Sport Der 24. Mann
In der Empfangshalle von Valldemossa hält Oliver Bierhoff plötzlich einen silbernen Koffer in der Hand, der aussieht wie eine dieser Kisten, in denen Frauen ihre Kosmetika mit sich herumtragen. Eine Abordnung der deutschen Fußballnationalmannschaft beehrt während des Trainingslagers auf Mallorca die Regierung der Balearen, und Bierhoff hat dem Tourismusminister ein Geschenk mitgebracht.
Als der Minister das Alu-Köfferchen öffnet, liegt darin ein Fußball mit den Unterschriften der Spieler. Das sei »natürlich schwer für Spanier«, sagt Bierhoff und deutet auf den Ball im Koffer. Es ist nicht ganz klar, was er damit sagen will: dass es schwer ist für einen Spanier, deutsche Namen zu lesen? Oder dass Spanier nicht Fußball spielen können?
Der Minister nickt und klappt den Koffer wieder zu. Bierhoff lächelt. Anschließend hält er aus dem Stegreif eine Rede, in der er die Gastfreundschaft der Mallorquiner erwähnt. Er gibt wieder einmal eine gute Figur ab, das tut er immer. Die Dolmetscherin hat ihn als »Präsidenten der Nationalmannschaft« vorgestellt.
Was er wirklich ist oder wer er sein will, weiß niemand so richtig. Auf jeden Fall ist er auch in diesen Tagen ziemlich präsent. Seit Beginn der Ära Klinsmann ist Bierhoff das Gesicht der Nationalmannschaft, er verkauft und verwaltet sie auch in der Ära Joachim Löw. Bierhoff, 40, der Sohn eines ehemaligen RWE-Vorstands, hat keine Entscheidungen zu treffen in seinem Managerjob. Er sagt, dass es seine Aufgabe sei, die Nationalelf »als Premium-Marke zu positionieren«. Das klingt nach viel, bedeutet aber erst einmal nichts.
Das wohl meistfotografierte Mitglied der deutschen EM-Delegation hat einen Vertrag bis 2010, seit zwei Jahren hat Bierhoff auch eine Budget-Verantwortung, er hat einen Sitz im Verbandspräsidium, und er soll das Verhältnis zur Bundesliga »mitgestalten«, sagt DFB-Chef Theo Zwanziger. Bierhoff gestaltet es so, dass es selten langweilig wird. Meistens knallt es.
Bayern Münchens Chef Karl-Heinz-Rummenigge nannte ihn die »Ich-AG vom Starnberger See« und sprach finster von »Kohle und Eigeninteressen«. Bayern-Manager Uli Hoeneß verbat sich wahlweise »permanente Schlaumeiereien« des smarten Esseners und »dummes Gequatsche«. Der frühere DFB-Teamchef Rudi Völler, heute Sportdirektor bei Bayer Leverkusen, will davon sogar »schlimmste Magenkrämpfe« bekommen haben.
Es ist ein ständiger Kampf zweier Lager. Der Repräsentant der Nationalelf steht für das vermeintlich Moderne im Fußball, für Spielanalysen am Computer, für Fitnessgeräte zum Trainieren der Atemmuskulatur, fürs Screening von Sprintdistanzen und Ballbesitzzeiten. Für Matratzen, die ein Nationalspieler per Fernbedienung hart oder weich stellt.
Auf der anderen Seite stehen die Mächtigen der Bundesliga, von Vertretern des digitalen Fußballzeitalters als Bewahrer belächelt. In diesem Konflikt wird schnell aus jeder Wortmeldung eine Kampfansage. Und Bierhoff, der frühere Torjäger, ist in dieser Auseinandersetzung wider Willen zur Reizfigur des deutschen Fußballs aufgestiegen. Er nimmt es ungerührt hin.
