FUSSBALL Die Nürnberg-Connection
Die Herren von der Kripo waren höflich, korrekt und fleißig. Klaglos schleppten sie Dutzende von Aktenordnern aus der Wohnung Cornelia Härtfelders - die gesamte Korrespondenz ihrer Nürnberger Werbeagentur mit dem Fußball-Bundesligaklub Blau-Weiß 90 Berlin und etlichen Gläubigern.
Elf Wochen darauf, am 31. Oktober dieses Jahres, kamen die ungebetenen Besucher wieder. Diesmal holten sie die Chefin ab. Seither sitzt Cornelia Härtfelder, 33, ebenso wegen Betrugverdachts in Untersuchungshaft wie ihr Lebensgefährte Konrad Kropatschek, 49, der eigentliche Kopf des Unternehmens.
Kropatschek, immer noch an den Folgen eines vor einem Jahr erlittenen Gehirnschlags leidend, war ab Mai 1983 gut zwei Jahre lang auch Manager bei Blau-Weiß Berlin. Schnell versicherte Vereinschef Manfred Kursawa jetzt: »Wir haben eine saubere Weste.«
Strafrechtlich mag das zutreffen. Doch der steile Aufstieg der Mariendorfer aus der Berliner Amateurklasse in die Bundesliga und der gleichzeitige Fall ihres Geldbeschaffers enthüllen dubiose Finanzierungsgeschäfte, wie sie in diesem Ausmaß im deutschen Fußball bislang ohne Beispiel sind.
Im Frühjahr 1983 hatte Kropatschek den Klub, der 1905 sogar einmal Deutscher Fußballmeister war, von seinem »Modell Blau-Weiß« überzeugt. Die Agentur des angeblichen Millionärs verpflichtete sich, auf eigene Kosten eine bundesligataugliche Profitruppe einzukaufen und zu entlohnen.
Das große Geld wollte Kropatschek nach Art eines Warentermingeschäfts mit den Ablösesummen der Spieler machen, die vertragsgemäß allein der Agentur Härtfelder zustanden. Nach einem Aufstieg in die Bundesliga, so seine Spekulation, könne man die Spieler wesentlich teurer verkaufen, als sie eingekauft worden waren.
Willig stimmten die Vereinsoberen zu, daß ihr Klub, so DFB-Ligasekretär Wilfried Straub, »zum Briefkasten eines Geldgebers« wurde. Der Mann aus Nürnberg erhielt den Managerposten mit allen Vollmachten. Ein Passus der Vereinbarung zwischen Kropatschek und Blau-Weiß vom 14. Mai 1983 lautet: »Bei Spielertransfers während der Saison bedarf es der Zustimmung des Vereins.« Im Klartext bedeutet dies: Zu Saisonende konnte der Manager bei Spielerverkäufen schalten und walten, wie er wollte, ohne irgend jemanden zu fragen.
Außerdem erhielt er auch noch einen Freibrief für die Art der Geldbeschaffung, die das »Modell Blau-Weiß« in der Folge kennzeichnete: »Die Agentur kann Rechte aus den Verträgen ihrer Spieler zu Finanzierung an Dritte abtreten.« Hypotheken auf das zentrale Kapital eines Fußballvereins, auf die Spieler, waren also von Anfang an eingeplant.
Einen schillernden Paradiesvogel schien damals niemand in Kropatschek zu sehen. Kursawa: »Er hatte ein überzeugendes Auftreten und immer Geld in der Tasche.« Auskünfte über Kropatschek, der sein Geld angeblich in der Werbebranche und mit dem Verkauf von Industriegütern verdiente, etwa bei einer Wirtschaftsauskunftei, holten die Berliner nicht ein. Auf diese Weise hätten sie erfahren können, daß ihr Manager, der auf Reisen bisweilen als Günther Pfann in Hotels eincheckte, und wegen seiner Vorliebe für eine gleichlautende Sektmarke auch »Fürst Metternich« genannt wurde, einschlägig vorbestraft war.
1976 hatte das Landgericht Würzburg Kropatschek wegen Kreditbetrugs zu vier Jahren Haft verurteilt: Nach dem Urteil tauchte er damals unter, wurde jedoch während einer Sendung »XY« über seinen Fall in einem bayrischen Hotel, in dem er Stammgast war, identifiziert und kurz darauf festgenommen.
