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»Da draußen sterben Leute«

Warum das letzte Fastnet-Rennen zur Katastrophe geriet Im Sturm während des letzten Fastnet-Rennens starben 20 Segler - das verheerendste Unglück der Ozeansegelei. Fachleute haben jetzt die Umstände analysiert: Allein schon mörderischer Seegang und miserable Sicherheitsausrüstung machten das Desaster unvermeidlich - »die Fastnet-Renner hatten die Mathematik gegen sich«.
aus DER SPIEGEL 6/1981

Das Sturmtief hat sich über dem amerikanischen Mittelwesten zusammengebraut und zieht ostwärts. In Minnesota fluten Wolkenbrüche über die Kornernte, im New Yorker Central Park stürzen Bäume um, eine Frau wird tödlich getroffen.

Fernleitungen fallen, am New-Jersey-Speedway fliegt eine Mautkabine durch die Luft. Vor Rhode Island bringt der Sturm die für den America''s Cup trainierende Rennjacht »Intrepid« in Not, dann verschwindet die Heimsuchung auf dem Atlantik im Zugtempo: nahezu 100 Kilometer pro Stunde.

Tags darauf erscheint der rasende Luftwirbel als »Tief Y« auf den englischen Wetterkarten ("schnell ostziehend, vertiefend"). Nach kurzem Stopp vor Irland, wo ein anderes Tiefdruckgebiet noch festsitzt, ändert Tief Y seine zunächst auf die Biscaya zielende Richtung und stürmt mit dem ursprünglichen Tempo weiter, nun nordostwärts. In nicht einmal fünf Tagen hat es fast zehntausend Kilometer zurückgelegt und -- mit unverminderter Kraft -- die Irische See erreicht.

Eine Seglerflotte schippert da gerade die traditionsreichste Ozeanregatta der Welt, das Fastnet-Rennen. Es führt von der Isle of Wight rund um den Fastnet Rock südlich Irland und heim nach Plymouth. Das ist zugleich die Entscheidungsfahrt für den Admiral''s Cup, eine Art Mannschafts-Weltmeisterschaft für Hochseesegler. Insgesamt sind über 300 Jachten unterwegs.

In der Nacht vom 13. auf den 14. August 1979 trifft sie der Orkan mit brutaler Gewalt. Ruder brechen, Masten knicken, tonnenschwere Dickschiffe purzeln förmlich von steilen Wellenhängen herab, Sicherheitsgurte reißen, Boote sinken, Rettungsinseln kentern. Eine Katastrophe geschieht.

Der Major J. K. C. Maclean von der britischen Jacht »Fluter« beschrieb die Brecher hinterher als »weiße Pferde mit davonwehenden Mähnen«, sie kamen ihm vor wie »Häupter von Monstern«, die das Boot »15 Meter tief in ein Loch fallen« lassen, nur damit die Insassen besser »begreifen konnten, wie hoch die nächste See sein würde«.

Die Poesie entspricht der Physik. Der schäumende Kamm einer Welle, ein Brecher von beispielsweise zwei Meter Höhe und Tiefe und drei Meter Breite wiegt über zehn Tonnen. Er kann mit bis zu 40 Knoten (knapp 75 Kilometer pro Stunde) heranrasen. Ein Boot wird davon getroffen wie von einem Autobus.

Major Maclean sprach von den Verhältnissen bei Windstärke 10, die in der Beaufort-Skala für Wind- und Seebeschaffenheit so definiert wird: »Sehr hohe Wellen mit langen, überstürzenden Kämmen, sehr große Schaumflächen mit Streifen in Windrichtung. Die See erscheint im ganzen weiß, stoßartiges Rollen, Sicht behindert.«

Im Morgengrauen des 14. August war das Sturmzentrum vorüber, doch die See ging noch nahezu unverändert. Die »Toscana«, eine 15 Meter lange Jacht vom Typ »Swan 47« surfte zu Tal, die Crew erlebte »irre Schußfahrten die Matterhörner, Rockies und Everests hinab«. Da stemmte sich der Navigator den Niedergang empor. Er hatte die Notfrequenz abgehört, wo sich die Folgen der Sturmnacht abzeichneten. Ein Mithörer berichtete: »Da draußen sterben Leute.«

Seit Stunden lief ringsum eine Bergungsaktion ohnegleichen ab, nach britischer Einschätzung »die größte seit Dünkirchen«; 4000 Retter durchkämmten die Irische See auf Frachtern und Fregatten, Rettungskreuzern, Such-Jets oder Helikoptern. 70 Jachten wurden in Sicherheit geschleppt, 24 von ihren Besatzungen verlassen, fünf gesunken. 136 Schiffbrüchige konnten gerettet werden, 20 starben.

