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FILMKONTAKTE Charlys Onkel

aus DER SPIEGEL 40/1960

Die Gäste, die sich am Freitag vorvergangener Woche in der Kölner Blatzheim-Nachtbar »La Romantica« drängten, wurden unverhofft Zeugen eines Ereignisses, über dessen Sinn sie hinterher noch lange grübelten.

Um die Mitternachtsstunde mischte sich ein junger Mann in dunklem Abendanzug unter die buntbefrackte Musikerschar, legte ein photogenes Lächeln um die Mundwinkel und formte die Lippen vor dem Mikrophon zu verheißungsvoller Rundung. Vier Minuten verharrte er in sangesbereiter Habachtstellung, während die Blitzlichter einiger Photographen die Szenerie stilwidrig erhellten. Dann reichte der Jüngling das Mikrophon zurück und schritt gehorsam seinem Platz an der Seite eines etwas älteren Herrn zu, ohne einen Laut von sich gegeben zu haben.

Die absonderliche Darbietung, die das ahnungslose »La Romantica«-Publikum und ein Dutzend eigens geladener Presseleute miterleben durften, entpuppte sich als Teil eines von geschäftstüchtigen Publicity-Alchimisten ausgeklügelten Plans, dessen Ziel es ist, aus einem erfolgreichen Sportler einen ebenso erfolgreichen Schallplatten- und Filmstar zu drechseln:

Carl ("Charly") Kaufmann, verdienter deutscher Leichtathletik - Olympionike, agierte in Köln zum erstenmal auch in Deutschland im neuen Metier, nachdem er wenige Tage zuvor - während der Olympischen Spiele - im römischen Luxushotel »Flora« an der Via Veneto unter ähnlichen Vorzeichen international debütiert hatte. Ein Mittdreißiger mit stark gelichtetem Schopf, Manager Rudolf Kinzel, dirigierte in Rom wie in Köln die zaghaften Gehversuche Kaufmanns mit onkelhafter Betriebsamkeit.

Erläuterte Kinzel den stummen »La Romantica«-Part seines Schützlings selbstgefällig: »Charly singt nur noch für Wohltätigkeit oder viel Geld. Ohne Gage aufzutreten, haben wir nicht mehr nötig.«

In der Tat ist die Alternativ-Parole des Kaufmann-Verkäufers schwerlich zu widerlegen. Denn seit der flinke Sänger durch seine sportlichen Kraftakte an olympischer Stätte zum Allgemeingut germanischer Bildung avancierte und für seine Leibesübungen auf der 400 -Meter-Strecke (in der Weltrekordzeit von 44,9 Sekunden) und als Schlußläufer der deutschen 4x400-Meter-Staffel gar zweifach mit Silber honoriert wurde, weiß Manager Kinzel, daß seiner Beschäftigung mit Kaufmann nicht nur ideelle Anerkennung beschieden ist.

Deutsche wie ausländische Film- und Schallplatten-Firmen glaubten jetzt nämlich endgültig an eines jener Geschäfte, die sie bereits bei früherer Gelegenheit mit renommierten Sporttreibenden zu eigenem Nutzen anzukurbeln suchten.

Sie wurden in ihren Bemühungen, auch das Kaufmannsche Sportsilber in Film- und Schallplattengold umzumünzen, zudem noch durch zwei Umstände bestärkt.

Im Gegensatz zu anderen sportlichen Grenzgängern (wie Toni Sailer, Ina Bauer oder dem römischen Mitstreiter Armin Hary) kann sich Kaufmann mit einem vierjährigen Gesangs- und Schauspielstudium an der Karlsruher Musikhochschule und einer bescheidenen Bühnenlaufbahn stark machen. Außerdem besitzt der Umworbene, da er in New York geboren wurde, neben der deutschen auch die amerikanische Staatsbürgerschaft und wäre somit in amerikanischen Showbusiness-Zirkeln gewinnbringend als Landsmann zu präsentieren.

