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»Die Linienrichter betrügen«

SPIEGEL-Gespräch mit dem tschechoslowakischen Tennis-Star Ivan Lendl über Profi-Tennis *
Von Helmut Sorge
aus DER SPIEGEL 9/1985

SPIEGEL: Herr Lendl, seit vier Jahren sind Sie einer der drei besten Tennisspieler der Welt. Nummer eins aber waren Sie eigentlich nie. Haben Sie die Hoffnung aufgegeben, jemals der Größte zu werden?

LENDL: Natürlich nicht. Sonst würde ich nicht mehr spielen. Ich hasse es zu verlieren. Das ist wahrlich kein schönes Gefühl, egal ob man in der ersten Runde oder im Finale verliert.

SPIEGEL: Zuerst stand Ihnen der Schwede Björn Borg im Weg, nun ist es John McEnroe.

LENDL: Abwarten, Sie werden sehen: Der Abstand zwischen mir und McEnroe wird sich verringern. Ich rechne damit, daß es bald keinen mehr gibt.

SPIEGEL: Von den letzten acht Begegnungen mit dem Amerikaner haben Sie allerdings nur eine gewonnen, das Finale bei den französischen Meisterschaften im vorigen Sommer. Warum ist es für Sie eigentlich so schwer, McEnroe zu schlagen?

LENDL: Der spielt einfach gut. Er hat seine Beinarbeit verbessert und ist somit schneller geworden. Das hat zu besseren Grundlinien-Schlägen geführt. Sein Aufschlag ist ohne Schwächen, und wenn er tatsächlich Schwachpunkte haben sollte, dann sind sie derart gut verdeckt, daß sie keiner erkennt.

SPIEGEL: Sicherlich hat ihm seine Überlegenheit in den letzten Monaten auch psychologische Vorteile verschafft.

LENDL: Tennis ist auch Psychologie, vor allem wenn man gegen jemanden spielt, der ganz oben steht. Nachdem er mich einmal geschlagen hatte, gewann er immer häufiger und müheloser. Mir bleibt nur ein Weg: Ich muß hart arbeiten. Meine Schnelligkeit und meine Kondition müssen noch besser werden. Ich arbeite wirklich hart daran. Vor den Turnieren trainiere ich bis zu sechs Stunden täglich. Alles, was ich erreicht habe, zumindest das meiste, verdanke ich harter Arbeit. Und wenn ich mein Niveau halten will, muß ich so weiter arbeiten.

SPIEGEL: Sie sind inzwischen Multimillionär und müssen sich nicht mehr quälen. Was motiviert Sie noch?

LENDL: Es geht mir nicht um Geld. Darauf ist es mir nie angekommen. Als ich mit dem Tennisspielen anfing, konnte man mit Tennis kein Geld verdienen. Damals gab es in der Tschechoslowakei keinen Profisport. Bis ich so um die 17 Jahre alt war, häufiger reiste und Englisch verstand, wußte ich wirklich nicht, daß man mit Tennis Geld verdienen konnte.

SPIEGEL: Sie wollen doch nicht behaupten, daß Geld einen Tennis-Profi wie Sie nicht zumindest stimuliert?

LENDL: Ich betrete den Platz nicht mit dem Gedanken: Wenn ich gewinne, verdiene ich soundsoviel, und wenn ich verliere, soundsoviel. Ich spiele Tennis, weil ich Spaß daran habe. Ich habe meinen Stolz, deshalb möchte ich gewinnen. Und weil ich ehrgeizig bin, verfüge ich über Motivation. Wenn ich mich nicht länger motivieren kann, dann muß ich mich zurückziehen. Die Leute merken, wenn man desinteressiert ist. Die Gegner spüren das sofort, und ich sage Ihnen, sobald die das riechen, lassen die nicht mehr locker.

SPIEGEL: Sie denken dabei nicht an irgend jemanden im besonderen, John McEnroe etwa? Ihre Spiele gegeneinander sind ja wohl nicht mehr als Tennis-Match zu verstehen, sondern als eine Art »High Noon« auf dem Center-Court.

LENDL: Sicher, zwischen uns gibt es Spannungen. Ich kann einfach nicht hinnehmen, wenn mich jemand auf dem Platz anbrüllt und mich mit Obszönitäten beleidigt.