Während die Rettungsmannschaften das Chaos ringsum zu ordnen begannen, war das Team der immerhin hochseefesten, schwergebauten »Toscana« nach wie vor vollauf beschäftigt, S.163 die Jacht von den Brechern freizuhalten, die »schäumten, kochten und nach ihrem Heck schnappten«. Noch immer fiel es den »Toscana«-Leuten schwer »zu begreifen, es könnten noch andere Boote ringsum sein«.

Chronist an Bord war der Amerikaner John Rousmaniere. Der 37jährige Hochseesegler schrieb hinterher ein Buch über den Fastnet-Horror. Unter den zahlreichen Analysen, die nach dem Sturm in Buchform erschienen, ist die des Amerikaners die beste. Seit Jahresende ist sie auch in deutscher Übersetzung erschienen.

( John Rousmaniere: »Sturm Stärke 10«. ) ( Verlag Delius, Klasing & Co., ) ( Bielefeld; 272 Seiten; 28 Mark. )

Rousmaniere schildert »einen der hinterhältigsten Sommerstürme des 20. Jahrhunderts« aus der turbulenten Deckssicht der »Toscana«, deren mächtiger Rumpf von den Seen ebenso leicht auf die Seite geschmettert wurde wie andere nur halb so große Konkurrenzschiffe.

Dem »Toscana«-Schreiber kam zugute, anders als den Autoren zahlreicher Schnellschußberichte nach dem Rennen, daß zwischenzeitlich exakte Untersuchungen erschienen waren, darunter von Wetterforschern, Ozeanologen und vom Rennveranstalter Royal Ocean Racing Club (RORC). Der hatte einen über 100 Punkte umfassenden Fragebogen an die Teilnehmer ausgegeben und detaillierte Ereignisbeschreibungen von 235 Jachten zurückbekommen.

22 Boote erlitten Ruder-Havarie, darunter auch die deutsche »Tina-i-Punkt«. Der Hamburger Journalist Svante Domizlaff, der als »Tina«-Mitsegler ebenfalls den Fastnet-Sturm im Buch beschrieb,

( Svante Domizlaff: »Yachten im Orkan«. ) ( Edition Maritim, Hamburg; 208 Seiten; ) ( 34 Mark. )

zitiert aus dem Logbuch: »Durch eine schwere See wird das Schiff durch den Wind gedreht und ist anschließend nicht mehr manövrierbar.« Der Rudergänger: »Plötzlich griff ich in Watte, das Steuer drehte leer.« Mit einem provisorischen Ruderersatz steuerte die Crew das Boot in einen Nothafen.

Die fast gleich große »Golden Apple of the Sun« mußte nach ähnlichem Mißgeschick aufgegeben werden. Das fragile Leichtbauruder, aus Aluminium, mit Kohlefaser verstärktem Kunststoff, hatte nicht gehalten. Konstrukteur Ron Holland, der dieses Debakel an Bord der »Apple« miterleben mußte, gab hinterher zu: »Diese Ruder haben sich von selbst erledigt.«

Doch überwiegend sorgte nicht technischer Ausfall, sondern allein die Wucht der Seen für Unheil. Ein Viertel der Flotte wurde so weit auf die See gedrückt, daß der Mast die Wellen berührte ("Knockdown"). Viele rollten völlig durch. Es kam zu makabren Wiederauferstehungen: Als die deutsche »Jan Pott« nach einer 360-Grad-Kenterung wieder auftauchte, war der Mast ab, doch Steuermann Uli Libor hing immer noch am Ruder und wußte danach nicht einmal mehr, »wie es und was da passiert« war.

Andre Schiffe blieben beim Kentern minutenlang kopfüber. »Never mind«, sagte jemand auf der umgeschlagenen »Windswept«, »in ''ner Minute steht se wieder«. So war es. Das Ballastgewicht des Kiels kippte sie schnell wieder in Schwimmlage. Bei der »Grimalkin« hingegen dauerte das einmal fünf Minuten.

