Bundesliga unter
Auf dem Betzenberg in Kaiserslautern standen zwei Männer bis zu den Wadenbeinen im Schnee und horchten in die Stadt hinunter. »Da rührt sieh nichts«. sagte Jürgen Friedrich, Präsident des 1. FC Kaiserslautern.
Heinz Neuhaus vom Gegner- MSV Duisburg stimmte in Friedrichs Sorge um das Zuschauer-Aufkommen ein: »Wer hier den Berg rauf schafft, müßte eine Aufstiegsprämie bekommen.« Friedrich: »Ja, aber vom Alpenverein.«
Nur 7000 zahlende Zuschauer (Kaiserslauterns Durchschnitt: 22 000) sahen sich am vorletzten Sonnabend die Schneeballschlacht der Fußballer an. Kaiserslautern, dessen Mannschaft im Schnee trainiert hatte. siegte 6:1. MSV-Manager Neuhaus entschuldigte: »Unsere Spieler hatten jahrelang keine Schneeflecke mehr gesehen.«
Am gleichen Tag betrat in Bremen Nationalspieler Rüdiger Abramczik schimpfend das hart gefrorene Spielfeld: »Scheißacker, dat is?sn Reibeisen, aber kein Rasen.« Schalke verlor 0:2. Abramczik, von den Fans zum »Flankengott« befördert. hatte so schlecht gespielt. daß ihm sein Trainer Uli Maslo prophezeite. »Die Weltmeisterschaft in Argentinien findet ohne dich statt.«
Schnee und Schlamm, Eis und Reif beeinflussen schon seit Wochen die Bundesliga-Resultate. Eintracht Frankfurt verlor ein Heimspiel im knöcheltiefen Schlamm gegen Hertha BSC mit 0:5. Schalke rutschte auf Stuttgarter Eis mit 1:6 aus. Und der HSV verlor in Köln bei dichtem Schneetreiben ebenfalls 1:6. »Betrug an der Kundschaft«. nennt Präsident Dr. Erich Riedl vom TSV 1860 München die Wintermanöver in der Bundesliga. »Welcher Unterhaltungsbetrieb mutet seinen Gästen schon Kriegsbedingungen zu, und das für 20 oder 30 Mark Eintritt?«
Doch der Deutsche Fußball-Bund (DEB) will General Winter nicht weichen. Obwohl das Reglement vorsieht, daß auf Plätzen mit mehr als fünf Zentimeter hoher Schneedecke nicht gespielt werden darf, pfiffen Bundesliga-Schiedsrichter auch dann an, wenn der Schneesturm heulte und Morast im Waldstadion oder Volkspark unter den Stiefeln mit überlangen Aluminiumstollen gurgelte.
»Geländegängig sind sie«, lobte die »FAZ« die Bundesligastars. »Wie altpreußische Landbriefträger trotzen sie im Wind und Wetter«, und würden auch, wenn der Schiedsrichter ruft, »auf Minenfeldern spielen.«
Wegen der Fußball-Weltmeisterschaft im Juni, wenn die Bundes-Equipe den Titel verteidigt, muß die Bundesligasaison schon im April statt Juni beendet sein. Die DFB-Schiedsrichter erhielten Anweisung, besonders Bundesliga-Spiele »unter allen Umständen anzupfeifen«.
Nur einmal pfiff der DFB seine Pfeifenmänner zurück. Als München 1860 und der HSV im dichten Nebel kickten und Zuschauer ins Graue riefen »Jungs, wo seid ihr?«, erging neuer Erlaß von der Spielzentrale: Bei Nebel muß der Schiedsrichter von der Platzmitte noch beide Tore sehen können.
Aber nicht nur Wetterkapriolen verwirrten in der Bundesliga Fans und Toto-Tipper. Ausgerechnet die besten Spieler, voran die langgedienten Nationalspieler, dachten mehr an die WM in Argentinien als an die Bundesliga in Deutschland. »Der Rüdiger Abramczik macht im Jahr nur acht bis zehn gute Spiele«. berichtete Schalkes Trainer Maslo. »Das sind in dieser Saison eben die Länderspiele.«
Auch die Nationalspieler vom Hamburger SV wie Libero Manfred Kaltz, Torwart Rudi Kargus und Linksaußen Georg Volkert büßten in Vereinsspielen ihre Form ein.
Der Kölner Mittelstürmer Dieter Müller, in Konkurrenz mit dem Schalker Klaus Fischer, traf in zehn Bundesligaspielen nur zweimal das Tor. Auch Schalkes Fischer hatte in der Bundesliga häufiger Ladehemmung als in Länderspielen. In der Bundesliga schoß der Münchner Gerd Müller bisher mehr Tore als Fischer. Dafür erzielte Fischer
auf eine Flanke von Nationalrechtsaußen Abramczik im Länderspiel gegen die Schweiz das Tor des Jahres 1977.
Etwa 45 der rund 370 Bundesligaspieler hoffen noch, zu jenen 22 zu gehören, die Ende Mai für Deutschland nach Argentinien reisen dürfen. Nur drei der 18 Bundesligaklubs besitzen keinen WM-Kandidaten, so der Außenseiter 1. FC Kaiserslautern, der mit seinen von der WM nicht abgelenkten Spielern in der Bundesliga zur Spitzengruppe zählte.
»Wenn wir Weltmeister werden, haben wir für unser Lebtag ausgesorgt«, schilderte vor der WM 1974 Bayern Münchens Stürmer Uli Hoeneß den Anreiz, am Weltturnier teilzunehmen. Die Deutschen wurden Weltmeister, und Student Hoeneß konnte auf weiteres Studium verzichten; die Werbung zahlte ausreichend Zubrot.
Abschreckendes Beispiel für alle WM-Anwärter ist der Bochumer Franz-Josef Tenhagen, der Woche für Woche bester Spieler beim VfL Bochum war. Dann durfte er im letzten Dezember in der Nationalmannschaft spielen und versagte. »Der Franz-Josef hat sich im Verein kaputtgekloppt«, erklärt Mitspieler Dieter Bast.
Dabei zählen jetzt Topleistungen in der Bundesliga für den Bundestrainer Helmut Schön ebensowenig wie krasses Versagen. Insgeheim hat er die 22 Spieler für Argentinien längst nominiert. Schöns Vorgänger Sepp Herberger stellte 1954 seinen Kader nicht einmal mehr um, nachdem der 1. FC Kaiserslautern, der die halbe Nationalmannschaft bildete, das Endspiel um die Deutsche Meisterschaft 1:5 verloren hatte. Mit fünf Kaiserslauterern gewann Deutschland sechs Wochen später die Weltmeisterschaft.
Schön ließ sich zweimal verleiten, kurz vor einer Weltmeisterschaft einen ihm von der Presse aufgedrängten Star mitzunehmen: 1970 Helmut Haller, 1974 Günter Netzer. Beide spielten nur einmal, ohne sie ging es besser.
Auch vom Formabfall des Hamburgers Manfred Kaltz läßt Schön sich nicht abschrecken: »In der Nationalmannschaft hat Manni immer sehr gut gespielt.«