SPIEGEL: Gelegentlich hat er ja wohl auch mit Schlägern nach Ihnen geworfen.

LENDL: Jawohl. Und solange die Tennis-Funktionäre so etwas tolerieren, _(Mit Redakteur Helmut Sorge im New Yorker ) _(Klubhaus des Tennis Port, Long Island. )

wird er sich schlimmer und schlimmer aufführen. Zur Zeit allerdings benimmt er sich einigermaßen vernünftig.

SPIEGEL: Reden Sie eigentlich miteinander, wenn Sie sich bei einem Turnier in der Umkleidekabine treffen?

LENDL: Kaum. Wir sagen »Hallo«.

SPIEGEL: Nicht gerade eine abendfüllende Unterhaltung. Allerdings muß man auch sagen, daß Sie sich ebenfalls über Entscheidungen der Linienrichter erregen und wahrlich auch kein Engel sind.

LENDL: Habe ich das etwa behauptet? Manchmal sind die Entscheidungen der Linienrichter schlicht empörend.

SPIEGEL: Bei der Geschwindigkeit, mit der Ihre Bälle einschlagen, ist die Arbeit der Linienrichter nicht eben einfach.

LENDL: Das weiß ich. Deshalb sollten wir mehr Technik einsetzen. Maschinen sollten an allen Linien signalisieren, wenn der Ball »aus« ist. Ich kenne die Argumente dagegen. Maschinen machen Fehler, so heißt es. Diese Fehler freilich ziehe ich vor, denn Maschinen machen sie nicht absichtlich.

SPIEGEL: Sie unterstellen den Linien- und Schiedsrichtern, daß sie bewußt betrügen?

LENDL: Ja, bei bestimmten Wettbewerben, etwa dem Davis-Pokal. Letztes Jahr hat unsere Mannschaft in Schweden verloren. Da war alles einwandfrei. In anderen Ländern sind die Schieds- und Linienrichter nicht so fair.

SPIEGEL: In Prag etwa nicht?

LENDL: Auch nicht in Prag. Dies ist ein internationales Problem. Nur in einer Handvoll Länder wird nicht gemogelt. Einige dieser Linien- und Schiedsrichter, die bei Davis-Pokal-Spielen eingesetzt werden, trifft man dann später bei Turnieren wieder.

SPIEGEL: Sind Sie wirklich davon überzeugt, Maschinen könnten die Streitereien beenden?

LENDL: Sicher. Würde McEnroe sich nicht lächerlich machen, wenn er sich mit einer Maschine anlegt?

SPIEGEL: Warum versuchen die Profis es nicht mal mit Selbstdisziplin?

LENDL: Gegen eine Fehlentscheidung muß man sich wehren. Unterläßt man das, wird der Schiedsrichter vom Gegner eingeschüchtert. Er wird zugunsten jenes Spielers entscheiden, der sich aufregt. Denn um den anderen, der ruhig bleibt, muß er sich ja nicht sorgen. Den hat er unter Kontrolle. Das mag zwar eine unbewußte Reaktion des Schiedsrichters sein, doch er läßt sich von den Meckerern einschüchtern.

SPIEGEL: Sogar bei ganz krassen Fehlentscheidungen hat Björn Borg kein Wort gesagt. Dennoch ist er ein großer Spieler gewesen.

LENDL: Er war großartig. Die zweifelhaften Entscheidungen allerdings wurden oftmals gegen ihn entschieden. Heute mußt du einfach reagieren, oder du wirst benachteiligt.

SPIEGEL: Die Sprache, die dabei auf dem Tennisplatz gelegentlich zu hören ist, würde bei Fußballspielen zur roten Karte, zum Platzverweis und zu einer mehrwöchigen Sperre führen.

LENDL: Wenn sich jemand schlecht benimmt, sollte man ihn verwarnen. Wenn das nichts nützt, ist eine zwei- oder dreiwöchige Sperre angebracht. Und wenn es sich wiederholt, sperrt man ihn für ein halbes Jahr.

SPIEGEL: Wer würde sich wohl trauen, so gegen die Stars vorzugehen?