Allein, diese sportfernen Gaben hätten kaum ausgereicht, den Gelegenheitssänger und Auch-Schauspieler Kaufmann, der sich in provinziellen Operettenkonzerten und Studioaufführungen seiner Opernschule hervortat und Kameradschaftsabenden jeglichen Genres mit seinem Zwei-Oktaven-Tenor Glanz verlieh, für das Schallplatten- und erst recht für das Filmgeschäft interessant zu machen.

Kaufmann-Manager Kinzel will jedoch nicht wahrhaben, daß die bevorstehende Blitzkarriere im Show-Geschäft ausschließlich auf die sportlichen Großtaten Kaufmanns zurückzuführen ist - aus zwei Gründen: Kinzel könnte verdächtigt werden, diese Entwicklung durch rigorose Propagierung der Sporterfolge bewußt unterstützt zu haben, was seinen Schützling wiederum mit den Amateurbestimmungen des deutschen Sports in Konflikt bringen könnte.

Um dem vorzubeugen, hat Kinzel eine Vor-Rom-These parat, die beweisen soll, daß Kaufmann aufgrund seiner künstlerischen Vorbildung schon vor Rom an der Film- und Schallplattenbörse notiert wurde:

- Am 4. August, also vor den Olympischen Spielen, besang Kaufmann im Berliner Schallplattenstudio der »Metronome« seine erste Platte mit

den Schnulzen »Amor läuft mit« und »Der schönste Tag in meinem Leben«.

- Um die gleiche Zeit schickte Ilse Kubaschewski ein Angebot an Kaufmann, für ihren Münchner Gloria-Verleih in einem Musikfilm mitzumimen.

Der Manager unterschlägt bei seiner These jedoch, daß diese frühen Kontakte ebenfalls erfolgreichen sportlichen Übungen zu verdanken sind.

Als Rudolf Kinzel, der sich vorher als Filmjournalist ("Das Neue Blatt«, »Neue Illustrierte") produziert und nebenbei vergebens versucht hatte, im Schlepptau des Plattenstars Ivo Robic ("Morgen") und anderer Großverdiener der Branche finanzielle Höhen zu erklimmen, am 29. Mai dieses Jahres den branchenunkundigen Leichtathleten Kaufmann von dem Nutzen eines Vertrags mit prozentualer Beteiligung zu überzeugen vermochte, spekulierte er, daß sich Kaufmanns Taten auf der Aschenbahn eines Tages im Show-Geschäft auszahlen würden. Diesen Zahltag hatte Kinzel in seinen Berechnungen für die Zeit der Olympischen Spiele in Rom angesetzt.

Schon am 24. Juli aber trat ein Ereignis ein, das den Prozeß wesentlich beschleunigte. An diesem Tag unterbot Kaufmann mit sensationellen 45,4 Sekunden für die 400 Meter seinen eigenen Europarekord aus dem Jahre 1959. Vermerkten die »metronome informationen« im Lebenslauf Kaufmanns anläßlich seiner ersten Plattenaufnahme über die Auswirkungen des Laufs: »Als der Fernsehkommentator erwähnte, daß dieser schnelle Junge auch singen könne, trafen die ersten Angebote von Schallplattenproduzenten ein.« Die sportliche Ausnahmeleistung hatte dem laufenden Sänger und seinem Manager den Weg ins große Geschäft geebnet - früher als erwartet.

Nachdem sich die Mischehe zwischen Sport und Musik so gut angelassen hatte, versuchte Kinzel mit umsichtiger Konsequenz, sie durch immer neue Publicity-Tricks zu beleben und sich so weiter bergwärts zu hieven.

So enthielt beispielsweise die Schutzhülle der ersten Kaufmann-Platte »Amor läuft mit« vor dem Hintergrund eines Sportstadions das strahlendlächelnde Konterfei des Sportlers, der sich zusätzlich noch im Trainingsanzug und quergestreiften Sporthemd, dem auf allen Aschenbahnen bekannten Aushängeschild Kaufmanns, präsentierte.

