen Ballack ist stilbildend für die deutsche Auswahl. Das Spiel der DFB-Elf ist vielmehr ein Abbild der Durchschnittlichkeit Ramelows. Es ist schmucklos und bleiern.

Der gebürtige Berliner vermeidet gern Risiken. Selbst wenn er mit dem Ball am Fuß stürmt, sieht es aus, als wollte er sich und die Kugel verteidigen. Manchmal wird er ausgepfiffen wie im Heimspiel des Abstiegskampfes gegen Hansa Rostock, als er der Einzige in einem sorglosen Bayer-Team war, der hinten aufpasste - dort aber ein entscheidendes Laufduell verlor. Fuchsteufelswild warf der angeklagte Ramelow ("Ich bin immer so ''n Angriffspunkt gewesen") da seine Kapitänsbinde fort.

Manchmal haben seine unscheinbaren Ballabgaben strategischen Wert. Oft ist jedoch der Raumgewinn seiner Aktionen so wenig Aufsehen erregend, dass sein ehemaliger Vereinstrainer Berti Vogts darüber spottete: »Drei Pässe nach links, drei Pässe nach rechts. Hauptsache, keine Fehler machen.« Als er dann Ende März gegen Litauen ein Tor mit der Hacke erzielte, staunte die Öffentlichkeit.

Wenn Ballack, der »Beckham of Bavaria« ("Daily Record"), für die Sehnsüchte der deutschen Fußballfans steht, repräsentiert Carsten Ramelow die unspektakuläre Wirklichkeit. Gegen Schottland erreichten 88 Prozent seiner Pässe zielsicher einen Mitspieler - ein Spitzenwert. Gewagte Spielzüge waren freilich kaum dabei.

Nichts an Ramelow ist aufregend. Nur einmal, als er einen gegnerischen Stürmer unmotiviert ins färöische Gras schubste, leistete er sich zuletzt eine kleine Gefühlswallung. Bei seinen Interviews, maulte der auch nicht immer witzige Bundesliga-Aussteiger Mario Basler, »schlafe ich ein«.

Ramelow erklärt sich sein Image nicht sonderlich originell: »Ich bin keiner, der letztendlich einen Skandal hat. Ich erledige meinen Job, ich bin ein ganz Normaler. Das ist vielleicht für manche zu wenig.«

Von ihm erwartet man nichts, außer dass er seine Pflicht erfüllt. Ramelow ist einer, der ohne viel Aufhebens die Vorschriften

achtet. So erntet er kaum Kritik, ragt aber niemals heraus. Der Aufräumer, eigentlich Mittelfeldspieler, hilft ohne zu murren in der Abwehr aus. Sein früherer Trainer Christoph Daum nannte den Anti-Star seinen »Umsetzer«. Das legte schon den Verdacht nahe, dass Ramelow fremde Ideen verwirklichen kann, selbst aber keine Entwürfe kreiert.

Michael Ballack dagegen weckt das Verlangen nach der Schönheit des Spiels. Dabei greift er nur selten ein. Fast immer scheint er sich für die ganz wichtigen Augenblicke zu schonen. Fünf der letzten sechs Länderspiele ließ er aus. Und als er jetzt im Glasgower Hampden Park vom Gegner gezielt matt gesetzt wurde, sprang niemand in die Bresche, um das Spiel zu lenken.

Auch Ballacks früherem Clubkameraden Bernd Schneider aus Leverkusen, der das Talent für unorthodoxe Geniestreiche besitzt, gelang weder gegen Schottland noch gegen die Färöer-Auswahl etwas Originelles.

Schneider wird nach miserabler Saison in Leverkusen zum Verkauf angeboten. Ramelow dagegen gehört dort zum Inventar. Als er in Aussicht stellte, Bayer 04 auch im Fall des Abstiegs in der Zweiten Liga treu zu bleiben, wurde seine Bodenständigkeit beklatscht. Allerdings waren damit auch seine begrenzten Ambitionen offen gelegt: Der Verzicht auf regelmäßige Spielpraxis auf Bundesliga-Niveau hätte ihn sicher die Nationalmannschaftskarriere gekostet.

Ramelow, der eine Ausbildung zum Polizisten zu Gunsten der Profilaufbahn abbrach, ist schnell zufrieden. Er ist der Typ Angestellter, der, wie der Kommentator von »Sport Bild« lästerte, »bei Gleitzeit nicht betrügt« - eben der »brave Mann von nebenan«.

Der »Frankfurter Allgemeinen« galt er vor eineinhalb Jahren als »Prototyp einer Fußball-Generation, die im Zweifel für Verlierer gehalten wird«. Nach dem Finaleinzug bei der WM stand er vorübergehend im Ruf, Angehöriger einer Siegernation zu sein.

Das ist nun wieder vorbei. Der Generation 2006, angeführt vom farblosen Ramelow, traut kaum noch jemand große Sprünge zu. Die Zeitung »The Scotsman« sieht den »teutonischen Mythos von der Unfehlbarkeit unterminiert«. Deutschlands Kick-Elite spielt den Fußball des 21. Jahrhunderts ideenlos und im Tempo der achtziger Jahre.

Mitunter jedoch mit der Wucht der alten Zeiten. Einmal trat Torwart Oliver Kahn, aus Verdruss über vier Gegentreffer im Trainingsspiel, den Ball im hohen Bogen durchs Glasgower Ibrox-Stadion. Vom Aufprall flog auf der Tribüne eine Sitzschale aus der Verankerung. JÖRG KRAMER

* Im EM-Qualifikationsspiel gegen Schottland (1:1) am 7. Juniin Glasgow.* Beim 2:0-Sieg im EM-Qualifikationsspiel gegen die Färöer amvergangenen Mittwoch in Tórshavn.

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