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Innenansicht von Borussia Mönchengladbach Wie man einen Fußballmythos zu Geld macht

Borussia Mönchengladbach wird von Romantikern geliebt. Doch der Verein muss sich verändern, wenn er überleben will. Unsere Reporter haben den Prozess beobachtet.
aus DER SPIEGEL 48/2019
Foto: Sonja Och / Der Spiegel

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Seit über 100 Jahren zieht's uns magisch zu dir hin.

Du, die Sonne unsrer Heimat, nach dir steht uns der Sinn!

"Die Seele brennt", Einlaufhymne von Borussia Mönchengladbach


Alle 14 Tage versammeln sich in Mönchengladbach, einer Industriestadt am linken Niederrhein, etwa 50 000 Menschen zu einer Feier des deutschen Mittelstands. Sie ziehen Trikots an und legen grün-weiße Schals um, sie tragen Wimpel, Kutten, Banner, manche haben sich die Haare grün gefärbt. Viele haben sich die Namen längst abgewanderter Helden auf ihr Trikot flocken lassen: Reus, Effenberg, Dante.

Reus, Dante und viele andere sind längst weg, sie, die Fans, sind noch da. Wohin sollten sie auch gehen? Und weil die Zukunft ungewiss ist, feiern sie die Vergangenheit – Borussia Mönchengladbach ist eine Marke, die heller strahlt als die Stadt, aus der sie kommt: ein Ausdruck deutscher Wertarbeit, so wie Kettler, wie Rosenthal, wie Schiesser, wie Märklin.

Der Unterschied: Anders als Rosenthal und Kettler ist Gladbach immer noch da.

Die Frage ist: warum eigentlich?

Exakt zehn Minuten vor Spielbeginn macht sich im Borussia-Park, in dem der Verein seit ein paar Jahren seine Heimspiele austrägt, ein Mann auf den Weg in den Innenraum, wegen seiner Körpergröße von zwei Metern nennen sie ihn nur "Tower". Er passiert den Tunnel, durch den die Mannschaften gleich ins Stadion laufen werden, er betritt den Innenraum und wendet sich nach links, dorthin, wo die Trainerbank von Borussia Mönchengladbach steht: vor ihm die Nordkurve, wo die wahren, die echten, die treuen Fans stehen, die zwei große Wünsche haben. Dass alles besser wird. Und dass alles so bleibt, wie es ist.

Dann ertönt über die Stadionlautsprecher die Hymne.

Video (1:03) Sternstunde Heute ist Uwe Kamps Torwarttrainer bei Borussia Mönchengladbach. Seine große Stunde als aktiver Profi schlug 1992 im Halbfinale des DFB-Pokals gegen Bayer Leverkusen. Was damals geschah, erzählt er hier.
Video (1:03) Sternstunde
Heute ist Uwe Kamps Torwarttrainer bei Borussia Mönchengladbach. Seine große Stunde als aktiver Profi schlug 1992 im Halbfinale des DFB-Pokals gegen Bayer Leverkusen. Was damals geschah, erzählt er hier.

Tower, der eigentlich Thomas Weinmann heißt, hat diesen Song selbst eingespielt, als Schlagzeuger der Projektband B. O., der einzigen Fanband der Fußballbundesliga, die die meisten Lieder ihres Vereins selbst geschrieben und alle selbst eingespielt hat 

Zwei Minuten und 16 Sekunden dauert es, bis das Schlagzeug einsetzt – Weinmanns Schlagzeug. Kurz darauf betreten die Spieler den Rasen. Alle singen, Block 16, die ganze Nordkurve, das ganze Stadion.

Stolzer Blick zurück – volle Kraft nach vorn. Für den Namen, den die Welt so glorreich kennt!

Er denke in diesen Minuten nicht, sagt Weinmann, weil er so sehr mit dem Singen beschäftigt sei: erfüllt vom Stolz auf diesen Verein, ergriffen von dem Moment, mitgerissen vom eigenen Trommelwirbel, der dem Gesang eine schöne Dringlichkeit verleiht. Erst wenn das Lied verklungen ist, geht er zu seinem Platz.

Es ist das Spiel gegen Fortuna Düsseldorf, die fünfte Begegnung der laufenden Saison. Nach sechs Minuten schießt Düsseldorf das 1:0.

Es gab mal eine Zeit, in den Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts, da war Mönchengladbach neben dem FC Bayern der beste Fußballklub Deutschlands. Zwischen 1970 und 1979 wurden die Gladbacher fünfmal Meister, einmal Pokalsieger, zweimal Uefa-Cup-Sieger.

In einer gesichtslosen, vom Krieg zerstörten Stadt spielten sie einen Fußball, den die Deutschen bis dahin nicht kannten; in der Tristesse von Reihenhaussiedlungen entstand eine Schönheit, die diese Tristesse vergessen ließ. Am äußersten Rand der Bundesrepublik gelegen, vermittelte Mönchengladbach ein paar Jahre lang eine Idee davon, wie Strukturwandel in Deutschland aussehen könnte: kaufmännische Sparsamkeit gepaart mit Wagemut, die Werte der alten Bundesrepublik gepaart mit dem Willen zu Erneuerung und Aufbruch. Mönchengladbach gelang im Fußball das, was der SPD mit dem Ruhrgebiet gern gelungen wäre.

Damals war Gladbach eine echte Alternative zu den Bayern, ein Gegenmodell, der letzte Verein der Bundesliga, der sich gegen Trikotwerbung stemmte. Als Fan musste man sich entscheiden: zwischen dem jungen, ungestümen Fußball vom Niederrhein – und dem kontrollierten Fußball der Bayern. Das war ähnlich schwer wie die Entscheidung zwischen Levi's und Wrangler, Coca-Cola und Pepsi oder Beatles und Rolling Stones – es ging um eine Haltung, um Grundsätzliches also.

Lange hat Borussia Mönchengladbach von der Rolle des Underdogs profitiert. Andere Klubs standen für Nüchternheit und Pragmatismus, Gladbach stand für Utopie. Wegen ihres Spielstils und ihrer Jugend wurde die Mannschaft "Fohlen" genannt. Bayern steht bis heute für Erfolg, während Gladbach lange in der Bedeutungslosigkeit versank.

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