»Dallas-Verständnis vom Leben«
Kranefuß, 52, gebürtiger Münsteraner mit Amtssitz Dearborn (Michigan), ist seit 1981 für alle Motorsport-Aktivitäten des Ford-Konzerns weltweit verantwortlich. Mit Ford-Motoren gewann das Benetton-Team die beiden letzten Formel-1-Rennen der vergangenen Saison.
SPIEGEL: Was reizt die Industrie am Formel-1-Spektakel?
KRANEFUSS: Für Ford ist Motorsport vor allem eine gute Schule für unsere Ingenieure, die hier lernen, unter Termindruck zu arbeiten. In der Serienentwicklung wird in Zeiträumen von Monaten und Jahren gedacht, im Rennsport steht während der Saison an jedem Wochenende die Company-Ehre auf dem Spiel.
SPIEGEL: Ein Formel-1-Auto hat mit einem Pkw doch so gut wie nichts gemein.
KRANEFUSS: Es geht nicht um die Technik, sondern um Arbeitsweisen. Tempo und Kreativität sind den großen Unternehmen abhanden gekommen, im Rennsport werden sie von den Ingenieuren verlangt. Natürlich sollen Rennerfolge auch das Image verbessern.
SPIEGEL: In der Formel 1 rammen sich Spitzenfahrer wie Senna und Prost absichtlich von der Piste, im letzten Jahr gab es in 16 WM-Rennen 24 Unfälle. Wie ist da ein Image-Gewinn möglich?
KRANEFUSS: Auch ich bin sehr unglücklich über das schlechte Verhältnis der beiden derzeit besten Fahrer. Weil die Autos sicherer geworden sind, kalkulieren einige Piloten auch einen Crash ein. Doch das ist nicht die Norm, das sind Auswüchse.
SPIEGEL: Kennzeichnen sie nicht auch eine gewisse Zocker-Mentalität?
KRANEFUSS: Das typische Problem der Formel 1 ist dieses Dallas-Verständnis vom Leben. Eine ganze Reihe von Leuten ist intellektuell gar nicht fähig zu begreifen, worum es geht. Sie strunzen verantwortungslos mit den Millionen, die sie ausgeben - nur ist dummerweise nichts davon ihr eigenes Geld. Diese Leute sind hemmungslos, verlangen beispielsweise von ahnungslosen Sponsoren mal eben zehn Millionen Mark - und wenn es dann nicht läuft, sagen sie nur: »Well, that's racing.«
SPIEGEL: Wenn Sie dem Ford-Vorstand von diesen Leuten berichten, muß sich das Unternehmen doch in schlechter Gesellschaft wähnen?
KRANEFUSS: Ich habe nie versucht, etwas zu beschönigen. Die Formel 1 ist ein erschreckend kaltes und eitles Geschäft. Aber Ford weiß das. Der Konzern betätigt sich in fast allen Ländern dieser Welt. Business in zivilisierten Gegenden geht da auch von anderen Maßstäben aus als in weniger zivilisierten Ländern.
SPIEGEL: Die Formel 1 ist dann so etwas wie die Mafia des Sports?
KRANEFUSS: Bei der Mafia weiß man eher, wer der Böse ist und wer nicht. Dennoch: Ich glaube an den Rennsport, und der Ford-Vorstand tut dies auch. Er ist ein legitimes Mittel, unsere Botschaft an den Mann zu bringen. Ich denke, daß es für eine Autofirma mehr Sinn macht, Autorennen zu fahren als Tennisstars zu sponsern. Und die Formel 1 strahlt überall auf der Welt eine enorme Faszination aus.
SPIEGEL: Die Autobranche hat Probleme: Die Verkaufszahlen gehen weltweit zurück, der Golfkrieg hat das Umweltbewußtsein der Kunden geschärft. Ist die Formel 1 da noch zeitgemäß?
