FUSSBALL Deutsches Bosmännchen
Als Berufsfußballer hat es Christian Fährmann, 28, zu bescheidenem Ruhm gebracht. Eine Saison spielte er für den Erstligisten Hertha BSC, dann folgten Wanderjahre, in denen er beim Karlsruher SC anheuerte, bei Union Berlin und Fortuna Düsseldorf; inzwischen ist der Mittelfeldakteur beim Halleschen FC gelandet, Amateur-Oberliga Nordost, Staffel Süd.
Leute vom Fach halten es allerdings für möglich, dass Fährmann zum Ende seiner Laufbahn noch berühmt wird. Es sind freilich keine Fußballexperten, die dies kühn behaupten, sondern Juristen. Fährmann klagt gegen seinen früheren Arbeitgeber 1. FC Union Berlin - und die Vereinigung der Vertragsfußballspieler (VdV), deren Rechtsabteilung ihm zur Seite steht, hat dabei Großes im Sinn.
Wenn sämtliche Instanzen durchschritten sind, so die Vorstellung der VdV-Advokaten, soll der Name Fährmann einmal in einem Atemzug mit einem das System des Profifußballs verändernden Urteil genannt werden - ähnlich dem des belgischen Kickers Jean-Marc Bosman, der 1990 vor dem »Tribunal de première instance« in Lüttich gegen seinen einstigen Club prozessierte, weil man ihn nicht aus seinem Vertrag entließ, und der dann fünf Jahre später vor dem Europäischen Gerichtshof das Transferrecht des internationalen Kickergeschäfts mit riesigem Knall in die Luft jagte.
Und so stellt sich an diesem Mittwoch in Saal 105 des Berliner Arbeitsgerichts nur vordergründig die Frage, ob der 1. FC Union vor knapp zwei Jahren rechtens 3000 Euro von Fährmanns Gehalt einbehielt, weil der Spieler nach einer Verletzung einen Termin mit dem Vereinsarzt nicht eingehalten und den Verein tagelang über das Ausmaß der Verletzung im Unklaren gelassen haben soll.
Tatsächlich geht es in dem Prozess um einen juristischen Angriff auf eines der letzten Disziplinierungsmittel, die die Vereine gegenüber ihren kickenden Angestellten noch besitzen: die Geldstrafe.
Für die VdV steht fest, dass die Vereinbarung über Vertragsstrafen, wie sie im Musterarbeitskontrakt der Deutschen Fußball Liga (DFL) festgeschrieben ist, »schon als solche unwirksam« sei, weil sie den »Anforderungen an die hinreichende inhaltliche Bestimmtheit, Klarheit und Transparenz nicht entspricht«. Mit einem solchen »Disziplinierungsinstrument«, so Fährmanns Anwalt Frank Rybak, sei »jedwedes Verhalten des Spielers 24 Stunden am Tag, 7 Tage in der Woche, 365 Tage im Jahr potenziell sanktionierbar«.
Der Fußballprofi, hilflos willkürlichen Clubbossen ausgesetzt? Was die Gewerkschaft erreichen will, ist klar: Nur noch »Hauptpflichtenverstöße« sollen mit Geldstrafen geahndet werden dürfen, tagelanges Schwänzen des Trainings etwa - was den Dortmunder Abwehrspieler Juan Fernández im Sommer vergangenen Jahres die Rekordsumme von 100 000 Euro kostete.
Besonders für das Establishment der Liga käme eine gerichtlich erzwungene Beschneidung des Vertragsstrafen-Passus einer derben Niederlage gleich. Denn häufig sind es Vereine wie Bayern München oder Borussia Dortmund, die ihren Stars - nur um nach außen hin Stärke zu demonstrieren - wegen zuweilen läppischer Vorkommnisse markige Strafen aufbrummen.
So sollte der Münchner Nationalspieler Michael Ballack 10 000 Euro zahlen, weil er in einem Interview Zweifel an der taktischen Ausrichtung des Trainers Ottmar Hitzfeld geäußert hatte. »General Geldstrafe« ("Bild") scheint diese rigorose Erziehungsmethode offensichtlich unverzichtbar - seit Hitzfeld im Juli 1998 sein Amt als Chefcoach antrat, verdonnerte der FC Bayern seine Kicker zu rund 300 000 Euro.
Schon einmal standen Vertragsstrafen als Bestandteil des Musterarbeitsvertrags unmittelbar vor dem Aus: 1983 hatte der Torhüter Norbert Nigbur vor dem Gelsenkirchener Arbeitsgericht gegen eine Strafe seines Vereins FC Schalke 04 in Höhe von 2500 Mark geklagt. Nigbur bekam Recht. Ein gutes Jahr später, der Club war in Berufung gegangen, bestätigte das Landesarbeitsgericht in Hamm die erstinstanzliche Entscheidung.
Doch im Februar 1986 stellte das Bundesarbeitsgericht in Kassel den Status quo ante wieder her - und kassierte das Urteil des Vorsitzenden Richters in Hamm, wonach »jeder Fußballverein einen Betriebsrat gründen muss, wenn er Bußgelder verhängt«.
Dass nun in Sachen Vertragsstrafen kein ehemaliger Nationalspieler wie einst Nigbur vorprescht, sondern sich ein Nobody wie Christian Fährmann zum deutschen Bosmännchen aufschwingt, deutet indes darauf hin, dass für die Großverdiener der Liga die Sache von nachrangiger Bedeutung ist.
Die Nonchalance liegt auch an den Zahlungsmodalitäten. Wenn die Clubs ihre aufmüpfigen Stars mit Strafen belegen, fließt das Geld häufig an soziale Einrichtungen. Das kommt beim Publikum gut an - und die Spieler können ihre Buße vor dem Finanzamt als Spende geltend machen. MICHAEL WULZINGER