LENDL: Ich bin dafür. Mir ist es gleich, ob es mich trifft, Connors, McEnroe oder sonst wen.

SPIEGEL: Es scheint in der Tat ziemlich lächerlich, ja naiv, wenn Multimillionäre wegen schlechten Benehmens oder obszöner Sprache mit 500 Dollar Geldstrafe belegt werden und die Funktionäre davon irgendeine Wirkung erwarten.

LENDL: Sie haben vollkommen recht. Die Reaktion der Spieler kann nur sein: »Was soll''s, darüber kann ich nur lachen.«

SPIEGEL: Sind Ihre Kollegen für strengere Regeln?

LENDL: Sie sind sich nicht einig. Manche argumentieren, einige Zuschauer kämen nur zu den Spielen, weil sie McEnroes Streitereien und Wutanfälle miterleben wollen, etwa nach dem Motto: »Wenn er keinen Lärm macht, erscheinen weniger Zuschauer.«

SPIEGEL: Nicht nur das fragwürdige Verhalten einiger Stars hat manchem Tennis-Fan die Freude am Profi-Tennis genommen, es ist auch äußerst langweilig, wenn Jahr um Jahr dieselben Spieler die Ranglisten anführen.

LENDL: Für mich ist das nicht langweilig. Mir ist das recht so. Sie wollen doch wohl nicht, daß ich absichtlich verliere. Aber es stimmt: Fünf oder sechs Spieler gewinnen alle Turniere. Die Leute sehen gern neue Gesichter, einige andere Superstars.

SPIEGEL: Möglicherweise ist unter den Schweden ein neuer Superstar zu finden, ein neuer Borg vielleicht. Fünf Schweden werden schon in der Rangliste unter den 15 Weltbesten geführt. Im Davis-Pokal-Finale haben die Amerikaner sogar gegen Schweden verloren. Überrascht Sie der schwedische Erfolg?

LENDL: Nein, überhaupt nicht. Schon als ganz junger Spieler habe ich auf meinen ersten Reisen sehr viele schwedische Nachwuchsspieler getroffen. Die fuhren, begleitet von einem Trainer, im Bus gemeinsam von Turnier zu Turnier. Sie sind zusammen aufgewachsen und haben wirklich hart trainiert und gearbeitet. Wenn man zehn oder zwölf kleine Jungen zusammenbringt und sie gut ausbildet, schaffen es vielleicht zwei oder drei. Wenn man sich nur auf zwei beschränkt, ist die Wahrscheinlichkeit groß, daß keiner weiterkommt.

SPIEGEL: Die Ungarn, die Polen und Rumänen zählen jeweils einen, vielleicht zwei Weltklasse-Spieler in ihrem Land. Weder die Sowjets noch die Ost-Deutschen sind im internationalen Tennis erfolgreich. Im Osten gibt es allerdings eine Ausnahme: die Tschechoslowakei;

die produzierte Martina Navratilova, Hana Mandlikova, Helena Sukova, Tomas Smid und Sie. Warum sind Sie den anderen osteuropäischen Nationen voraus?

LENDL: Sie arbeiten nach einer anderen Methode. Wer es sich finanziell leisten kann, darf reisen und an Turnieren teilnehmen. Das machen viele Spieler. Die fangen bei den kleinen Turnieren an, wie ich übrigens auch. Sehen Sie sich im nächsten Sommer die kleinen Turniere in Österreich an. Sie werden dort 20 tschechoslowakische Spieler finden, von denen es vielleicht 5 schaffen werden.

SPIEGEL: Ist der Erfolg möglicherweise auch darauf zurückzuführen, daß Ihr Verband mehr Geld für die Nachwuchsförderung ausgibt als andere Osteuropäer, weil Ivan Lendl eine Art Entwicklungshilfe finanziert?

LENDL: Zwischen mir und dem Verband existiert eine Vereinbarung. Die allerdings ist vertraulich.

SPIEGEL: Ihre Einnahmen aus Gewinngeldern allein machen bisher mehr als sechs Millionen Dollar aus. Sie müssen doch mindestens 20 Prozent dieses Geldes nach Prag überweisen.

