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Doping nach Stundenplan

aus DER SPIEGEL 38/1991

Das Motto des DDR-Sports formulierte Hartmut Riedel, früher Verbandsarzt der ostdeutschen Leichtathleten und heute Professor in Bayreuth, handschriftlich in seinem »Arbeitsbuch« auf Seite 57: »Nicht mehr trainieren, sondern effektiver mit Pharmaka arbeiten«.

Schon früh hatten die DDR-Wissenschaftler für die Athleten Anabolika-Jahrespläne aufgestellt. In der Saison 1983/84 waren sie zunächst auf die Olympischen Spiele ausgerichtet, wegen des Ostblock-Boykotts fanden schließlich Ersatzwettkämpfe statt. Der Plan (Abbildung oben) regelt das Doping unter anderem für die Sprinter Steffen Bringmann (Code S 11), Frank Emmelmann (KS 12), Marlies Göhr (KS 33), Bärbel Wöckel (KS 35), Silke Möller (KS 32) ebenso wie für die 400-Meter-Läufer Jens Carlowitz (LS 21), Thomas Schönlebe (LS 24), Marita Koch (LS 42), Sabine Busch (LS 41) oder Hürdensprinter wie Bettine Jahn (KH 31).

Vor Jahreshöhepunkten wie der Weltmeisterschaft 1983 wurde zusätzlich ein Wochenplan (Abbildung unten links) für die »unmittelbare Wettkampfvorbereitung« angelegt. Individuell wurden den Athleten spezielle Mixturen aus Anabolikapräparaten und reinem Testosteron gegeben. Besonders bizarr war die Präparation, mit der Bärbel Wöckel (S 35) auf Trab gebracht werden sollte: Sie ließ sich Spritzen setzen, nahm dann Tabletten und schließlich wieder Spritzen. Bettine Jahn (H 31) machten drei Injektionen so schnell, daß sie Weltmeisterin über 100 Meter Hürden wurde.

Aus Angst vor Entdeckung erfolgte damals bei allen Sportlern die letzte Medikation zwei Wochen vor der WM. 1986 wies Drogenexperte Riedel dann den neuen Weg. Mit Einzel- und Sammeltests an weiblichen Athletinnen ermittelte er exakte Absetzkurven. Ziel war es, den Quotienten von Testosteron und Epitestosteron, der nach den Dopingregeln bei der Kontrolle den Wert 6 nicht überschreiten darf, für jeden Athleten exakt zu bestimmen. So konnte schließlich nach maßgeschneiderten Stundenplänen (Abbildung unten rechts) noch 120 Stunden vor dem Wettkampf mit einer Testosteronspritze Aggressivität und Siegeszuversicht der Sportler konserviert werden. Die psychische Wirkung der Anabolika reichte bis zum Start - doch die bis ans Limit gedopten Athleten wurden nicht überführt. _(* Oben: Jahresplan, der in der 40. Woche ) _(1983 beginnt und in der 34. Woche 1984 ) _(endet. Links der Code der Sportler, die ) _(Kästen markieren Menge und Dauer der ) _(Einnahme von Oral-Turinabol. ) _(Anabolikafreie Zeiten gab es nur vor ) _(Hallenwettkämpfen (5. bis 7. Woche) und ) _(den DDR-Meisterschaften (22. Woche). ) _(Unten links: Wochenplan für die ) _(unmittelbare Wettkampfvorbereitung ) _((UWV), der neun Wochen vor den ) _(Weltmeisterschaften 1983 beginnt. Links ) _(der Code der Sportler, daneben deren ) _(beste Wettkampfleistung (WKL) vor der ) _(UWV; die Rechtecke stehen für ) _(Oral-Turinabol, Pfeile bedeuten 10 mg, ) _(Dreiecke 25 mg und Kreise 100 mg ) _(Testosteronester-Injektionen; rechts die ) _(beste Leistung in der UWV. Unten rechts: ) _(Stundenplan, der 192 Stunden vor dem ) _(Wettkampf einsetzt. Gemessen wurde die ) _(Konzentration von Testosteron im ) _(Blutplasma (TPL, durchgezogene Linie) ) _(und im Urin (TDU, gestrichelte Linie) ) _(sowie der Quotient von Testosteron und ) _(Epitestosteron (Balken). Die Pfeile ) _(markieren letzte Injektionen mit ) _(Testosteronpräparaten (TP). )

Anabolika-Jahresplan 1983/84*: »Effektiver trainieren mit Pharmaka«

Wochen- und Stundenplan vor dem Saisonhöhepunkt*: Zum Abschluß gab es noch ein paar Spritzen

* Oben: Jahresplan, der in der 40. Woche 1983 beginnt und in der 34.Woche 1984 endet. Links der Code der Sportler, die Kästen markierenMenge und Dauer der Einnahme von Oral-Turinabol. AnabolikafreieZeiten gab es nur vor Hallenwettkämpfen (5. bis 7. Woche) und denDDR-Meisterschaften (22. Woche). Unten links: Wochenplan für dieunmittelbare Wettkampfvorbereitung (UWV), der neun Wochen vor denWeltmeisterschaften 1983 beginnt. Links der Code der Sportler,daneben deren beste Wettkampfleistung (WKL) vor der UWV; dieRechtecke stehen für Oral-Turinabol, Pfeile bedeuten 10 mg, Dreiecke25 mg und Kreise 100 mg Testosteronester-Injektionen; rechts diebeste Leistung in der UWV. Unten rechts: Stundenplan, der 192Stunden vor dem Wettkampf einsetzt. Gemessen wurde die Konzentrationvon Testosteron im Blutplasma (TPL, durchgezogene Linie) und im Urin(TDU, gestrichelte Linie) sowie der Quotient von Testosteron undEpitestosteron (Balken). Die Pfeile markieren letzte Injektionen mitTestosteronpräparaten (TP).

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