»Da schnapp' isch mir 'ne Million«
Stumm und mit deutlich zur Schau gestelltem Kummer im Gesicht steigt der Fußballspieler Andreas Möller in seinen schwarzen 5er-BMW, während gleich nebenan seine Kollegen ihre Trainingsarbeit verrichten. Möller gibt kräftig Gas, und auf mächtigen 265er-Breitreifen verläßt er das Klubgelände der Frankfurter Eintracht am Riederwald.
Der Star ist angeschlagen. An Körper und Seele. Nicht nur, daß er Malaisen mit seinem sensiblen »Wadenbeinköpfchen« hat und deshalb nicht mittrainieren kann. Nein, er ist derzeit generell »so'n bißchen frustisch« drauf.
»Einfach irgendwie positiver« habe er sich das letzte halbe Jahr im Hessenland vorgestellt, statt dessen sei er oft zum »Sündenbock« gemacht worden, wenn es »bei der Eintracht« mal wieder nicht nach Wunsch lief. Und dann hat den feinnervigen Kicker vollends aus dem Gleichgewicht gekippt, daß der Bundesligaklub in der vorletzten Woche auch noch seinen engsten Freund und persönlichen Berater Klaus Dieter Gerster - hauptberuflich Manager bei Eintracht Frankfurt - entmachtet hat.
Gerster soll sich, so als gelte es, eine Ansteckungsgefahr zu bannen, künftig von den Frankfurter Profis »fernhalten«. »Druck«, lamentiert Möller, könne er zwar aushalten, aber in Frankfurt sei der jetzt schlichtweg »zu groß«.
Es ist mal wieder soweit. Der Nationalspieler Andreas Möller, 23, von Bundestrainer Berti Vogts einst leichthin als das »größte Talent seit Beckenbauer« apostrophiert, liegt mit seinem Arbeitgeber über Kreuz - und kündigt verschleiert seinen Abgang an.
Der Jüngling mit dem immerwährenden zarten Bartflaum gibt derzeit den ersten Akt eines Schauspiels, das er gemeinsam mit seinem Berater Gerster schon zweimal aufführte. Der Ablauf, das zeigen die Vorgänge während seines ersten Engagements bei Eintracht Frankfurt und im letzten Jahr bei Borussia Dortmund, ist stets der gleiche: Der Star fühlt sich erst mißverstanden, dann droht er mit Angeboten anderer Klubs - und schließlich wird kassiert.
Das gemeinsame Wirken des »Gespanns« (Gerster) gilt in der Bundesliga mittlerweile als das größte Unheil, das über einen Fußballklub hereinbrechen kann.
Zwar sind die Karrieren talentierter Fußballer schon oft von mysteriösen Umständen begleitet worden. Spielerberater verdienten Millionenbeträge an ihren Klienten, Väter verkuppelten ihre minderjährigen Söhne mal für einen Mähdrescher, mal für einen gutbezahlten, aber ruhigen Arbeitsplatz an interessierte Klubs. Doch der Trickreichtum des Pärchens aus Hessen ist beispiellos im deutschen Fußball.
Möller und Gerster leben in einer Art symbiotischer Beziehung. Der gedanklich schlichte Fußballspieler begriff früh, daß der gelernte Immobilienkaufmann Gerster, früher einmal Möllers Jugendtrainer, im Umgang mit Geld besonders flink ist. Deshalb vertraut der gelernte Bürokaufmann Möller ihm blind. So steigerte sich das Jahresgehalt des Mittelfeldspielers innerhalb von vier Jahren von 200 000 auf 1,2 Millionen Mark - kein anderer Bundesliga-Profi verdient annähernd soviel.
Die enge Bindung an den Star hat auch Gerster, 34, zur Karriere verholfen: Bei welchem Klub auch immer Möller bislang anheuerte, es fand sich da auch für den Berater noch ein Job. Vehement bestreitet Gerster zwar jede Abhängigkeit: »Isch bin net dem sein Hansel.« Doch bei Vertragsverhandlungen für seinen jugendlichen Freund feilscht er stets auch in eigener Sache.
Vor Möllers Wechsel nach Dortmund erklärte er listig, er sei seinen Job als Jugendtrainer in Frankfurt »garantiert los, wenn der Andy da weggeht«. Prompt versprach ihm Dortmunds Präsident Niebaum einen Job als »Jugendkoordinator«, später stieg Gerster gar zum »Sportlichen Leiter« auf.
Nach Frankfurt kehrte Möller erst zurück, als Gerster auch dort Manager war. Der Impresario mit dem gepflegten Schnauzbart kassiert angeblich 320 000 Mark jährlich und nähert sich damit seinem Ziel, das er als Möllers Jugendtrainer einem Kollegen gegenüber so formulierte: »Mit dem Andy, da schnapp' isch mir mal 'ne Million.«
Heftig dementiert Gerster immer wieder jedes geschäftliche Interesse an Möller. Viel lieber referiert er mit glänzenden Augen die Geschichte zweier Familien, die aufs innigste miteinander verbunden sind: Als Zehnjähriger habe er »unter dem Möller seinem Vater trainiert«, und bei der Hochzeit der Eltern durfte er »Spalier stehen«. Ja, sogar im selben Krankenhaus seien Andy und er geboren - als wär's ein Stück aus dem Lore-Roman.
