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»Der kriegt was auf die Nase«

SPIEGEL-Interview mit Eishockey-Nationalspieler Erich Kühnhackl *
aus DER SPIEGEL 16/1985

SPIEGEL: Herr Kühnhackl, Sie wechseln nach der Eishockey-Weltmeisterschaft vom EV Landshut zum EHC Olten, einem unbedeutenden Verein in der Schweiz. Gab es für Sie keine lukrativen Angebote aus Kanada oder den USA?

KÜHNHACKL: Ich bin 34 Jahre alt und habe eine Familie. Das Risiko, für ein paar tausend Dollar mehr nach Amerika zu gehen, wäre zu groß. Wenn ich allerdings jünger und ledig wäre, sähe die Sache bestimmt anders aus. Ehrlich, ich bereue es manchmal, vor Jahren den Schritt in die National Hockey League versäumt zu haben. Nun ist die Angelegenheit abgehakt.

SPIEGEL: Es heißt, daß die Landshuter Ihr Jahresgehalt von angeblich 120 000 Mark nicht mehr bezahlen konnten.

KÜHNHACKL: Für solche Summe fassen viele Spieler in der Bundesliga keinen Schläger mehr an.

SPIEGEL: Wieviel wird denn in der Bundesliga verdient?

KÜHNHACKL: Über konkrete Zahlen rede ich ungern. Jeder weiß doch, daß bei den Spielergehältern ohne Sponsoren nichts mehr geht. Warum sollte ich diese Leute in Verlegenheit bringen.

SPIEGEL: Trotz der Sponsorengelder kämpft die Bundesliga um ihr wirtschaftliches Überleben.

KÜHNHACKL: Es muß wieder ehrlicher kalkuliert werden. Da stimmt doch etwas nicht, wenn ein Verein selbst bei immer ausverkauften Heimspielen eine Million Mark einnehmen kann, die Mannschaft aber zwei Millionen kostet, weil die Spieler zu viel verdienen.

SPIEGEL: Das sagen ausgerechnet Sie als einer der Spitzenverdiener?

KÜHNHACKL: Es geht nicht um die Nationalspieler. Im Eishockey ist das nicht anders als im Fußball: Den Durchschnitts-Spielern werden zu hohe Einkommen garantiert. Die Grundgehälter müssen reduziert und die Prämien den tatsächlichen Einnahmen angepaßt werden. Wenn die Vereine sich nicht zu diesem radikalen Schnitt entschließen, geht''s mit der Bundesliga nicht mehr lange gut.

SPIEGEL: Der drohende Konkurs ist das eine Schlagwort, die Brutalität auf dem Eis das andere.

KÜHNHACKL: Ich kann das nicht mehr hören. Die Boulevard-Presse stürzt sich auf die paar spektakulären Fouls und beißt sich daran fest.

SPIEGEL: Meinen Sie etwa, die Medien hätten den Stockschlag Roedgers auf das Auge von McNeil, die Attacken von Ahne und Schloder oder den Amoklauf des Torwarts Englbrecht ignorieren sollen?

KÜHNHACKL: Für diese Vorfälle habe ich auch keinerlei Verständnis. Aber ich wehre mich gegen die Unterstellung eines Vorsatzes. Keiner zieht dem anderen den Schläger quer durch das Gesicht, um ihn monatelang kampfunfähig zu machen. Doch im Fernsehen zum Beispiel wird einem Millionenpublikum suggeriert, beim Eishockey werde vorwiegend geprügelt. Es ist unglaublich, mit welcher Arroganz und Unkenntnis sich da Leute vor den Kameras als Moralapostel hinstellen und haarsträubende Kommentare abgeben, ohne daß sich einer von uns wehren kann.

SPIEGEL: Aber selbst Bundestrainer Xaver Unsinn hat in den vergangenen Wochen die brutale Gangart in der Bundesliga kritisiert. Und Kölns ehemaliger Trainer Josef Golonka warf Ihnen vor, zu den größten Schlägern auf dem Eis zu gehören.

KÜHNHACKL: Ich will nichts beschönigen, aber über den Golonka kann ich nur lachen.

SPIEGEL: Warum?

KÜHNHACKL: Der hätte erstmal lernen müssen, sich selbst zu zügeln, bevor er über andere herfällt.

SPIEGEL: Der Kölner Mannschaftsarzt Herbert Plum machte Schlagzeilen mit der Behauptung, er habe Landshuter Spieler mit glasigen Augen aus der Kabine kommen sehen. Zwar ist nichts bewiesen, aber der Verdacht bleibt: Wird in der Eishockey-Bundesliga gedopt?

KÜHNHACKL: In meinen 15 Landshuter Jahren ist nichts damit gewesen. Was in anderen Vereinen abläuft, dazu kann ich mich nicht äußern. Ich will in diesem brisanten Zusmmenhang auch keinen falschen Verdacht in die Welt setzen.

SPIEGEL: Aber?

KÜHNHACKL: Angesichts der Überreaktionen des einen oder anderen Spielers kann ich Doping auch nicht ausschließen. Der Deutsche Eishockey-Bund sollte endlich generell Doping-Kontrollen einführen, damit dieser Spuk ein für alle Male ein Ende hat.

SPIEGEL: Sind die Schlägereien vorwiegend Show-Einlagen für das Publikum oder tun sich die Spieler bei ihren Faustkämpfen richtig weh?