Bei Blau-Weiß aber gab man sich damit zufrieden, daß der neue Gönner anfangs - die Mannschaft spielte noch in der Amateuroberliga - pünktlich zahlte. Zur Umgehung des Amateurparagraphen wurde mit Wissen des Vereins zwischen den einzelnen Spielern und der Agentur Härtfelder ein Angestellten- und Werbe-Vertrag geschlossen. Dessen Ziel: »Ausbildung zum Lizenzspieler.«
Die Ausbildungsbeihilfe betrug für die meisten Spieler monatlich zwischen 2000 und 3000 Mark. Um Schwierigkeiten mit dem DFB aus dem Weg zu gehen, mußten sich die Spieler verpflichten, »diese Vereinbarung keinen dritten Personen zugänglich zu machen«.
Mit dem Aufstieg in die Zweite Bundesliga wuchsen für die Saison 1984/85 _(Oben: Mit der Blau-Weiß-Mannschaft nach ) _(dem Aufstieg in die Erste Bundesliga; ) _(unten: Cornelia Härtfelder. )
Kropatscheks Auslagen allein an Spielergehältern auf 980000 Mark. Die Zuschauerresonanz bei den Heimspielen des Neulings blieb jedoch bescheiden. Die Agentur Härtfelder geriet in akute Finanznot, die Zahlungen kamen ins Stocken. Kropatschek nahm ein Darlehen nach dem anderen auf und verpfändete, wie im Vertrag vorgesehen, die Transferrechte des Spielerkaders.
Interessierten Geldgebern versprach er vertraglich hohe Gewinnspannen. Manche seiner Gläubiger schlugen eine jährliche Verzinsung ihres Darlehens bis zu 40 Prozent heraus. Ein Kreditgeber: »Ein bißchen mehr als die Bundesschatzbrief-Rendite mußte es schon sein.«
Die meisten Spieler versetzte die Agentur nicht nur einmal - einer der Gründe, warum die Staatsanwaltschaft gegen Kropatschek und Härtfelder ermittelt. Ein Gläubiger: »Ich habe die Rechte auf die Blau-Weiß-Stars Bodo Mattern und Bernd Gerber. Aber die besitzen drei weitere Gläubiger auch.«
Leo Bunk, den damaligen Torjäger der Zweiten Liga, soll die Agentur insgesamt elfmal verpfändet haben. Bunk ist bisher als einziger Blau-Weiß-Spieler transferiert worden. Im Sommer dieses Jahres erwarb ihn der VfB Stuttgart für 640000 Mark Ablöse. Das Geld hinterlegte der VfB beim Amtsgericht Bad Cannstatt, bis geklärt ist, wem es nun wirklich zusteht.
Einer der wichtigsten unter den rund 20 Gläubigern Kropatscheks ist der ehemalige Steuerberater seiner Agentur, der Nürnberger Peter Fleischmann. Mit den finanziellen Verhältnissen seines Klienten bestens vertraut, gewährte Fleischmann der Agentur Härtfelder Darlehen von insgesamt 1,2 Millionen Mark. Als Sicherheit erhielt er, beziehungsweise die von seiner Frau geführte Fleischmann Vermögensverwaltungsgesellschaft mbH, schon 1984 die Transferrechte für 21 Blau-Weiß-Spieler.
Trotz seiner gespannten Beziehungen zu Kropatschek versuchte Fleischmann, für das Blau-Weiß-Geschäft weitere Geldgeber zu locken. Mit demselben Geschäftsziel wie die nicht mehr besonders kreditwürdige Agentur Härtfelder leitete er die Gründung einer »Härtfelder GmbH« mit Sitz Berlin in die Wege. Sie startete am 4. Januar 1985 mit 600000 Mark Kapital. Doch dieses für jeden Investor vertrauenerweckende Finanzpolster wurde vier Tage später wieder abgebucht - auf ein Konto von Fleischmann. Auch gegen den Steuerberater ermittelt die Staatsanwaltschaft.
Die emsigen Aktivitäten der Nürnberg-Connection seien damals am Blau-Weiß-Vorstand vorbeigelaufen, beteuerte Kursawa im März 1986. Im Juli 1985 aber hatten der Verein und Fleischmann ein Abkommen geschlossen, in dem Blau-Weiß den Anspruch des Steuerberaters auf Transfer-Erlöse anerkannte. Anstelle der fast bankrotten Agentur Härtfelder entschied jetzt plötzlich Fleischmann, vertraglich gesichert, mit, »welche Spieler abgegeben werden und zu welcher Ablöseentschädigung«.