So eine Freundschaft, sagt Gerster, dürfe nicht kleinkariert betrachtet werden: »Jeder braucht mal einen Rat, auch der Bush hat ja gerade zur Zeit einen großen Beraterstab.«
Immer wieder verspürt das Gespann einen merkwürdigen Erklärungsbedarf über die Hintergründe seines Miteinanders. Federführend war dabei lange der Rechtsanwalt Thomas Kruppa, ebenfalls ein »Freund«. Kruppa entwarf Botschaften an die »Freunde und Anhänger von Eintracht Frankfurt« und klärte darin auf, »viele zwischen dem 10. und 18. Lebensjahr übliche Probleme eines Jungen« hätten Möller und Gerster »gemeinsam lösen« können.
Kruppa und Gerster sorgten dafür, daß Möller sozusagen ferngesteuert Karriere machen konnte. So gibt der Nationalspieler heute vor Kameras immer noch jene Sprechblasen zum besten, die er einst auswendig lernen mußte.
Auf einem DIN-A 4-Bogen mit »Vorschlägen für Antworten gegenüber der Öffentlichkeit« hat Kruppa bei »Fragen zum Geld« diese Möller-Antwort ausgearbeitet: »Entscheidend ist für mich die sportliche Fürsorge durch meinen Verein.« Falls weiter insistiert werde »und hohe Beträge genannt werden«, solle der Kicker zugeben, »ungefähr 3000 Mark netto im Monat ohne Prämien« zu verdienen - ansonsten aber wolle er »über Geld nicht sprechen«.
Das Image des Talents pflegte der Jurist in langen Briefen an Bundesligapräsidenten von München bis Köln. Darin ließ er wissen, Möller und Gerster seien vom »Elternhaus zu Bescheidenheit und tadellosem sportlichen Verhalten« erzogen worden, deshalb sei »Geld für Herrn Möller nebensächlich«.
Tatsächlich aber scheut das Duo auch verschlungene Pfade nicht, um noch ein paar Mark nebenher einzustreichen - und dabei wurden sie erwischt.
Weil der Klub Möller fürstlich entlohnt, sicherte er sich vertraglich das Recht, an zusätzlichen Werbegagen seines Stars zu partizipieren. Doch als vor einigen Wochen die Anfrage einer Werbeagentur, die Möller im Auftrag eines Gartenbauunternehmens für einen Werbespot gewinnen wollte, auf dem Schreibtisch der Eintracht-Geschäftsstelle landete, griff der doppelte Gerster zum Telefonhörer und fragte beim Absender scheinheilig nach, ob das Schreiben »an mich in meiner Funktion als Eintracht-Manager oder als Freund und Berater vom Andreas« gerichtet sei.
Der Agentur war es »egal«, da lenkte Gerster die Offerte still an seinen Freund weiter. Möller bat die Werber dann schriftlich, »in Zukunft diese Dinge persönlich an meine Privatadresse zu senden«, und teilte mit: »Das Honorar in dieser Angelegenheit wird DM 50 000, - zuzüglich Mehrwertsteuer betragen.« Gerster wurde daraufhin abgemahnt.
Dieser Alleingang ist kein Einzelfall: Auch für eine Autogrammstunde im Bremer Kaufhaus »Galeria Horten«, die er im August letzten Jahres angeblich nur in Diensten seines Ausrüsters Nike absolvierte, forderte Möller obendrein noch 5000 Mark für sein Privatkonto.
Auch Gerster nimmt jede Mark mit. Den provozierten Rausschmiß als Jugendcoach in Frankfurt vor drei Jahren ließ er sich mit 15 000 Mark Abfindung bezahlen. Und als er Möller von Dortmund nach Frankfurt zurücktransferierte und in Dortmund gehen mußte, weil Borussen-Präsident Gerd Niebaum »bei Herrn Gerster jede Offenheit vermißte«, ließ er sich noch »ein paar Monate« (Niebaum) das Gehalt überweisen.
Den »schwarzen Abt«, wie Gerster wegen seiner Undurchsichtigkeit genannt wird, drängte es stets in die Nähe der Profis. Immer wieder versuchten Verantwortliche, den Mann, der wie ein Nachwuchs-Zigeunerprimas wirkt, zu vertreiben. Trainer Karlheinz Feldkamp warf ihn einst aus der Kabine ("Was haben Sie hier zu suchen?"), Frankfurts Zeugwart drohte: »Beim nächsten Mal hau'n wir ihm auf die Fress'.«
Doch Gerster kommt immer wieder. In dieser Saison fanden die Frankfurter Profis am Schwarzen Brett ihrer Umkleidekabine einen Aushang mit »günstigen« Immobilienangeboten und dem Hinweis, Details seien »bei Klaus Gerster in der Geschäftsstelle« abzurufen. Vizepräsident Bernd Hölzenbein ("Unsere Kabine ist doch kein Maklerbüro") entfernte den Zettel und ermahnte den Manager.
