»Da geht eine Bombe hoch«
Dombrowski, 32, wurde 1980 Olympiasieger im Weitsprung. Der deutsche Rekordhalter (8,54 Meter) lebt als Sportstudent in Chemnitz und engagiert sich für die PDS im Stadtparlament. Als erster ostdeutscher Sportler wurde er bei einer Überprüfung der Abgeordneten als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) der Stasi enttarnt.
SPIEGEL: Warum haben Sie eine Verpflichtungserklärung zur Stasi-Mitarbeit abgegeben?
DOMBROWSKI: Ich bekam 1979 durch einen Kontaktmann aus dem SC Karl-Marx-Stadt einen Termin bei der Stasi. Zunächst mußte ich eine Schweigeerklärung über das Gespräch abgeben, dann wurde ich als IM angeworben. Ich hatte Angst vor den Folgen, wenn ich nicht unterschrieben hätte - zum Beispiel vor dem Verlust von Privilegien wie die Berechtigung zu Auslandsstarts.
SPIEGEL: Sie haben nur aus Angst unterschrieben?
DOMBROWSKI: Nein, nicht nur. Ich war damals 19 Jahre alt und fühlte mich als Sportler auch als Nutznießer der Gesellschaft - ich hatte ein Schuldgefühl gegenüber dem Staat. Viele Sportler glaubten, einen aktiven Beitrag für den Schutz des Sozialismus leisten zu müssen.
SPIEGEL: Sie haben die SED-Ideologie vom Sport als Mittel des Klassenkampfes akzeptiert?
DOMBROWSKI: In jeder Sportlerschulung wurde einem das eingetrichtert. Wir sind so erzogen worden, daß der Sport Teil der Systemauseinandersetzung zwischen DDR und BRD ist. Deshalb bin ich auch nicht zur Stasi-Mitarbeit erpreßt worden. Das war meine eigene freie Entscheidung.
SPIEGEL: Was wollte die Stasi von Ihnen wissen?
DOMBROWSKI: Der Auftrag lautete, über Abwerbungsversuche des Westens zu berichten. 1980 gab es den Olympiaboykott des Westens gegenüber den Spielen in Moskau. Die Sowjetunion war gerade in Afghanistan einmarschiert - es war eine politische Situation, in der die Staatsführung wohl auch im Leistungssport bei den Mitgliedern der Nationalmannschaft die Zügel noch straffer führen wollte.
SPIEGEL: Was haben Sie konkret der Stasi berichtet?
DOMBROWSKI: Ich habe in acht Jahren meinen Führungsoffizieren insgesamt 30 mündliche Erlebnisberichte abgeliefert. Ich habe dabei aber nie einen Sportkollegen denunziert, so steht es auch in meiner Stasi-Akte.
SPIEGEL: Wie haben Ihre ehemaligen Teamkollegen auf das Stasi-Bekenntnis reagiert?
DOMBROWSKI: Nur weil ich der erste Sportler bin, der sich zu seiner Stasi-Vergangenheit bekennt, bin ich jetzt das große Schwein, das alle ausgeforscht hat. Das stimmt nicht, ich habe mehrfach gebeten, mich aus der Mitarbeit zu entlassen. Das ging nicht, deshalb habe ich mich eben arrangiert. Ich war kein Märtyrer.
SPIEGEL: Haben Sie mit anderen über ihre Stasi-Tätigkeit gesprochen?
DOMBROWSKI: Nie, man war ganz auf sich allein gestellt. Wir waren in der DDR-Nationalmannschaft kein großes Kollektiv, es gab immer ein gewisses Mißtrauen untereinander. Stasi, finanzielle Zuwendungen oder Doping waren absolute Tabuthemen. Die Leistungssportler waren alle Geheimnisträger.
SPIEGEL: Und jetzt werden nacheinander weitere Sportler als Stasi-Spitzel enttarnt?
DOMBROWSKI: Ich war bestimmt nicht der einzige IM. Es wäre ja widersinnig, wenn gerade in einem so sensiblen Bereich wie es der Leistungssport in der DDR war, es keine Stasi-Mitarbeiter gegeben hätte.
SPIEGEL: Waren einzelne Sportler, Trainer oder Funktionäre von einem bestimmten Rang an stasiverpflichtet?
DOMBROWSKI: Jeder sportpolitische Höhepunkt wurde in speziellen Schulungen vorbereitet. Und jeder Auslandseinsatz wurde in Gesprächen mit der Sportleitung ausgewertet. Ob einzelne Personen darüber hinaus Berichte an die Stasi geliefert haben, weiß ich allerdings nicht.
SPIEGEL: In der Literaturszene sind durch die Stasi-Enthüllungen viele Freundschaften zerbrochen. Droht das jetzt auch den ehemaligen DDR-Sportlern?
DOMBROWSKI: Unter den Sportlern war die Solidarität nie so groß wie in der Literaturszene am Prenzlauer Berg. Zudem hat doch eine ehrliche Aufarbeitung durch sportpolitische Gremien noch gar nicht begonnen. Zur Zeit findet nur eine Hetzjagd auf einzelne Personen wie mich statt. Doch der Fall Dombrowski ist nicht die große Sache. Da wird noch eine Bombe hochgehen, denn Leute, die wirklich anderen geschadet haben, blieben bisher unbehelligt.
SPIEGEL: Wer waren diese Leute?
DOMBROWSKI: Namen will ich nicht nennen, doch es gibt genug, die - ohne IM gewesen zu sein - anderen die Karriere vemasselt haben. Sportfunktionäre haben Personen wie den ehemaligen Diskus-Weltrekordler Wolfgang Schmidt regelrecht fertiggemacht. An die Großen geht aber keiner ran, weil dann auch die Verflechtungen mit der Bundesrepublik bekannt würden. Im Sport ist es so ähnlich, wie wir es in der Politik im Fall Schalck-Golodkowski gesehen haben.
SPIEGEL: Wer ist denn der Schalck des Sports?
DOMBROWSKI: Das weiß ich nicht. Die Sauerei ist nur, daß durch den Fall Dombrowski wieder ein Generalangriff auf den gesamten DDR-Sport geführt wird. Es tut mir für den Sport leid, daß durch mich eine große Kettenreaktion ausgelöst worden ist. o