LENDL: Ich bin nicht bereit, Ihnen bei der Buchhaltung zu helfen.

SPIEGEL: Zufrieden ist Ihr Verband sicherlich, sonst hätten die Behörden Ihnen wohl keinen Diplomatenpaß ausgestellt.

LENDL: Ich sehe, Sie lesen dieselben Zeitungen wie ich. Die Story hat nur einen Schönheitsfehler: Sie stimmt nicht. Ich reise mit einem normalen tschechischen Paß.

SPIEGEL: Es stimmt doch aber wohl, daß Ihre Beziehungen zu Prag vor einigen Monaten reichlich gespannt waren, weil Sie in Südafrika gespielt haben. Sie wurden deshalb gesperrt.

LENDL: Das trifft zu. Aber lassen Sie mich gleich hinzufügen: Ich mußte nicht 180 000 Dollar Strafe zahlen, wie berichtet wurde.

SPIEGEL: Wieviel war es denn?

LENDL: Das ist geheim, auf jeden Fall ist die Zahl falsch.

SPIEGEL: Verärgert waren Sie doch, oder?

LENDL: Sicher, sehr verärgert sogar. Es war in der Tat eine eigenartige Entscheidung ...

SPIEGEL: ... weil Sie praktisch die tschechoslowakische Davis-Pokal-Mannschaft sind?

LENDL: Soweit würde ich nicht gehen. Aber soviel möchte ich sagen: In den meisten Ländern werden Spieler für ihren Davis-Pokal-Einsatz bezahlt. Ich verlange keinen Pfennig. Ich spiele umsonst. Fragen Sie mal Connors oder McEnroe, ob die das tun. Sicherlich nicht. Und wie hat Prag reagiert? Man hat mich aus der Mannschaft geworfen.

SPIEGEL: Die Entscheidung Martina Navratilovas, nicht in die Tschechoslowakei zurückzukehren und statt dessen amerikanische Staatsbürgerin zu werden, müßte die Einstellung zu den Tennis-Profis in Prag doch eigentlich beeinflußt haben.

LENDL: Martinas Entscheidung hat offensichtlich eine Erleichterung für die anderen Spieler nach sich gezogen. In Prag hat man begriffen, daß man sich in den USA aufhalten und die ganze Zeit spielen muß, wenn man sich an der Spitze halten will, daß man nicht in die Tschechoslowakei zurückkehren kann, wenn fünf Tage spielfrei sind. Ich werde für mein Land so lange in der Davis-Pokal-Mannschaft spielen, wie man mich dazu auffordert und mir gestattet, meine Profi-Karriere in einem Land meiner Wahl weiterzuverfolgen.

SPIEGEL: Wie kommt es eigentlich, daß Sie von den Zuschauern kaum irgendwo in den USA unterstützt werden? Man applaudiert statt dessen Ihrem Gegner, wer immer das sein mag. Hat das damit zu tun, daß Sie Bürger eines osteuropäischen Staates sind, eines kommunistischen dazu?

LENDL: Natürlich, kommunistische Staaten werden nicht von allen Leuten geschätzt. Die lehnen alles ab, was auch nur in Ansätzen rot aussieht. In der Bundesrepublik ist das sicher nicht anders. Aber ich könnte Ihnen kein Land nennen, von dem ich sagen müßte, hier werde ich ausgepfiffen oder die mögen mich nicht, weil ich aus der Tschechoslowakei stamme. Es sind vielleicht fünf oder zehn Prozent, die mich nicht mögen, weil ich Bürger eines kommunistischen Staates bin. Aber wenn Sie Franzose sind, schätzt man Sie in England nicht, als Italiener sind Sie in Spanien nicht beliebt, so ist das nun mal.

SPIEGEL: Ihr Freund und Trainer, der Pole Wojtek Fibak, hat die Regierung seines Landes wegen der Unterdrückung der »Solidarnosc« öffentlich kritisiert. Falls sich eine ähnliche Situation jemals in Prag abzeichnen würde, wären Sie dann bereit, Ihre Meinung ebenso zu äußern?