KRANEFUSS: Ich habe die Fisa, den Motorsport-Weltverband, im Oktober vor der Entwicklung im Golf gewarnt - und selbst wenn jetzt daraus keine Ölkrise entstanden ist, dürfen wir uns vor unserer Verantwortung für die Umwelt nicht drücken. Wir könnten durchaus in der Formel 1 mit unserem Geld und unserer Intelligenz Abgas- oder Verbrauchstechnologien entwickeln, die in einigen Jahren für jedermann von Nutzen wären.
SPIEGEL: Solche Initiativen sind in der Formel 1 erst zu erwarten, wenn Umweltschützer die Ziellinie blockieren.
KRANEFUSS: So weit dürfen wir es nicht kommen lassen. Ich denke, die Zielsetzung der Formel 1 ist komplett falsch. Wir werden irgendwann Motoren haben, die 18 000 Touren pro Minute drehen, 300 Liter Sprit pro Grand Prix verbrauchen und nur einen Sinn haben: Power. Das derzeitige Reglement ist nicht Ausdruck intelligenter Überlegung, sondern Willkür. Der Hubraum ist auf 3,5 Liter beschränkt, daraus machen wir mit wahnsinnigem Aufwand 700 PS und mehr.
SPIEGEL: Um so weniger versteht der Fahrer eines Ford Escort, warum Sie dann noch in der Formel 1 mitmachen.
KRANEFUSS: Aussteigen und nach einiger Zeit wieder einsteigen ist teurer, als dabeizubleiben. Wir versuchen, etwas zu ändern. Vor einem halben Jahr hat Konzerndirektor Edsel Ford dem Fisa-Präsidenten Jean-Marie Balestre in einem langen Brief unsere Vorstellungen dargelegt, wie das Reglement der veränderten Weltlage angepaßt werden sollte - etwa durch die Einführung von Abgas- und Verbrauchslimits.
SPIEGEL: Wie war die Reaktion?
KRANEFUSS: Keine. Nicht mal der Erhalt des Schreibens wurde bestätigt. Die Fisa ist ein Haufen ahnungsloser Leute, die von einem Mann mit einem erstaunlich übersteigerten Selbstwertgefühl geleitet wird und in dessen Vokabular das Wort Sensibilität nicht vorkommt. Die Fisa-Denkweise sieht so aus: Wenn Honda für die Formel 1 pro Jahr 100 Millionen Dollar ausgibt und Ferrari wohl noch mehr, dann müssen bald alle Autokonzerne nachziehen und die WM zu einem noch größeren Spektakel machen. Balestre vergißt dabei: Technologie ohne Ende bedeutet heutzutage nur eins, nämlich Geld ohne Ende.
SPIEGEL: Warum paktieren Sie nicht mit ihren Konkurrenten gegen Balestre?
KRANEFUSS: Ich habe mich bemüht, mit Honda, Renault und Ferrari ins Gespräch zu kommen. Aber die Japaner etwa haben sich bis 1994 auf ihren neuen Zwölf-Zylinder-Motor festgelegt. Sie repräsentieren eine neue Firmenstrategie: Früher mußte jedes Team mit einem festgelegten Budget auskommen. Jetzt gilt für einige nur der Sieg, egal was er kostet. So sind Audi und Peugeot Rallye-Weltmeister geworden, so dominiert Honda die Formel 1. Dabei bin ich überzeugt: Wenn sich Vertreter der zehn größten Autofirmen zusammensetzen würden, dauert es nur zwei Tage, um ein Motorsport-Konzept zu entwickeln, das in die heutige Zeit paßt.
SPIEGEL: Dann ist es durchaus vernünftig, wenn Mercedes die Formel 1 noch meidet?
KRANEFUSS: Das Geld, das Mercedes für die Sportwagen-Weltmeisterschaft ausgibt, kommt den Etats der Spitzenteams der Formel 1 sehr, sehr nahe. Und die Verhältnisse sind dort auch nicht besser. Der Unterschied ist, daß relativ wenig über Sportwagen-Rennen berichtet wird. Die gleiche Summe wäre also in der Formel 1 etwas intelligenter angelegt gewesen. o