Er sei schon als Spieler ein Einzelgänger gewesen, so lautet seine Erklärung. In der Tat hat der Unternehmersohn mit den guten Manieren nie so recht in die raue Profi-Welt gepasst. Zur EM 1996 kam er als Reservist und schoss das Golden Goal im Finale gegen Tschechien, das Tor, das ihn berühmt machte. Er war ein Kämpfer, er musste es mangels Talent und Fürsprache sein, und doch gab es stets den Verdacht, er sei durch seine Herkunft privilegiert.
Im deutschen Fußball, das ist Bierhoffs Deutung Nummer zwei, gebe es keine Kultur der gepflegten Auseinandersetzung. Die Debatten dort werden tatsächlich meistens polemisch geführt, selten konstruktiv und immer persönlich. Anschließend versöhnt man sich.
Bierhoff, eine Art PR-Agent der Gruppe um Löw oder früher Klinsmann, ist vielen eine Spur zu missionarisch und zu wenig diplomatisch. Kurz vor der EM trat er bei einer DFB-Tagung vor 350 Vertretern norddeutscher Fußballkreise auf, als Gesandter des großen Fußballs. Er sagte von der Bühne herab: »Jeder von uns erinnert sich gern, wie er in kleinen Vereinen aufgewachsen ist« - es sollte nett klingen für all die kleinen Leute aus den kleinen Vereinen. Die aber schauten pikiert.
So ist es auch, wenn Bierhoff der Bundesliga seine gefürchteten »Inputs geben« möchte und ihr »ein Know-how« zur Verfügung stellen will. Dann klingt es nach Besserwisserei.
Im Kern geht es darum, dass Löw und seine Mitstreiter mit allerlei Zahlen belegen können, dass etwa in der international so erfolgreichen englischen Premier League über längere Strecken in höherem Tempo gerannt und der Ball schneller abgespielt wird. Die Partei Bierhoff nennt das eine Philosophie.
Dagegen wendet die Bundesligapartei ein, dass man dazu die teuren, für sie unerschwinglichen Spieler braucht, die den Ball im höchsten Tempo akkurat bewegen können. Löw aber meint und Bierhoff sagt, in Deutschland trainierten die Teams nicht hart und modern genug. Aber darum geht es eigentlich nicht.
Es geht um den Ton. Leverkusens Clubchef Wolfgang Holzhäuser mahnte Bierhoff zu »Bodenhaftung und Zurückhaltung«. Bremens Manager Klaus Allofs glaubt, Bierhoff habe sein Wissen über die Bundesliga aus der Zeit, als er selbst dort spielte. Das ist bald zwanzig Jahre her.
Und Heribert Bruchhagen, Vorstandschef bei Eintracht Frankfurt, nennt die Führung der Nationalmannschaft manchmal spöttisch die Philosophen. Er findet nicht alles falsch, was von der DFB-Zentrale kommt, er wehrt sich nur dagegen, wenn der Eindruck entsteht, bei ihm im Club arbeite man nicht zeitgemäß. Es stimme auch nicht, »dass die Bundesliga noch aus Max Merkel, 'Zapf' Gebhardt und Fritz Langner« bestehe. Bruchhagen sagt auch, dass er nach Länderspielen viele Fußballmanager um 23 Uhr an der Theke treffe, Bierhoff aber nie. Das klingt vorwurfsvoll, auch dass Bierhoff, wenn er aus Starnberg zur Sitzung komme, vom DFB-Fahrdienst am Flughafen abgeholt werde. Bierhoff wisse gar nicht, was ein Arbeitstag sei, und gehöre einer Generation an, die »zum Geld ein besonderes Verhältnis« habe.
Ist das Neid? Bruchhagen spricht von Werbeverträgen und Interessenkonflikten, er nennt es »Vermischung und Vermengung« - das ist es, worüber die Liga raunt.