LENDL: Ich habe eine ausgeprägte Meinung zu fast allen politischen Themen. Ich verfolge Politik in den Zeitungen und im Fernsehen. Öffentlich werde

ich mich kaum äußern. Dafür gibt es einen einfachen Grund: Ich bin nicht Politiker, sondern Sportler, für den die Politik nichts mit Sport und der Sport nichts mit Politik zu tun hat.

SPIEGEL: Wie der Sport von Politikern - und nicht allein von kommunistischen - mißbraucht wird, ist Ihnen zweifellos nicht entgangen.

LENDL: Gewiß, das weiß ich. Meine Meinung wird sich vielleicht ändern, ich bin erst 24. Vielleicht äußere ich mich in zehn Jahren öffentlich, jetzt allerdings nicht. Sie müssen meine Situation verstehen. Ich bin tschechischer Staatsbürger und lebe in den USA. Meine Familie lebt in der Tschechoslowakei, meine geschäftlichen Interessen, meine Freunde habe ich hier. Wahrscheinlich wird Amerika mein hauptsächlicher Standort bleiben.

SPIEGEL: Ungewöhnlich scheint es schon, daß Sie, ein Mann, der als sehr ernst, launisch, distanziert und introvertiert gilt, sich in einer amerikanischen Umgebung wohl fühlen.

LENDL: Die Journalisten haben so viel über mich geschrieben: Es wird behauptet, ich rede nie, lächele selten und spiele unablässig Schach. Tatsache ist: Ich hasse Schach, allein das ewige Sitzen dabei geht mir auf die Nerven. Mein Vater ist der Schach-Experte, nicht ich. Ich kümmere mich um meine fünf Schäferhunde. Ich spiele Golf, ich laufe Ski und Schlittschuh. Ich schwimme und schätze Wasserski. Ich habe Spaß am Leben. Im Moment fühle ich mich so gut, daß ich noch weitere 15 Jahre Tennis spielen will. Wie kann ich mein Image verändern? Ich habe darüber oft nachgedacht. Wahrscheinlich kann ich wenig tun. Ich muß damit leben. Ein Image ist eben nicht Realität.

SPIEGEL: Wer ist Ivan Lendl wirklich?

LENDL: Er ist ein Profi, der seinen Beruf ernst nimmt. Der kann deshalb nach einem verlorenen Match, nach einem Doppelfehler nicht einfach lächeln. Es ist auch kein Geheimnis, daß ich mein Privatleben, soviel mir davon bleibt, außerhalb der Tenniswelt lebe. Tennis füllt nahezu mein ganzes Leben aus. Selten verbringe ich drei Tage hintereinander in meinem Haus. Ich benötige deshalb Distanz. Mein Privatleben behalte ich deshalb für mich, und zu meinen Freunden zählen Leute, die nicht unbedingt Tennisspieler sind.

SPIEGEL: Einige Ihrer Konkurrenten bezeichnen Sie als Intellektuellen, was sie nicht notwendigerweise als Kompliment betrachten.

LENDL: Ja, es ist wahr. Ich denke. Ich bin froh darüber, denken zu können. Ich spreche Tschechisch. Da ich in der Nähe der polnischen Grenze geboren wurde, spreche ich Polnisch. Ich spreche es relativ gut, weil mein Freund Freund Fibak Pole ist. Russisch habe ich in der Schule gelernt, doch ich spreche es nie. Acht Jahre lang hat mir mein Vater Deutsch beigebracht. Allerdings spreche ich es nicht sehr gut. Grammatik und Vokabular lassen zu wünschen übrig. Deutsche Spieler sprechen Deutsch mit mir, und ich antworte ihnen auf Englisch, denn das ist die Fremdsprache, die ich am besten beherrsche und die mir bei meinen Reisen am nützlichsten ist.

SPIEGEL: Wie viele Wochen reisen Sie im Jahr?

LENDL: Zu viele. Nur wenige Spieler locken wirklich Zuschauer an. Das ist das Problem. Diese Spieler sind gefragt. An den anderen haben die Veranstalter kein Interesse. Solange sie Connors oder McEnroe bekommen können, sind sie zufrieden, denn die ziehen die Massen an. Ob der Spieler, der in der Rangliste Platz 48 oder 19 einnimmt, letztlich kommt, ist für die Veranstalter eigentlich unwichtig. Folglich verbringe ich 35 Wochen des Jahres auf dem Tennisplatz. Und da habe ich das Training und die Reisen noch nicht einmal mitgezählt. Versuch das mal und sag mir, ob du müde bist. Ich arbeite einfach zu viel.