Als jetzt in Frankfurt Gerüchte umgingen, Lazio Rom sei an Möller interessiert, habe sogar schon verhandelt, Gerster aber immer wieder unschuldig erklärte, Möller wolle »mindestens drei Jahre« seines Fünfjahresvertrags erfüllen, wurden bei den Eintracht-Verantwortlichen unangenehme Erinnerungen wach. So hatte Möllers Abschied vor drei Jahren auch begonnen.
Obwohl Möller und Gerster damals mit Dortmund längst handelseinig waren, versicherte Anwalt Kruppa in einem Brief an das Frankfurter Präsidium, Möller sei »Frankfurter und Eintrachtler«, »gerne« wolle er mit den Hessen »einen langjährigen Lizenzspielervertrag abschließen«. Artig bedankte sich der Kicker zudem »bei seinen Mitspielern für ihre Unterstützung« sowie bei Trainer Feldkamp und Manager Kraus »für ihre Fürsorge und Förderung«.
Zum Schein feilschte Gerster noch mit Frankfurter Klubvertretern. Als ihm der damalige Vizepräsident Klaus Mank für einen Dreijahresvertrag mit Möller 150 000 Mark »netto und schwarz« anbot, zögerte Gerster nur kurz. Dann fuhr er in ein Frankfurter Hotel. Dort wartete schon eine Dortmunder Delegation, die Möller gleich mitnehmen wollte.
Verblüffend schnell mutierte der bodenständige Hesse Möller dann zum echten Jungen aus dem Pütt: Er sei »wirklich froh, daß ich nicht mehr in Frankfurt bin«, gab Möller zu Protokoll. Und der einst so geschätzte Trainer Feldkamp war plötzlich nur noch »ein Blender«. Im letzten Sommer setzte Möller noch eins drauf. Den Transfer zurück an den Main begründete der wendige Bub damit, er und Freundin Michaela seien »mit dem Herzen immer in Frankfurt geblieben«.
Soviel Smartheit ist selbst unter angepaßten Fußballprofis suspekt. Wo Gerster und Möller auftauchten, mußten die Teams bald ebensooft zu Krisensitzungen wie zu Punktspielen einberufen werden. Und der zarte Andy stellt sich anschließend gern als Opfer einer mißgünstigen Ellenbogengesellschaft dar.
Zur »Bestform«, klagt Möller dann mit dem Unschuldsblick von Mutter Teresa, benötige er vor allem »Harmonie, Sicherheit und Anerkennung«, kurzum: »Ich brauche das Intakte um mich herum.«
Aber nur Möller selbst wundert sich noch, warum er sich so irreparabel mit den Mannschaftskollegen überwirft. In Dortmund klebte Verteidiger Michael Schulz ein Messer über Möllers Platz in der Kabine und schrieb dazu: »Dich kriegen wir auch noch.« Zuletzt befand der Frankfurter Torhüter Uli Stein, wenn Möller lediglich glänzen und »den Alleinunterhalter spielen« wolle, müsse er »bei Roncalli auftreten«.
Sogar Förderer Berti Vogts rückte von dem wehleidigen Solisten ab: Eine Führungsrolle, erklärte der Bundestrainer, müsse sich ein Spieler »erarbeiten, die wird nicht verschenkt«.
Mit Argwohn wurde in Frankfurt beobachtet, daß der bauernschlaue Gerster auch andere Jungprofis, die sogenannten Gerster-Boys, nach dem Möller-Prinzip versorgen wollte. Deshalb wurde er aus dem Dunstkreis der Profis entfernt. Und Vizepräsident Bernd Hölzenbein gestand einem kleinen Kreis im Schlemmerlokal »Altes Zollhaus« bereits: »Wenn ich Geld hätte, würde ich ihn auszahlen und rausschmeißen.«
Über den Fall akuter Arbeitslosigkeit hat sich Gerster auch schon seine Gedanken gemacht. Wenn ihm gar nichts anderes als die Beratung Möllers bliebe, »dann würde ich auch Geld dafür nehmen«. Und zwar mit einem »sauberen Gewissen«, weil er doch stets »seriös gearbeitet« habe.
Maßgebend für so eine Beurteilung, sagt der umstrittene Gerster, sei nämlich »immer der Blickwinkel«. Und da sieht der hessische Trickser nur einen vergleichbaren Mann auf der Welt. Ihm, Gerster, gehe es nicht anders als Saddam Hussein, den die ganze westliche Welt für einen »Verbrecher« halte. Frage man aber die Iraker, »dann sagen die, der iss gar net so schlimm«.