Segler, die dabei die Rettungsinseln verloren hatten, schöpften gegen das eindringende Wasser stundenlang mit Eimern um ihr Leben. Andere, die den vermeintlich rettenden Umstieg in die Insel geschafft hatten, wurden in der S.164 tanzenden und oft kenternden Gummikapsel umhergeworfen wie Wäsche in der Trommel.

Mit unverwüstlicher Contenance überstand die Besatzung der »Mosika Alma« das Schlimmste. Aus dem Logbuch: »06.00 um 180 kieloben gedreht. Keine ernsten Verletzungen, kein Riggschaden. Skipper Rippen gebrochen, Steuermann gebrochene Nase, ein Mann Schnitte im Gesicht.«

In den Berichten anderer Crews waren die verheerenden Auswirkungen nicht zu überspielen. Ein Mann der »Gunslinger« ertrank, als die Rettungsinsel sofort nach dem Besteigen kenterte. Die »Flashlight« verlor zwei Mann, als die Sorgleinen rissen, Haltetaue für Sturmfahrt, die meist mit Schultergurten am Körper und mit Karabinerhaken am Schiff befestigt werden. Auf der »Festina Tertia« zog die Crew einen leeren Schultergurt herein. Der Gurt war gerissen, der über Bord geschleuderte Segler herausgerutscht.

Zu Schreckensszenen wurden viele der Versuche, einen Überbordgegangenen an seiner intakt gebliebenen Leine zurückzuholen, während das Boot vor Wind und Wellen kräftig Fahrt machte. Auf der »Bonaventure II« dauerte eine solche Rettungsaktion, zusätzlich behindert durch das Teile-Chaos eines gebrochenen Mastes, über eine Stunde.

Ein Wunder schließlich gab''s auch: Der Skipper der aufgegebenen Jacht »Trophy« überlebte fünf Stunden ohne Schwimmweste in den Brechern, ehe die Besatzung einer Fregatte ihn aus dem Wasser zog.

Die »Trophy« war beim Versuch, einem Havaristen zu helfen, selbst in Seenot geraten, eine Welle brachte sie zum Durchkentern, brach den Mast ab und spülte drei Männer über Bord. Zwei von ihnen zogen sich aus eigener Kraft zurück aufs Boot, der dritte, Skipper Alan Bartlett, war in dem umhertreibenden Gewirr aus Drähten und Tauen des gebrochenen Masts gefangen.

Als die Crew ihn langsam an den Beinen heraushievte, bekam Bartlett zwar wieder Luft, nun aber hämmerte sein Kopf gegen die Bordwand. Bartlett dachte: »Was für ''ne blödsinnige Art zu sterben.« Als die Mitsegler ihn endlich in Sicherheit hatten, waren Bartletts Schwimmweste und Sicherheitsgurt zerstört.

In Panik geraten, hatten mittlerweile zwei Crew-Mitglieder die Rettungsinsel auf eigene Faust zu Wasser gebracht. Das Notfloß, einmal in Betrieb, mußte nun unverzüglich von allen benutzt oder aber der See überlassen werden. Die »Trophy«-Leute entschieden, lieber ihr mastloses Boot, das schon halb voll Wasser stand, aufzugeben als die erst vor kurzem werksinspizierte Rettungsinsel.

Insel nebst Besatzung kenterten mehrfach, und beim fünftenmal geschah S.165 bis dahin Unvorstellbares: Das Floß zerriß in zwei Teile, die nun nur noch die Schutzwirkung aufgeblasener Gummiringe hatten. Bis Retter im Hubschrauber die treibenden Fetzen der Rettungsinsel fanden, waren drei der Segler ertrunken.

Der gleiche Sea-King-Hubschrauber hatte zuvor die Zeugen einer anderen Tragödie an Bord gehoben -- Überlebende der »Grimalkin«. Von Seen »wie Wohnblocks, nur größer«, war dieses Schiff oft umgeworfen und durchgerollt worden. Die sechsköpfige Besatzung saß dabei angeleint im offenen Cockpit, sechsmal flogen alle Mann über Bord, konnten sich aber an ihren Leinen immer wieder ins Boot ziehen.