SPIEGEL: Das sollten Sie Ihrem Manager sagen.

LENDL: Nicht ihm. Die Tennis-Funktionäre erhöhen die Anzahl der Turniere, an denen ich teilnehmen muß, von Jahr zu Jahr. Derzeit sind es 16. Von diesen laufen 5 über zwei Wochen. Das sind schon 20 Wochen. Der Davis-Pokal bringt noch einmal drei oder vier Wochen. Das ist einfach zu viel.

SPIEGEL: Für diese Anstrengungen werden Sie königlich belohnt.

LENDL: Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Ich beklage mich nicht. Ich habe diesen Beruf gewählt und kann mir damit ein schönes Leben leisten. Einige Leute arbeiten in Berufen, in denen sie sich wohl fühlen, aber sie verdienen kaum Geld damit. Andere verdienen einen Batzen Geld und sind unglücklich mit dem, was sie tun. Ich habe beides erreicht und bin sehr glücklich. Das bedeutet natürlich noch lange nicht, daß ich nicht mehr darüber nachdenke, wie ich mein Leben verbessern und wie Tennis für die Fans aufregender gestaltet werden kann.

SPIEGEL: Welche Antwort hat der Profi Lendl auf die unverkennbare Krise im Tennis, die sowohl durch verminderte Zuschauerzahlen wie einen Absatzschwund in der Tennis-Zubehör-Industrie erkennbar ist?

LENDL: Die Ranglisten, Punkte, Extra-Punkte, Gratifikationen und so weiter sind zu verwirrend. Das System müßte vereinfacht werden. Man sollte es bei zwölf wichtigen Turnieren im Jahr belassen, eines im Monat. Es müßte organisiert werden wie beim Formel-1-Autorennen. Man wüßte: Bei einem Sieg erhältst du soundsoviel Punkte. Ich befürworte zudem zwei Tennis-Ebenen: eine für den »Grand Prix« oder »Super Grand Prix«, eine zweite für andere Turniere.

SPIEGEL: Ihnen schwebt so etwas wie die Fußball-Liga vor, erste und zweite Division.

LENDL: Genau, 32 Spieler würden bei den großen Turnieren mitwirken, 64 bei den kleineren. Ein Sieg bei einem dieser kleineren Turniere, so stelle ich mir das vor, würde eine automatische Qualifikation für zwei große bedeuten. Wer bei den großen Turnieren dreimal in der ersten Runde ausscheidet, steigt ab und muß sich neu beweisen.

SPIEGEL: Welche Chancen geben Sie Ihrer Idee?

LENDL: Null, zumindest in meiner aktiven Zeit. Vielleicht sind wir in zehn Jahren soweit. Wir werden erst reagieren, wenn das Interesse an Tennis nachläßt und kein Zuschauer mehr kommt.

SPIEGEL: Herr Lendl, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
*KASTEN

Ivan Lendl *

ist einer der besten Tennisspieler der Welt. Doch er führte die Weltrangliste nie an. Auch das wichtigste Tennisturnier der Welt, die inoffiziellen Weltmeisterschaften in Wimbledon, gewann er noch nie. Dennoch kassierte der in Mährisch-Ostrau geborene Ivan Lendl, 24, bisher fast sechseinhalb Millionen Dollar Preisgeld. Laut Vertrag soll er etwa 20 Prozent an den Heimatverband in der CSSR abführen. Von 1980 bis 1985 erreichte Lendl alljährlich das Endspiel um den lukrativen Masters Cup, 1981 und 1982 siegte er. Seinen bisher größten Erfolg feierte Lendl 1984 in Paris beim Gewinn der Internationalen Tennismeisterschaften von Frankreich. Lendl besiegte den Amerikaner John McEnroe. 15 Jahre will Lendl noch spielen, danach in den USA bleiben.

Mit Redakteur Helmut Sorge im New Yorker Klubhaus des Tennis Port,Long Island.

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