OLYMPIA-STADION Das Schrägste
Im Mai 1963 bewilligte der Bonner
Bundestag 650 000 Mark für eine Flutlichtanlage im Berliner Olympia -Stadion. Im Dezember 1964 entschied sich Bundesschatzminister Dr. Werner Dollinger, zuständig für die einst dem Deutschen Reich gehörende Arena, für das günstigste Angebot. Ein Auftrag wurde nicht erteilt. »Im Dollinger-Wahlkreis Erlangen hat die Konkurrenzfirma Siemens ihr Hauptquartier«, entdeckte der Wiesbadener Flutlicht-Spezialist Richard A. Ott, der Siemens unterboten hatte.
Siemens hatte schon 1957 im größten deutschen Sport-Kolosseum (Fassungsvermögen: 93 800 Zuschauer) Lichtbrücken installiert. Sie erwiesen sich jedoch in ihrer Lichtstärke als »absolut unzureichend« (so die Berliner Senatspressestelle). Ausreichend starkes Flutlicht hat der Deutsche Fußball-Bund (DFB) als Bedingung für eine Aufnahme des Berliner Fußballklubs Hertha BSC in die Bundesliga gesetzt.
»Ich denke immer an Hertha«, vertröstete Schatzminister Dollinger den wegen unzureichender Stadion-Ausleuchtung vom DFB wiederholt ermahnten Klub Hertha BSC, »meine Frau heißt Herta.« Dollingers Berliner Filiale, das, Bauamt Nord der Sondervermögens- und Bauverwaltung, bosselte seit 1961 an einem Angebot der Firma Siemens herum, das jedoch schon darum nicht verwirklicht werden konnte, weil es rund zwei Millionen Mark kosten sollte, dreimal soviel wie Bonn ausgeben wollte.
Währenddessen wurde im Juni 1964 im Berliner Post-Stadion für nur 350 000 Märk eine Flutlichtanlage installiert, die nach Alt-Bundestrainer Josef Herberger »mit die besten Lichtverhältnisse in Europa« aufwies. Die Erbauer-Firma: Richard A. Ott (Wiesbaden). Sie wurde vom Berliner Jugend - und Sportsenator Kurt Neubauer ermutigt, doch auch für das Olympia-Stadion einen Vorschlag auszuarbeiten.
Im Konkurrenzkampf um mehr Licht steht für die Firmen das Prestige auf dem Spiel Die Errichtung einer Flutlichtanlage im Olympia-Stadion bringt mehr Ansehen, Publicity - und spätere Aufträge - ein als jedes andere Flutlicht-Projekt.
Vergebens hatten in früheren Jahren die Weltfirmen Philips (1959) und Siemens (1962) versucht, den Außenseiter Ott unter ihrem Firmenmantel zur »weltweiten Zusammenarbeit« im Flutlichtgeschäft zu gewinnen. Ott war selbständig geblieben. Seit zehn Jahren errichteten seine Leute in ganz Europa über 120 Flutlichtanlagen schneller und billiger als die Konkurrenz, während etwa Siemens seit 1957 nur zwei Anlagen - in Duisburg und Augsburg - gebaut hat.
Für das Berliner Olympia-Stadion bot Ott eine blendungsfreie, technisch neuartige Zwei-Mast-Anlage für etwa 650 000 Mark an, die zusätzlich das benachbarte Schwimm-Stadion und die Zuschauerränge ausleuchten könnte.
Doch in Bonn warf Ministerialdirigent Jahn vor Zeugen dem Ott vor: »Was meinen Sie, wie hier die Puppen tanzen, wie der Minister in seinem Wahlkreis angegangen wird.« Für Erlangen, wo Dollinger bis 1961 dreimal hintereinander direkt gewählt worden war, ist Siemens eine der fündigsten Steuerquellen. Erlangens CSU-Vorsitzender Siegfried Haas, der Dollinger mindestens einmal auf das Berliner Flutlicht -Projekt ansprach, ist Siemens-Angestellter. Dollinger dazu: »Ich bin Siemens nicht verpflichtet. Eine solche Unterstellung ist üble Verleumdung.«
Daß Siemens (allein in Berlin über 40 000 Beschäftigte) trotz des günstigen Ott-Angebots im Rennen blieb, veranlaßte dennoch das Bundesschatzministerium: Die Weltfirma durfte erneut einen Vorschlag einreichen. 14 Tage nachdem Ott seine Zwei-Mast-Pläne, in denen 32 Patentansprüche verarbeitet worden waren, eingereicht hatte, diente Siemens ebenfalls eine 80 Meter hohe, zweimastige Flutlichtausstattung für 755 000 Mark an.
Die Wiesbadener reagierten mit einem Verbesserungsvorschlag. Ihre zwei Masten wollten sie hydraulisch versenkbar liefern. Doch vom Bund beauftragte Statik-Gutachter befanden die Neuerung für »statisch nicht ausgereift«. Dollinger entschied deshalb gegen hydraulische Masten und auf zusätzliche Seilabstützung: Dabei funktionieren - wenn auch weniger hohe - versenkbare Mästen, bereits in Genf (seit 1963) und Paris (1964).
Ein Gutachter-Krieg begann. Dollingers Berliner Filialleiter, Oberbaurat Cumme, informierte sich zunächst telephonisch bei dem von der Berliner Industrie- und Handelskammer vorgeschlagenen Licht-Experten Diplom-Ingenieur Heinrich Setzekorn über dessen Ansicht zur Ott-Anlage. Setzekorn
äußerte sich positiv. Er wurde von Cumme nicht mit einem Gutachten beauftragt.
Nacheinander forderten der Bundesschatzminister und der Berliner Senat nun insgesamt elf Gutachten an. Nur zwei von Bonn eingeholte (von denen lediglich eines bekannt wurde) fielen negativ für Ott aus. Bundesgutachter Professor Dr. Paul Schulz, Direktor des Lichttechnischen Instituts der TH Karlsruhe, riet von der Ausführung des Ott -Projekts »dringend ab« und votierte für Siemens, wie schon häufiger in seiner Gutachter-Tätigkeit.
Nach dem 9:2 im Gutachter-Krieg wies Minister Dollinger am 15. Dezember 1964 die Sondervermögens- und Bauverwaltung in Berlin an, mit Ott »abschließende Vertragsverhandlungen« zu führen, um den »schnellstmöglichen
Baubeginn« zu sichern. Restliche Bedenken glaubt Ott durch eine unbegrenzte Garantie auf sein Projekt ausgeräumt zu haben.
Im Olympia-Stadion blieb es dennoch, finster. Entgegen der Minister-Weisung wurde der Firma Ott bis heute kein Vertrag vorgelegt. Dagegen warnte Bundesgutachter Schulz erneut »dringend« vor den Ott-Masten. Pro-Ott -Gutachter wurden bearbeitet, ihre positiven Ansichten zurückziehen. Und Siemens öffnete zusätzlich seine Kasse. Die Firma, bot dem Bundesschatzminister für 300 000 bis 400 000 Mark Gratis -Lampen für das Olympia Stadion an.
In der vergangenen WoChe entschied Dollinger endgültig: Neu ausgeschrieben wird jetzt, was Siemens ursprünglich plante - eine Vier-Mast-Anlage auf dem Oberring.
»Das ist das Schrägste, was ich in letzter Zeit erlebt habe«, kommentierte der Berliner Sportsenator Neubauer. »Offensichtlich sollte eine Firma unter technischen Vorwänden ausgeschaltet werden.«
Schatzminister Dollinger, Ehefrau: Immer an Hertha gedacht