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»Do bin i«

Ein österreichischer Klub verpflichtete die ersten sowjetischen Leih-Sportler. Sie kamen zu einem Wechselgeschäft.
aus DER SPIEGEL 52/1971

Der Ost-West-Austausch blüht: Neuerdings dürfen sowjetische Eishockey-Stars schon für kapitalistisches Bier werben.

Zum erstenmal schickte auch die Sowjet-Union Leihspieler ins westliche Ausland. Der Volltreffer ins Rote glückte der Brau AG/WAT Stadlau, einem von sechs Bierbrauereien (wie Hofbräu Kaltenhausen) mit 400 000 Schilling finanzierten Wiener Eishockey-Klub. Er verpflichtete den UdSSR-Nationalspieler Walerij Nikitin und Jurij Morosow aus der sowjetischen B-Mannschaft als Spielertrainer.

Seit Jahren sickern immer wieder Sportstars aus dem Ostblock als Emigranten ins westliche Ausland. Legal durfte jedoch kein Ost-Athlet Berufssportler werden, bis der Budapester László Papp nach drei Box-Olympiasiegen zum Schreibtisch des zuständigen Ministers vordrang. Mit der ersten Ausnahmegenehmigung für eine Profikarriere im Westen kam er zurück.

Papp boxte sich zur Europameisterschaft der Berufsboxer durch. 1964 verboten ihm die zurückgebliebenen Funktionäre weitere Kämpfe. Offiziell begründeten sie, der Berufssport vertrüge sich nicht mit sozialistischer Moral. Aber vor allem benötigten sie Papp als Trainer.

Die CSSR gründete sogar eine Firma für den Sportler-Handel: Pragosport. Sie vermittelte Basketball-Spieler und Eishockey-Trainer, die Eistanz-Weltmeister Eva und Pavel Roman, Turnerin Eva Bosaková und Eiskunstlauf-Europameisterin Hana Masková. Pragosport kassiert zehn Prozent von allen Handgeldern, Gagen und Prämien.

Mit einem originellen Einfall schaltete sich nun auch die Sowjet-Union in den Sportler-Verleih ein. Seit Jahren pflegte der Gewerkschafts-Sportverband Wettkampfverbindungen zum sozialistischen »Arbeiterbund für Sport und Körperkultur in Österreich« (Askö).

Als Askö-Generalsekretär Rudolf Spiola einen Austausch vorschlug, schickte die sowjetische Organisation im September 1970 Morosow als Vorhut. Er führte die Brau AG/WAT in die Eishockey-Bundesliga.

In diesem Winter kehrte er mit Weltmeister Nikitin zurück. Beide wohnen in Wien-Stadlau und erhalten an materiellen Zuwendungen schätzungsweise 2000 Mark pro Monat. »Billiger als Kanadier«, freute sich der Verbandssekretär. Nikitin: »Es gefällt uns in Wien ausgezeichnet.« Morosow lernte schon deutsch. Nikitin wienert bislang nur wenige Worte. »Do bin i« » bietet er sich im Spiel an.

Damit beide dem unterentwickelten Eishockey der Alpenrepublik möglichst umfassend nutzen, halfen sie auch dem HC Salzburg gegen den bundesdeutschen Spitzenklub SC Rießersee siegen. »Nikitin und Co.«, skandieren die Fans, »schießen all's k. o.« Der Leihrusse führt die Torjäger-Liste an. »Ein Spiel, das an Zauberei grenzt«, schwärmte der Wiener »Kurier«.

Als Gegenwert für ihre Eis-Athleten forderten die Sport-Sowjets Hilfe für ihren daniederliegenden alpinen Skisport an. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg hatten sie Abfahrts- und Slalomrennen eingeführt. 1956 kurvte Jewgenija Sidorowa zu einer olympischen Bronzemedaille im Slalom -- der bislang einzigen. Zehn Jahre später wand sich der erste Skilift auf den Scheget im Elbrus-Gebirge. »Bald nehmen wir 175 neue Lifts in Betrieb«, kündigte der sowjetische Verbandssekretär Pjotr Rodionow an. 50 000 Russen rasen und rutschen schon im Ural und Kaukasus zu Tal.

»Für einen Sportler, der keine guten Ski besitzt«, erklärte die »Prawda« Mängel und Mißerfolge ihrer Spitzenklasse, »ist es schwer, Erfolg zu haben.« Bei der ersten Sommermeisterschaft der UdSSR 1971 im Kaukasus -- mit ausländischen Läufern -- »setzte ein richtiger Run auf unsere Ski und Bindungen ein«, erzählte der Schweizer Funktionär Kurt Gertsch. »Sie boten Filmkameras, Wodka und Kaviar zum Tausch an.«

Im Gegenverkehr verpflichteten die Sowjets für ihre Eishockey-Stars den österreichischen Ski-Trainer Franz Furtner. 1972 sollen vier Skilehrer russische Trainer schulen. Als Zugabe erbaten die Sowjets Rodel-Nationaltrainer Emmerich Walch. Seit drei Jahren versuchen sie auch auf Wettkampfschlitten die Weltklasse einzurodeln.

Inzwischen trauert Wiens Brau AG/ WAT um das erste Opfer der ost-westlichen Sportlerhilfe: Eishockey-Stürmer Morosow brach sich im Bundesligaspiel gegen Zell am See drei Rippen. Letzte Woche kehrte er vorzeitig nach Moskau zurück.

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