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SCHWIMMEN Der Einzelgänger

Das erwartete Duell der Schwimmwettkämpfer mündete in einen Triumph für Eigenbrötler Spitz und in den Zusammenbruch seines vermeintlichen Rivalen Faßnacht.
aus DER SPIEGEL 37/1972

Um 18.45 Uhr am Dienstag letzter Woche kraulte US-Star Mark Spitz zu seiner dritten Goldmedaille. Bei der Siegerehrung wedelte er obendrein mit den Turnschuhen made in Germany.

Anschließend verulkte Spitz, 22, die Journalisten: »Fünf Minuten hatte ich zugesagt, jetzt sind es schon neun.« Der Zahnmediziner aus Indiana sucht die Konfrontation, wo er sie findet -- mit Fans und Funktionären, mit Reportern und Rivalen.

»Jahrelang hat er sich geschunden«, stiftete er allein seinem unterlegenen Konkurrenten Hans Faßnacht aus Mannheim großmütig eine Prise Mitgefühl. »Jetzt war alles umsonst.« Die Experten waren in München auf ein Duell Faßnacht gegen Spitz gefaßt gewesen. Länger als drei Jahre hatte der verschlossene Deutsche in Amerika trainiert, im Lande der Schwimm-Weltrekordler.

Täglich quälte er sich bis zu 18 Kilometer im Wasser. Europäer argwöhnten daher schon, sein amerikanischer Trainer Don Gambril mißbrauche ihn als Versuchskaninchen. Obwohl die Amerikaner bei ihren Olympia-Qualifikationen Serien von Weltrekorden erzielten und auch Faßnachts Weltbestleistung (200 Meter Delphin) stürzten, mäkelte er in falscher Selbstsicherheit: »Ich hätte mehr erwartet.«

Zu Ausscheidungs-Wettkämpfen in der Bundesrepublik stellte Faßnacht sich nicht. Statt dessen kränkte er die deutschen Schwimmer mit dem Vorwurf, sie seien verwöhnt und »können sich nicht quälen«. Ein Faßnacht-Zitat lautete: »Lieber sterben als verlieren.«

Als trüge er eine Bleiweste, verpaßte er dann seine größte Chance im Endlauf des 200-Meter-Delphin-Rennens. Am selben Abend verpatzte er noch, völlig verkrampft, eine mögliche Bronze-Medaille als Schlußschwimmer der bundesdeutschen 4 x 100-Meter-Kraulstaffel.

Faßnacht, den niemand gezwungen hatte, sein Leben ins Schwimmbassin zu verlegen, erlebte, was Spitz vier Jahre zuvor begegnet war: Der Streß, das in jahrelangem Training angehäufte Kraftkapital zu festgesetzter Stunde womöglich in zwei Minuten einzubüßen, raubte ihm die Geschmeidigkeit.

Spitz hatte Faßnachts Erfahrungen 1968 in Mexiko vorweggenommen. »Ich hole fünf bis sechs Medaillen«, tönte damals Einzelgänger Spitz. Er startete als Favorit und verlor. Seine Teamgefährten verhehlten ihre Schadenfreude nicht.

Dann wechselte Spitz aus Kalifornien nach Indiana. »Es war wie ein Comeback«, gestand er später. Sein Trainer George Counsilman meinte: »Er mußte einfach erwachsen werden.« Einmal fiel jedoch die Fachpresse über ihn her, weil der schnellste jüdische Schwimmer der Welt lieber bei der Maccabiade, dem Sonder-Olympia der Juden, in Israel gestartet war, als an den US-Meisterschaften teilzunehmen.

Aber Diskriminierung, betonen Trainer und Mitschwimmer, des Glaubens wegen, habe den Weltrekordler nicht in die Isolierung führen können. Seine Vorfahren waren aus Rußland emigriert.

»Das war nie ein Problem«, unterstellte US-Trainer George Haines. Das wirkliche Problem sei Vater Spitz. »Der ist schrecklich, weiß alles besser, will immer Einfluß nehmen und versteht meist nicht viel.«

Seine Eigenwilligkeit gab Sohn Spitz nicht auf. Weil ihn Kuhglocken während des Trainings vor den Sommerspielen 1972 im Freibad München-Grafing störten, setzte er sich von seiner Mannschaft ab und fuhr in die Olympia-Schwimmhalle. Dort bat er den Betreuer der gerade trainierenden sowjetischen Equipe -- mit Erfolg -- um eine Bahn.

Spitz dachte auch nicht daran wie andere Schwimmer, etwa der bundesdeutsche Bronzemedaillengewinner Werner Lampe, zum Zweck der Temposteigerung Kopf- und Körperhaare zu rasieren, im Gegenteil, er ließ sich zu langen Haaren noch einen Schnauzbart wachsen.

»Verliert Spitz gegen Faßnacht, wird er wie in Mexiko untergehen«, prophezeite der Bonner Trainer Gerhard Hetz. »Gewinnt er, kann ihn keiner bremsen.« Spitz siegte, Faßnacht ging unter.

Spitz siegte, sooft er ins Wasser stieg. Am Donnerstag holte er zwei weitere Goldmedaillen. »Der erste Mensch, der im Schwimmen fünf Goldmedaillen gewonnen hat«, lobte Sportjournalist Sepp Scherbauer; freilich nur bei einer Olympiade. Gegen den Seriensieger aus den USA vermochte auch der Seriensieger aus der DDR, Roland Matthes, nichts auszurichten.

Sieger Spitz forderte sogar das IOC und seinen Präsidenten Avery Brundage heraus, als er vom Siegerpodest Adidas-Trainingsschuhe unbekümmert wie ein Skistar seine Ski in die TV-Kameras schwenkte. Und die Funktionäre gaben klein bei. Sie disqualifizierten ihn nicht -- wie noch Skirennläufer Karl Schranz in Sapporo.

So blieb Spitz durchaus nicht der einzige Schuheschwenker, auch der schwedische Olympiasieger Gunnar Larsson geizte nicht mit dem Markenartikel aus dem Olympialand.

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