Am 28. November 1985 kündigte der Verein seine Verträge mit der Agentur Härtfelder fristlos. Sie sei mit Zahlungen in Höhe von 1,3 Millionen Mark im Rückstand. Den Mann, dem man zweieinhalb Jahre zuvor praktisch Blanko-Vollmachten gegeben hatte, jetzt vor die Tür zu setzen fiel den Berlinern leicht. Ein neuer Sponsor, ebenfalls aus Nürnberg, stand bereit.
Der Sanitärkaufmann Hans Maringer, 58, dem die Agentur Härtfelder über eine Million Mark schuldete, kaufte zusätzlich Fleischmanns 1,2-Millionen-Forderung auf und erstattete Blau-Weiß außerdem die 1,3 Millionen, die der Verein von der Agentur beanspruchte. Damit rettete Maringer Blau-Weiß, das wegen der ausbleibenden Zahlungen von Kropatschek kaum mehr die Spielergehälter überweisen konnte, vor der Pleite. Auch Maringer spekulierte auf Transfergewinne: »Das Berliner Modell halte ich für gut.«
Argwöhnisch beobachtete der Deutsche Fußball-Bund seit Kropatscheks Einstieg die Finanzakrobatik in Berlin. Doch nach seinen Statuten habe der DFB, so Ligasekretär Straub, keine Möglichkeit gehabt, gegen Kropatscheks und später Maringers Wirken einzuschreiten, das beim Verband »nicht auf Gegenliebe« gestoßen sei. Dreimal erteilte der DFB den Berlinern bisher eine Lizenz. Neben Bankbürgschaften ließ auch er sich als Sicherheit die Transferrechte an den Spielern noch von der Agentur Härtfelder übereignen - ohne zu wissen, daß sie schon an eine ganze Schar von Gläubigern abgetreten waren.
Im Sommer 1986 stieg Blau-Weiß Berlin in die Erste Bundesliga auf. Dort steht die Mannschaft zwar nach der Vorrunde auf dem zweitletzten Rang, doch wirtschaftlich geht es dem Verein im Augenblick nicht schlecht. Mit 30500 Zuschauern pro Heimspiel liegt sein Besucherschnitt nur unter dem von Bayern München und Schalke 04.
Wütend über diese Wende in Berlin sind die restlichen Gläubiger Kropatscheks, denen der Verein trotz ihrer Ansprüche auf über sechs Millionen Mark keinen Pfennig vom neuen Wohlstand abgeben will. Kreditgeber Peter Widmann: »Ohne unser Geld hätte Blau-Weiß diesen sportlichen Erfolg nie erreicht.« Widmann kündigte an, man werde, wie bereits im Fall Leo Bunk, den Berlinern gerichtlich »jede Ablösesumme blockieren«.
Manche der Gläubiger haben den Verdacht, daß die »Unschuldslämmer von Berlin« (Widmann) durchaus wußten, wie illegal sich Finanzier Kropatschek durch Mehrfachabtretungen das Geld fürs »Modell Blau-Weiß« beschaffte. Sollte ein Gericht diesen Verdacht bestätigen, müßte der Klub für den von seinem Ex-Manager angerichteten Schaden haften.
Für den Fall des - wahrscheinlichen - Abstiegs verdüstert sich die Lage der Berliner noch mehr. Bei den geringen Zuschauerzahlen in der Zweiten Liga werde Mäzen Maringer, so glaubt man beim DFB, sein Engagement nicht lange durchhalten. Dafür habe der mittelständische Unternehmer einfach bereits zu viele Millionen zugesetzt. Falls Maringer aussteigt, erledigt sich für den DFB der Problemfall Blau-Weiß Berlin von selbst. Ein Verein ohne Geld erhält keine Lizenz. DFB-Straub: »Es stehen genug andere vor der Tür, die nur darauf warten, daß ein Platz frei wird.«
Oben: Mit der Blau-Weiß-Mannschaft nach dem Aufstieg in die ErsteBundesliga;unten: Cornelia Härtfelder.