In dem ersten, später jedoch ausgewechselten Text der Plattenhülle befleißigten sich die Publicity-Experten betont sportlichen Fachjargons und verkündeten: »Metronome gibt den Startschuß für den schnellsten Sänger der Welt: Am Start: Carl Kaufmann, mit ihm das Orchester Max Anderson und die PingPongs.«

Kinzel ließ sich auch den sportbezogenen Schlagertitel »Amor läuft mit« einfallen. Und beim ersten Presseempfang für den avancierten Schallplattenstar in Rom verfügte er, daß Kaufmanns olympische Trophäen, die beiden Silbermedaillen, als Reliquien des Stars in roter Schatulle zur Schau gestellt werden sollten.

Nach Rom konnte Kinzel dann tönen: »Jetzt bestimmen wir. Probesingen und Probeaufnahmen kommen gar nicht in Frage. Die Produzenten haben uns blind zu buchen.«

Und sie buchen. Bis jetzt hat Kauf, mann-Geschäftsführer Kinzel sich und seinem Pflegling als Auswirkungen erfolgreich bestandener sportlicher Zweikämpfe je einen lukrativen Vertrag mit Schallplatte, Film und Varieté verschaffen können.

Am 1. Oktober reist das Paar zunächst für zwei Monate nach den Vereinigten Staaten, wo - so Kinzel - -»viele harte Dollars« warten. Die »Metronome« arrangierte die Tournee; Hauptprogrammpunkt: ein zehntägiges Gastspiel im Vergnügungs-Zentrum Las Vegas. Außerdem sicherte sich die »Metronome« ihren »schnellsten Sänger der Welt« für sechs weitere Schlager, an deren finanziellem Ertrag Kaufmann-Kinzel prozentual beteiligt sein werden.

Der Haupttreffer ist jedoch - wie der Manager stolz verkündet - ein unmittelbar nach den römischen Glückstagen ausgehandelter Vertrag für einen Film, in dem Sportler Kaufmann die Hauptrolle zu spielen und natürlich auch zu singen hat. Kinzel in geheimnisvollen Andeutungen: »Charly hatte ganz bestimmte Vorstellungen von seiner Partnerin. Sie ist ein internationaler Star und in ihrem Land die unerreichte Größe. Sie hat- freudig zugestimmt, mit Charly zu spielen.« Kein Geheimnis ist der Lohn für Kaufmanns Erstling: »Wir bekommen 60 000 Mark. Für weniger hätten wir es nicht gemacht.«

Damit würde Freshman Charly an der deutschen Filmbörse auf Anhieb ebenso hoch wie die erprobten Filmer Martin Held und Walter Giller und sogar höher als Stars wie Marianne Koch, Johanna von Koczian oder Sonja Ziemann gehandelt.

Unter diesen Voraussetzungen war Kinzel ("Ich bin der gute Onkel für Charly") denn auch nicht mehr geneigt, die geschäftlichen Bande zum Hause Kubaschewski fester zu knüpfen. Obwohl die Tagespresse in der vergangenen Woche allenthalben verkündete, Kaufmann habe bei der. Gloria-Film unterschrieben, war es nicht zum Vertragsabschluß gekommen. Kinzel: »Gloria ist im Augenblick nicht mehr so interessant für uns.« Und: »Die wollen doch nur Reklame mit dem Sportler Kaufmann machen. So wie bei Armin Hary.«

Eben diese Reklame mit dem Sporterfolg seines Schützlings aber ist die Hauptnährquelle Kinzels, dem sich Kaufmann durch Vertrag- und eigenen Willen ausgeliefert hat und an dessen Publicity-Drähten er mit der Selbstsicherheit einer Marionette ("Charly ist so diszipliniert") tanzt.

So scheint denn auch die weitere sportliche Laufbahn des Weltrekordläufers nach den ehrgeizigen Kalkulationen seines Managers planmäßig vonstatten zu gehen.

Kinzel: »Charly wird nicht mehr lange laufen, sondern sich ganz dem Showbusiness widmen.«

Kaufmann: »Ich werde noch einige Jahre laufen.«

Kinzel bei anderer Gelegenheit: »Ich habe das erste und das letzte Wort.« Manager Kinzel, Schützling Im Schlepptau ... ... zum Mammon: FilmNeuling Kaufmann, Kollegin* Starlet Tina Louise.

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