Box-Weltmeister Joshua vor Pflichtverteidigung gegen Usyk Leichter Gegner, schwere Aufgabe

Die Boxwelt wartet auf den Fight zwischen Anthony Joshua und Tyson Fury – und übersieht, wie packend Joshuas Kampf an diesem Abend werden dürfte. Gegner Oleksandr Usyk mag kleiner sein, doch er ist der bessere Boxer.
Herausforderer Usyk: 350 Amateurkämpfe, 335 Siege

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Foto: Ronny Hartmann / Bongarts/Getty Images

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Der Begriff Pflicht kann im Sport unterschiedlich konnotiert sein. Wenn Favoriten auf Underdogs treffen, spricht man von Pflichtaufgaben – wie zum Beispiel beim 3:1-Erfolg des FC Bayern am Freitagabend bei Aufsteiger Greuther Fürth. Im Boxen ist das anders. Da müssen Weltmeister neben freiwilligen Titelverteidigungen gegen Gegner, die sie sich aussuchen dürfen, im Normalfall einmal pro Jahr gegen einen Pflichtherausforderer antreten, der vom Verband angeordnet wird. Die Pflicht ist also zumindest potenziell die kompliziertere Aufgabe. Sie bietet denjenigen Boxern eine Chance auf den WM-Titel, denen die Champions lieber aus dem Weg gingen.

Am Samstagabend muss der britische Schwergewichtsweltmeister Anthony Joshua seine Gürtelsammlung gegen den Ukrainer Oleksandr Usyk pflichtverteidigen (22.15 Uhr, Stream: DAZN). Usyk bezeichnet sich selbst als »am meisten gefürchtetsten Schwergewichtsboxer«. Das spricht zwar vor allem für seine Hybris; immerhin ist die Königsklasse des Boxens mit Joshua, Tyson Fury und Deontay Wilder gerade so stark besetzt wie lange nicht. Trotzdem ist es kein Geheimnis, dass Joshua den Kampf gegen Usyk tatsächlich gern vermieden hätte.

Dreifach-Weltmeister Joshua: »Er wird seinen wunderschönen Jab nutzen«

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Foto: 5021154 / Getty Images

Der 34-jährige Ukrainer hat alle seine 18 Profikämpfe gewonnen und war vier Jahre lang Weltmeister im Cruisergewicht. Im Juli 2018 gelang es ihm sogar, die WM-Gürtel aller vier großen Verbände (IBF, WBA, WBC und WBO) zu vereinigen. Nachdem er in der Gewichtsklasse bis 90,72 Kilogramm jeden namhaften Gegner besiegt hatte, entschied sich Usyk zum Aufstieg ins Schwergewicht – und damit zum Angriff auf Dreifach-Weltmeister Joshua, der die Titel nach Version der IBF, WBA und WBO hält.

Der geplatzte Jahrhundertkampf

Eigentlich müsste der Kampf zwischen Joshua und Usyk ein Weltereignis sein. Immerhin kämpfen zwei der besten Boxer ihrer Generation auf dem Höhepunkt ihrer Schaffenskraft um die Krone in der Königsklasse. Wie viel mehr kann man verlangen? Und doch sehen viele Fans und Experten das Duell nur als eine Art Box-Methadon. Eine Ersatzdroge für den Kampf, den sie eigentlich sehen wollten.

Joshua hatte sich nämlich schon mit WBC-Weltmeister Tyson Fury auf eine Titelvereinigung verständigt. Die Verträge waren unterschrieben, eigentlich hätten sich die beiden Briten am 14. August gegenüberstehen sollen, um erstmals seit Lennox Lewis im Jahr 2000 wieder einen unumstrittenen Weltmeister im Schwergewicht zu küren. Doch ein US-Gericht untersagte das Megaevent, weil Fury zuvor zum dritten Mal gegen den amerikanischen Ex-Champion Deontay Wilder antreten muss.

Olympiasieger Usyk: Schneller, beweglicher, besser

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Foto: Julian Finney / Getty Images

Die Box-Gemeinde fühlte sich um den vermeintlichen Jahrhundertkampf betrogen – und übersah dabei, dass sie mit Joshua gegen Usyk vielleicht ein viel besseres Duell zu sehen bekommt. Beide Kontrahenten sind technisch hervorragend ausgebildet und waren erfolgreiche Amateure, bevor sie ins Profilager wechselten. Bei den Olympischen Spielen 2012 in London gewannen beide die Goldmedaille – der Ukrainer im Schwer-, der Brite im Superschwergewicht. Joshua ist etwas größer und schlägt härter, dafür ist Usyk schneller, beweglicher und der noch bessere und erfahrenere Boxer. Von 350 Amateurkämpfen verlor er nur 15, eine surreale Bilanz.

Größe ist nicht alles

Trotzdem steigt Joshua als leichter Favorit in den Ring. Der britische Ex-Weltmeister David Haye sieht seinen Landsmann sogar klar im Vorteil. »Er [Joshua] wird seinen wunderschönen Jab, seine Größen-, Reichweiten- und Schlagkraftvorteile nutzen«, glaubt Haye, der eine »verheerende« K.-o.-Niederlage für Usyk prognostiziert.

Es sind bemerkenswert deutliche Worte von Haye, der sehr genau wissen sollte, dass Größe, Reichweite und Schlagstärke im Boxen nicht alles sind. Schließlich war er selbst als ehemaliger Cruisergewichtsweltmeister ins Schwergewicht aufgestiegen und entthronte im November 2009 WBA-Champion Nikolai Walujew. Einen Mann, der mehr als 20 Zentimeter größer war als er selbst.

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