Als erster starb der Skipper. Bei einem Durchkentern war er im Cockpit unter Wasser eingesperrt. Seine Mitsegler kappten den Sicherheitsgurt, um ihn zu befreien, aber als das Schiff sich aufrichtete, trieb der Mann weg.

Längst war auch der Mast der »Grimalkin« heruntergekommen. Nach langem Kampf gegen Takelage-Reste und immer neue Volltreffer von Wellenbergen lagen zwei Besatzungsmitglieder verletzt und bewußtlos im Cockpit. Da beschlossen die übrigen drei auszusteigen. Es schien unmöglich, die zwei Aktionsunfähigen in die Rettungsinsel zu wuchten, die bereits aufgeblasen und angeleint neben dem Schiff auf und ab tanzte. So wurden die beiden morgens zurückgelassen.

»Weder die ''Grimalkin'' noch die beiden Halbtoten in ihrem Cockpit fanden Gnade, nachdem die anderen sie verlassen hatten«, schreibt Chronist John Rousmaniere. Denn nochmals kenterte die Jacht, wieder flogen die Männer über Bord.

Der 24jährige Nick Ward kam erst unter Wasser zu Bewußtsein. Mit letzter Kraft schleppte er sich durch eine Lücke in der Reling wieder an Deck und zog mit einer Winde sogar noch seinen Kumpel heraus. Doch der starb bald darauf.

Den ganzen Tag lang eimerte Ward Wasser aus dem langsam tiefer sinkenden Wrack. Abends kam der Sea King und barg ihn mitsamt dem Toten. Auch die »Grimalkin« wurde später geborgen. Nick Ward nahm sie im irischen Hafen Baltimore in Empfang, zusammen mit einem seiner bordflüchtigen Freunde -- »das gemeinsame Interesse an dem Boot dämpfte etwas die Bitterkeit«.

Von solchen Melville-Szenen ließen sich die englischen Medien freilich nicht abhalten, den Schrecken undramatisch aufzuarbeiten. »Betrachten wir''s mit Fassung«, schrieb der Chefredakteur von »Yachting Monthly« dazu, »hätte in jenem Revier nicht gerade eine Regattaflotte gesegelt, dann wüßten die meisten gar nicht, daß es da einen Sturm gegeben hat.«

Solche Ansatzweise brachte auch schnell zutage, wie wenig an den grundsätzlichen Manöverkritiken dran war, die unter dem frischen Eindruck der Seeschlacht in den ersten Wochen in Umlauf kamen. Entgegen vorschneller Ursachenforschung nämlich

* war es kein Jahrhundertsturm, der das Feld der Boote überrannte; solche Verhältnisse sind am Fastnet Rock auch im August zu erwarten -- statistisch alle zehn Jahre;

* war nicht mangelnde seemännische Eignung der Betroffenen die Ursache der hohen Unfallrate -- drei Viertel aller Skipper, denen ein Knockdown widerfuhr, hatten Erfahrungen mit Hochsee-Regatten von 500 Seemeilen und mehr;

* handelten die Besatzungen, die ihre später intakt aufgefundenen Boote S.166 im Sturm verlassen hatten, zumeist durchaus nicht leichtfertig gegen die Regel »So lange wie möglich an Bord bleiben": Unter den später geborgenen 24 Booten wiesen nur zwei keine schweren Schäden auf.

Patentvorschläge gegen die Wiederholung einer Fastnet-Katastrophe hatten die Veranstalter nach Auswertung ihrer Bogen auch nicht zu machen. Fazit: »Das Meer zeigte, daß es ein tödlicher Feind sein kann und daß, wer zu seinem Vergnügen zur See fährt, dies im klaren Bewußtsein tun muß, Gefahren höchster Ordnung zu begegnen.«

Die Bedingungen waren, statistisch gesehen, nicht außergewöhnlich, wenngleich in ihrer Kombination mörderisch. Der Seeraum zwischen der englischen Südwestspitze Lands End und dem Fastnet Rock vor der irischen Küste gilt als besonders übles Revier. Tückische Tidenströmungen und Schwell von fernen Atlantikstürmen sorgen für schwer berechenbare Verhältnisse. An manchen Stellen beeinflußt steil ansteigender Meeresgrund das Wellenverhalten und läßt steile Seen entstehen.