Der Teammanager war fast ein Jahrzehnt lang Werbeträger des Ausrüsters Nike, und als er zum DFB ging, musste er sich gegen den Vorwurf wehren, er sei ein Lobbyist der Amerikaner. Denn nach der WM setzte er sich erst für die freie Schuhwahl der Nationalspieler ein, von der im Konkurrenzkampf mit DFB-Sponsor Adidas zunächst einmal Nike profitierte. Er übergab dann eine 500-Millionen-Offerte von Nike an den DFB und versicherte, er würde keine Prämie bekommen. Schließlich schrieb er Adidas-Chef Herbert Hainer einen drei Seiten langen Brief darüber, was er alles für die Herzogenauracher geleistet habe. Doch während des Schiedsgerichtsstreits um die Vertragsverlängerung lancierte er die Information, das Verhältnis zwischen Adidas und DFB sei zerrüttet.
Und ausgerechnet mit dem früheren Nike-Vermarkter Marc Kosicke, einem engen Freund, gründete er 2007 eine Agentur, »Projekt b«. Es hieß, dass sie nur Bierhoff selbst verkaufe. Das passte einigen Agenten nicht, weil sie meinten, der Manager trete auf dem Sponsorenmarkt in Konkurrenz zu den Spielern. Es stellte sich heraus, dass »Projekt b« auch den Trainer Jürgen Klopp und den Radprofi Linus Gerdemann betreut. Bierhoffs Agentur vermarktet auch den Koch der Nationalmannschaft, Bierhoff wiederum wird gelegentlich von einem Kommunikationsmann der Telekom beraten, die auch DFB-Sponsor ist. Er fragt sich, was daran falsch sein soll.
Schon als Spieler war Bierhoff ein Liebling der Werbung, der gleichzeitig Testimonial für Shampoo, Pudding und Investmentfonds war. Als Teammanager schickte er die Nationalspieler zu einem Uhrmacherkurs, begleitet von Fotografen und Fernsehteams, später musste er einräumen, dass er selbst einen Vertrag mit diesem Uhrenhersteller hatte. Wenn der DFB-Hauptsponsor Mercedes-Benz in Basel eine neue Kampagne mit Fans vorstellt, ist es Bierhoff, ebenfalls Partner von Mercedes, der sie präsentiert. Und wenn der langjährige DFB-Sponsor Postbank nach der EM durch die Commerzbank abgelöst werden soll, beschwert er sich, dass der alte Partner keine Chance gehabt habe, ein besseres Angebot vorzulegen. Seit Jahren schon ist Bierhoff in fast jeder Werbepause für die Postbank aktiv. Verkaufen und sich verkaufen war immer ein wichtiger Teil seiner Karriere.
Nach Länderspielen steht er wie die Spieler in der Mixed Zone Rede und Antwort. Als Jens Lehmann beim Spiel gegen Österreich ein paarmal am Ball vorbeigegriffen hatte, sagte er: »Wenn man genau hinsieht, hat Jens immer noch Sicherheit ausgestrahlt.« Viermal sagte er diesen Satz in immer andere Kameras. Lehmann ist ein alter Freund von Bierhoff.
Muss man ihm deswegen gleich vorwerfen, dass er Privates mit Geschäftlichem mischt? Interessenkonflikte kann Bierhoff nicht erkennen und lehnt sich gelassen zurück. Er sieht sich auf der Mannschaftsseite, er hat dafür gesorgt, dass den Spielern die lästige Drehzeit für Werbespots verkürzt worden ist, das Klima sei gut, alle kommen gern zum Nationalteam.
Bierhoff ist es gewohnt, dass man ihn attackiert. Als Stürmer hat er mehr als hundert Tore in der italienischen Liga erzielt, aber er hat darunter gelitten, wenn Nationalmannschaftskameraden wie Mehmet Scholl ihn »Speedy« nannten, weil er langsam war. Er sagt, es sei nicht wichtig, wie schnell man laufe. Man müsse nur zur rechten Zeit an der richtigen Stelle sein.
Wenn man Bierhoff in den vergangenen Wochen traf, hatte er stets einen dieser Rollkoffer dabei, wie sie auch die Spieler haben. Bierhoffs Exemplar trug die Nummer 24. Der Kader für die Europameisterschaft hat 23 Spieler - also ist der 24. Mann so etwas wie das fünfte Rad am Wagen.
