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Die olympische Endlösung

aus DER SPIEGEL 30/1976

Dort, wo er herkommt, ist es noch grün. Und Olympia existiert nicht einmal auf einem Whisky-Etikett. Lord Killanin aus Irland hatte sich einst zum Präsidenten des Olympischen Komitees wählen lassen, weil ein gesunder Mann in einem gesunden Verbandskörper wirken sollte. Seitdem sind der Lord und das IOC unpäßlich.

Derzeit hat Killanin sein Krankenlager in Montreal aufgeschlagen. Seine Bedingung für ein Interview: »Ich sage nichts über die Spiele in Kanada, sonst bleiben außer Taiwan. Tansania und Mauritius womöglich auch noch Fidschi und Grenada weg.«

Ich schlug vor, über Olympia 1981> zu plaudern. Lord Killanin bäumte sieh in den Kissen -- zwei aus den USA, zwei aus der UdSSR und zwei aus Ländern der Dritten Welt auf und stöhnte: »Bloß nicht, dann findet unsere Sache in Moskau statt.«

»Aber da sind Sie doch nicht mehr im Amt.« Der Lord fiel ins russische Kissen zurück »Wer sagt das?« Als ich seine Enttäuschung verspürte, verallgemeinerte ich: »Das sagen alle.« Er schob sich je ein US-Kissen und ein Rückenpolster der Dritten Welt in die Nierenpartie. »Ich werde bis zum Umfallen kämpfen.«

Besorgt erkundigte ich mich: »Geben Sie Olympia noch eine Chance?« Er fingerte ein Eisstück aus dem Whiskyglas: »Unsinn. ich muß nur den Kopf frei haben für einen Plan. der Olympia ein für allemal aus der politischen Sackgasse führt.«

»Wohl für die Spiele 1984?« Lord Killanin sah zum Fenster hinaus: »Olympia braucht die Wende«. murmelte er. Ich zuckte zusammen. Killanin lächelte und verkündete mit Pathos:

»Ich habe eine neue olympische Idee. Nicht Nationen, sondern Konzerne laden ein und stellen die Mannschaften. Mit Geld ist noch alles in Ordnung zu bringen, egal, ob in Kanada der Weizen für Rotchina blüht oder in Westdeutschland die Atomkerne für Südafrika geknackt werden.«

Ich legte den Schreibblock beiseite und rieb meine Hände trocken. »Phänomenal. Eure Lordschaft, das ist die olympische Endlösung.« Ich fragte: »Aber sind Sie sicher, dafür im IOC eine Mehrheit zu bekommen?«

Killanin dämpfte seine Stimme: »Ich hin da ganz sicher, ich habe bei der entscheidenden Sitzung den Carlos dabei.« Mein Kugelschreiber war heiß, und ich rüstete auf Bleistift um. »Was verlangt der dafür?« Killanin streckte sich. »Nicht viel, er will nur die Nationalmannschaft von Israel.«

Killanins diensthabende Hosteß trat ein. Um abzulenken, fragte ich den Lord: »Glauben Sie, daß die Spiele im Jahr 2000 überhaupt noch stattfinden werden?« Killanin ließ die rechte Hand sanft über den Rücken der Hosteß gleiten: »Aber sicher, Olympia ist lebenswichtig.«

Die Hosteß verließ das Zimmer. Killanin flüsterte: »Haben Sie das Mädchen erkannt?« Ich verneinte. Killanin gluckste: »Prächtiges Mädchen, im Jahr 2000 liegt ihr die Welt zu Füßen.« Ich stutzte. Der Lord räkelte sich in den Kissen der Welt: »Dann ist sie längst Königin von England.«

Theo Tripler

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