Allerdings haben englische Meeresforscher herausgefunden, daß weder Tidenstrom noch dieser Schwelleffekt sonderlich zur Katastrophe beigetragen haben kann. Denn am gegebenen Ort hätten, so das Institute of Oceanographic Sciences, nur Untiefen von weniger als 100 Fuß (30,5 Meter) aufs Wellenbild an der Oberfläche durchgeschlagen; der flachste Teil im Gebiet der Fastnet-Strecke jedoch, die Labadie-Bank, ist doppelt so tief.

Sturm Stärke 10 allein hätte das Desaster nicht verursachen können. Ins Bösartige schlug die schwere See erst um, als das Tief sich unerwartet rapide gesteigert und dann auch noch auf nördliche Richtung gedreht hatte.

Nun gerieten die Boote in den Bereich der Südseite des Wirbels, die stets am stürmischsten ist. Und schlimmer noch: Zweimal in der Nacht änderte der Sturm abrupt die Richtung -von Süd auf Südwest, dann auf West. Jedesmal entsteht dabei binnen kurzem ein neues, zusätzliches Wellensystem. Am Ende liefen also drei verschiedene Wellenrichtungen durcheinander. Vertrackte Kreuzseen türmten sich auf, darunter monströse Wasserberge.

Die Ozeanographen errechneten, daß hier bei Schwerwetter die »signifikante Wellenhöhe«

( Durchschnittliche Höhe der 33 höchsten ) ( Wellen aus einer Serie von 99 Wellen in ) ( Folge. )

zwischen zehn und fünfzehn Meter betragen kann; Abweichungen nach oben sind wahrscheinlich: Im Schnitt ist sogar alle drei Stunden eine See von nahezu doppelter Höhe zu erwarten. John Rousmaniere: »Die Fastnet-Renner hatten die Mathematik gegen sich.«

Manche hatten sie freilich auch auf ihrer Seite. Die größten und damit schnellsten Jachten, darunter viele Admiral''s Cupper, lagen erwartungsgemäß bald weit vor der übrigen Flotte. Sie hatten den Felsen gerundet und fuhren bereits wieder zurück, als die kleineren noch ahnungslos in ein eng umgrenztes Gefahrenzentrum kreuzten: Das Seegebiet mit den fatalen Notmeldungen hatte einen Durchmesser von knapp 40 Seemeilen.

So waren die Vordersten, an der Spitze der spätere Gesamtsieger »Tenacious«, im kritischen Moment weitab. Zwar warf es auch die »Tenacious«, eine amerikanische Superjacht, auf die Seite. Doch während hinterm Horizont die Boote zu Dutzenden kenterten, gab es, so prahlte später »Tenacious«-Skipper Ted Turner, »bei uns an Bord Abendessen mit Steaks«. S.167

Aus Turners Sicht traf das Verhängnis stets die »unehrlichen ausgemagerten kleinen Dinger«, gegen die nun »amtlich was getan werden muß«. Doch tatsächlich blieb auch in der Fastnet-Analyse dieser alte Skipperstreit unentschieden:

* ob wirkliche Sturmsicherheit nur ein schweres Schiff garantiert, weil es ruhig durch die Seen schneidet, auf dick gebautem Deck auch mal ein paar Tonnen schwere Brecher verträgt und dank gewichtiger Stabilität nicht so leicht umzuwerfen ist,

* oder ob das ideale Sturmschiff leichtfüßig sein darf, weil es dann, wie ein Pingpongball, den Wellen ausweicht, statt sie Stunde um Stunde zu nehmen; und ob es nicht zuletzt auch deshalb sicherer ist, weil es dank geringerer Masse, mit weniger Segelfläche und schmalerem Rigg -- Mast und Verstrebungen -- auskommt. All dies kann die Kentergefahr mindern.

Einige der vom RORC befragten Skipper rühmten ihren Schwergewichten zwar nach, dank der höheren Stabilität hätten sie noch Segelfläche tragen können, während die Leichtgewichte bereits notgedrungen ohne alles Tuch und damit oftmals unsteuerbar vor dem Sturm einhertrieben. Ohne Steuerwirkung aber kann der Rudergänger den Brechern nicht ausweichen, Querschlagen des Bootes und Kentern drohen.