Bierhoff braucht ein Profil. Im Sommer ist er für drei Tage zur Duke University nach Durham in die USA gereist, um etwas über Menschenführung zu lernen. Er hat den Basketball-Coach Mike Krzyzewski getroffen, einen berühmten College-Trainer und Betreuer des US-Nationalteams. Der nahm sich sechs Stunden Zeit für den Mann aus Deutschland.
Was Bierhoff dort gelernt hat? Dass man bei Entscheidungen andere mit ins Boot hole, sagt er. Das Problem ist, dass er selbst keine Entscheidungsgewalt hat. Lieber wäre er wohl ein Manager mit richtiger Macht. Löw aber sagt, Bierhoff solle »Dinge weitertransportieren, die wir im Trainerteam beschließen«.
Das ist nicht viel, und so schießt er manchmal übers Ziel hinaus. Bierhoff versucht, dem Stellenprofil eine eigene Note zu geben. Anfang des Jahres hatte Joachim Löw die heiße Phase für die Europameisterschaft ausgerufen, auf einer Pressekonferenz hielt Bierhoff gleich eine Brandrede: Alles plätschere dahin, die EM habe quasi begonnen, der »gesamte Bereich« müsse konzentrierter sein. Sofort konterten wieder die Liga-Manager.
Zu Klinsmanns Zeiten hatte Bierhoffs Position einen Sinn. Wenn der Bundestrainer nach den Länderspielen in den Flieger nach Amerika stieg, war der Teammanager ein paar Wochen lang Klinsmanns Stellvertreter auf Erden. Er war der Ansprechpartner für alle, für die Klinsmann in Kalifornien nicht erreichbar sein wollte.
Nun fehlt Bierhoff die Funktion, weil Löw auch nach Schlusspfiff noch zur Verfügung steht. Bierhoff ist wieder der Außenseiter. Bei der Nominierungsshow auf der Zugspitze, wo das EM-Aufgebot präsentiert wurde, hatten sie ihn so weit nach außen gesetzt, dass er fast aus dem Bild fiel. In den seltensten Fällen, sagt Löw, sei Bierhoff bei den Workshops der Teamtrainer dabei gewesen. Als er sich dennoch öffentlich zur Zukunft im deutschen Tor äußerte, stellte der Bundestrainer klar: Der Manager habe in sportlichen Fragen nichts zu sagen.
Sein Vorgesetzter ist nun Wolfgang Niersbach, der neue DFB-Generalsekretär. Während dessen Vorgänger Horst R. Schmidt streng die Zuständigkeiten achtete, setzt Niersbach den Teammanager manchmal bloß noch in Kenntnis: Er habe selbst schon die Dinge mit dem Bundestrainer geklärt.
Bierhoff war es gewohnt, selbst die Treffer zu erzielen, heute muss er die Vorlagen geben. Er hat Ideen. Er will einen der US-Fitnesstrainer für 140 Tage im Jahr nach Deutschland holen und dann auch in die Bundesliga schicken, um endlich »die Zusammenarbeit mit den Vereinen zu intensivieren«. Er träumt von einem nationalen Trainingszentrum, er hat die Spieler fürs EM-Turnier wieder mit Lektüre versorgt.
Bei früheren Anlässen gab es den Knigge und den Bestseller »Denke nach und werde reich«. Diesmal bekam jeder das Handbuch »Dangerous Book for Boys«, in dem erklärt wird, wie man Baumhäuser baut, Fische fängt und mit Mädchen umgeht. Fürs Quartier von Ascona hat Bierhoff eine Collage bestellt, die über Viertel- und Halbfinale den Weg zum Gipfel aufzeigt.
Zur Stärkung des Wir-Gefühls ließ er für die Spieler auch kleine Kärtchen anfertigen - mit der Aufschrift »Ein Team - ein Ziel«. Sie sollen sie wie eine Kreditkarte im Portemonnaie tragen und immer anschauen, wenn sie etwas bezahlen.
Michael Ballack zum Beispiel hat sie nie dabei. JÖRG KRAMER