KÜHNHACKL: Ein bißchen Show ist schon dabei. Manchmal jedoch muß einer, der pausenlos foult, was auf die Nase kriegen - und zwar so, daß er es auch merkt. Dann wird er für die nächste Zeit wieder zahmer.

SPIEGEL: Eishockey ohne handfeste Prügeleien ist also nicht denkbar?

KÜHNHACKL: Bei uns wird in den letzten Jahren immer dynamischer und athletischer gespielt, deshalb kommt es auch schneller zu Reibereien. Unser Problem sind die Schiedsrichter, weil sie bei dem verbesserten Niveau der Spiele überfordert sind.

SPIEGEL: Sind sie nach internationalen Maßstäben nicht erstklassig?

KÜHNHACKL: Nein. Unsere schwachen Schiedsrichter tragen erheblich zu erhöhten Aggressionen bei.

SPIEGEL: Genauso wie schlechte Trainer?

KÜHNHACKL: Ja, wenn die ausflippen, sind die Spieler erst recht nicht mehr zu bremsen. Unsere Vereine profitieren allerdings von dem Können und der Ausgeglichenheit einiger Trainer aus der CSSR, die eine umfassende und erstklassige Universitäts-Ausbildung hinter sich haben. Die fachliche Autorität eines Karel Gut oder Pavel Wohl ist von den Spielern immer akzeptiert worden.

SPIEGEL: Gibt es keine erstklassigen deutschen Trainer?

KÜHNHACKL: O wei. Da müßte ich lange nachdenken.

SPIEGEL: Was ist mit Bundestrainer Unsinn?

KÜHNHACKL: Ja, doch. Der schon, obwohl er manchmal überfordert ist.

SPIEGEL: Wobei?

KÜHNHACKL: Beispielsweise bei der Vorbereitung auf die Weltmeisterschaft. Er muß sich einfach um zu viele Dinge kümmern. Das ist nicht seine Schuld, sondern die einiger Funktionäre, die zu unflexibel sind und den Xaver zu wenig in seiner Arbeit unterstützen.

SPIEGEL: Was zeichnet Unsinn aus?

KÜHNHACKL: Unsinn hat eine starke Ausstrahlung, er kann jeden Spieler auch nach Niederlagen von einer Stunde auf die andere wieder fürs Eishockey begeistern. Das ist der Grund, warum er mit der Nationalmannschaft erfolgreich ist.

SPIEGEL: Ist der Aufschwung der Nationalmannschaft auch auf den Einfluß der ausländischen Trainer in der Bundesliga zurückzuführen?

KÜHNHACKL: Hauptsächlich sogar. Der internationale Erfolg ist abhängig von der Arbeit in den Vereinen. Wenn nicht die tschechoslowakischen Fachleute in Rosenheim, Landshut oder Mannheim ein so vorzügliches Fundament geschaffen hätten, könnte auch ein Unsinn nichts bewirken.

SPIEGEL: Hält der Aufwärtstrend auch bei der Weltmeisterschaft in Prag an?

KÜHNHACKL: Es wird schwer für uns, wie bei der Weltmeisterschaft 1983 im eigenen Lande und den Olympischen Spielen in Sarajevo wieder den fünften Platz zu erreichen. Die anderen nehmen uns viel ernster als zu den Zeiten, in denen wir reihenweise zweistellig verloren haben.

SPIEGEL: Nach 56 Niederlagen bei 83:470 Toren erreichte die deutsche Mannschaft am Ostermontag gegen die UdSSR erstmals ein Unentschieden. Hatten die Sowjets keine Lust oder waren die Deutschen tatsächlich so stark?

KÜHNHACKL: Die UdSSR wollte ganz bestimmt gewinnen. Aber nach der 3:1 Führung hat es die Mannschaft gemächlicher angehen lassen. Als sie dann das Tempo wieder anziehen wollte, ging nichts mehr. Auch der Weltmeister kann mit uns nicht mehr nach Belieben umspringen.

SPIEGEL: Kann die deutsche Mannschaft ein solches Ergebnis wiederholen?

KÜHNHACKL: Das ist durchaus möglich, in der nächsten Zeit allerdings unwahrscheinlich. Denn jetzt ist die UdSSR vor uns auf der Hut.

SPIEGEL: In Prag fehlen einige Stammspieler, auch Sie plagt eine Verletzung: Ist wenigstens annähernd gleichwertiger Ersatz da?

KÜHNHACKL: Unseren jungen Spielern fehlt neben der Routine teilweise noch die profihafte Einstellung. Erst wenn sie wirklich bereit sind, auch das letzte Opfer für ihren Sport zu bringen, sind sie auf dem richtigen Weg - und für uns eine Verstärkung.

SPIEGEL: Spricht da der Eishockey-Opa Kühnhackl?

KÜHNHACKL: Ich spreche aus Erfahrung. Ich habe diese Einstellung auch erst lernen müssen. Nur mit totalem Engagement können wir den Standard halten. An einen weiteren Aufwärtstrend wage ich nicht zu glauben.

SPIEGEL: Mit welcher Placierung rechnen Sie bei der Weltmeisterschaft?

KÜHNHACKL: Mit Platz fünf oder sechs. _(Beim Bundesligaspiel Mannheim gegen Köln ) _(am 28. Dezember 1984. )

Beim Bundesligaspiel Mannheim gegen Köln am 28. Dezember 1984.

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