Wirklich wichtig scheint jedoch die Bootslänge, mithin das Verhältnis Boot zu Welle, gewesen zu sein. In den obersten beiden der nach Größe gestaffelten sechs Fastnet-Klassen wurden nur elf Prozent der teilnehmenden Schiffe auf die See gedrückt oder kenterten gar. Im Schnitt aller übrigen Klassen hingegen traf 46 Prozent der Knockdown.

Risiko kommt aber auch von der immer stärker verbreiteten Hochleistungsideologie im Ozean-Jachtsport. Vorbei die Zeiten, klagt John Rousmaniere, auch einer derjenigen, wo die Motivation noch überwiegend aus »Spaß an der frischen Luft« und der »Geselligkeit an Bord« entsprang.

Siegeschancen hat nur noch, wer es auf sich nimmt, in rigoros abgemagerten, ausgekernten Spezialbooten zu fahren, mit dem »Komfort wie im Innern einer Boeing-Tragfläche« (Rousmaniere), mit fünfzehn Meter hohen Masten für Dutzende von computerentworfenen Segeln. Hydraulische Züge, exotische Werkstoffe und jede Menge Elektronik, nicht zuletzt aber auch der Preis eines solchen Systems (oft über eine halbe Million) beweisen: Auf See hat sich längst eine Art Formel 1 etabliert.

Manche der Fahrer reden auch so. Der Amerikaner Ted Turner, einer der erfolgreichsten und besten Ozean-Rennsegler, befremdete nach der Unglücksregatta mit dem Spruch: »Das ist die größte Seglerleistung seit langer Zeit. Wir waren nicht wirklich mit der Wetterlage beschäftigt. Was uns beschäftigte, war: gewinnen.«

Landsmann und Konkurrent Dennis Conner von der »Williwaw« sagte der »New York Times": »Es ist nicht schlimmer als das Indianapolis-500-Meilen-Rennen. Wir nehmen unsere Chancen wahr. Die Gefahr gehört dazu.«

Es ist anzunehmen, daß derartige Formel-1-Mentalität manchen Skipper wider alle Vernunft und ohne Blick für Wetteranzeichen voranbrausen ließ. Autor John Rousmaniere glaubt, die Erkenntnis, daß Schiff und Besatzung schon längst in Gefahr waren, sei vielen dieser Segler erst mitten im Sturm aufgegangen -- »und manchen Überlebenden erst, als der Kampf ums Überleben endlich vorbei war«.

Eine Lehre allerdings werden alle Segler zu beherzigen haben, die dieses Jahr wieder zum Fastnet Rock aufbrechen: Das Vertrauen ins Funktionieren der Sicherheitseinrichtungen war bislang allzu »gläubig«. Manche Hersteller von Schwimmwesten, Sicherheitsgurten und Rettungsinseln haben laut Resultat der RORC-Analyse ihrer arglosen Kundschaft jahrelang Murks angedreht.

Spreizte sich an Land der Direktor einer Fabrik für Rettungsinseln: »Kein Jachtsmann mit gesundem Verstand« fahre bei solchem Wetter raus, und »was die leeren an Land gebrachten Rettungsinseln betrifft, so bestärken die meine Meinung, daß die Ausrüstung stärker ist als der Mensch«. Freilich: Ein Produkt eben dieser Firma forderte gleich drei Todesopfer auf einen Schlag, die Rettungsinsel der »Trophy«.

Auf nicht weniger als 26 Jachten versagte der Rettungsgurt -- Haken gingen auf, das Textilgewebe riß. Sechs Segler starben dabei. Einige der Gurtopfer scheinen allerdings das Verhängnis herausgefordert zu haben. Nur 43 Prozent der vom RORC Befragten trugen während des Sturms ständig Schwimmwesten.

S.163John Rousmaniere: »Sturm Stärke 10«. Verlag Delius, Klasing & Co.,Bielefeld; 272 Seiten; 28 Mark.*Svante Domizlaff: »Yachten im Orkan«. Edition Maritim, Hamburg; 208Seiten; 34 Mark.*S.166Durchschnittliche Höhe der 33 höchsten Wellen aus einer Serie von 99Wellen in Folge.*S.167Von Bord der an den Rettungsaktionen beteiligten holländischenFregatte »Overijssel« werden Särge mit Fastnet-Opfern gebracht.*

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