Krise beim Deutschen Schachbund Der Bundestrainer ist schachmatt

Topschachspieler protestieren gegen Bundestrainer Dorian Rogozenco und drohen einen Boykott an. Er soll eigenmächtig Geld ausgegeben und einen Freund bevorteilt haben. Nun zieht der Schachbund Konsequenzen.
Schach dem Bundestrainer

Schach dem Bundestrainer

Foto: Mark Lennihan / AP

Schach boomt in der Coronakrise. In den weltweiten Shut- und Lockdowns wenden sich immer mehr Menschen zu Hause dem jahrhundertealten Spiel der Könige zu – vor allem online. Die Netflix-Serie »Das Damengambit« begeistert auch Menschen, die sich bislang nicht für das Spiel interessiert haben. Und Schachweltmeister Magnus Carlsen organisiert eine Serie an Onlineturnieren mit einem Millionenpreisgeld. Das hat es zuvor noch nie gegeben.

Schach scheint tatsächlich ein Gewinner der Krise zu sein – nur in Deutschland verschläft man den Boom, zumindest beim Verband. Der Deutsche Schachbund (DSB) ist mit sich selbst beschäftigt, Ärger in den eigenen Reihen sorgte in den vergangenen Monaten für mehrere Rücktritte  von Funktionären. Im Zentrum der Kritik: Bundestrainer Dorian Rogozenco.

Der Schachbund zog nun Konsequenzen. Auf der Homepage  des Verbands hieß es am Montagabend, man habe sich mit dem Bundestrainer in beiderseitigem Einvernehmen dazu entschlossen, getrennte Wege zu gehen. DSB-Präsident Ullrich Krause bedankte sich für die gute Zusammenarbeit. Rogozenco wurde mit den Worten zitiert, die Arbeit habe ihn mit Stolz erfüllt. »Auch wenn es am Ende zu manchen Konflikten kam, wünsche ich allen nur das Beste für ihre weitere schachliche Entwicklung«, so Rogozenco.

Konflikte gab es jedoch nicht nur manche, sondern einige. Diese hatten am Samstag in einem Aufstand von zwölf Topspielern und -spielerinnen gegipfelt, darunter auch der 16 Jahre alte Vincent Keymer, das größte deutsche Talent. Die Spieler veröffentlichten einen offenen Brief , in dem sie androhten, unter Rogozenco nicht mehr für die Nationalmannschaft spielen zu wollen.

In dem Brief heißt es, Bundestrainer Rogozenco treffe »destruktive Entscheidungen, die ein unerträgliches Ausmaß erreicht haben«. Insbesondere Spielerinnen habe Rogozenco keinen Respekt entgegengebracht. Der Verband weiche einem Dialog aus.

Georg Meier, langjähriger Nationalspieler und Initiator des Protests, konkretisierte die Vorwürfe im Gespräch mit dem SPIEGEL. Einzelne Spielerinnen und Spieler hätten in den vergangenen Jahren immer wieder Probleme mit Rogozenco gehabt, der Moldauer ist seit Januar 2014 Bundestrainer. In den vergangenen Monaten habe es aber mehrere Konflikte gegeben, die nun den gemeinsamen Protest der Nationalspieler ausgelöst hätten, so Meier.

Ein Vorwurf: Rogozenco soll im Vorfeld der German Masters, einem Turnier acht deutscher Topspieler im August, ein individuelles Training für einen der Teilnehmer organisiert haben. »Das ist unerhört, weil er danach gegen seine Kollegen im Kader spielte. Der Verband hat unter Anleitung des Bundestrainers sozusagen sein Aufwärmprogramm finanziert und organisiert. Das hat alle anderen Spieler hart getroffen«, sagte Meier.

Dieses Training führte Anfang Oktober sogar zum Rücktritt  des Referenten für den Leistungssport, Andreas Jagodzinsky. Der bemängelte in einer internen Mail vom 1. Oktober, Rogozenco habe die Kosten für das Training, an dem ein Großmeister aus den Top 20 der Weltrangliste beteiligt gewesen sein soll, nicht mit ihm abgeklärt. Der SPIEGEL konnte die Mail einsehen. Demnach fand das Training für den deutschen Spieler Liviu-Dieter Nisipeanu statt, er soll ein langjähriger Freund Rogozencos sein. Das Training soll 4188 Euro gekostet haben, viel Geld für einen Verband wie den Schachbund. Verbandsausgaben über 500 Euro hätte Jagodzinsky eigentlich absegnen müssen, Rogozenco soll jedoch eigenmächtig gehandelt haben. Der DSB kündigte eine Untersuchung  an, die aber offenbar noch andauert. In der nun erfolgten Mitteilung war keine Rede davon.

Bundestrainer widersetzte sich offenbar dem Verband

Einen weiteren Konflikt gab es um die deutsche Topspielerin Elisabeth Pähtz und ihre Teilnahme an der Schach-Olympiade im August, sozusagen der Mannschaftsweltmeisterschaft. Kurz zuvor war Pähtz' Online-Account auf der Schachplattform lichess beim Betrügen erwischt worden. Pähtz erklärte  später, ein Freund habe Zugang zu ihrem Account gehabt und mit fremder Hilfe Partien gewonnen. Beweise dafür, dass sie nicht an dem Betrug beteiligt war, legte sie dem Schachbund und dem Weltverband Fide nach eigener Aussage privat vor.

Die Verbände äußerten sich nicht offiziell. Pähtz sagte jedoch bei »chessbase« , sie sei von der Fide für einen Wettkampftag gesperrt worden, weil sie die Verantwortung für ihren Account trage. Zwei Spieler der Olympiade-Mannschaft, Rasmus Svane und Matthias Blübaum, wollten jedoch nicht mit Pähtz in einem Team spielen, solange die Vorwürfe nicht nachvollziehbar aufgearbeitet würden, so erklärt es Meier. Es soll daraufhin innerhalb des Verbands eine Einigung gegeben haben, dass Pähtz vom Bundestrainer nicht aufgestellt wird.

In der letzten Turnierrunde widersetzte sich Rogozenco dem offenbar, stellte Pähtz auf und strich die beiden Männer aus dem Team. »Das war ein Riesenbruch zwischen den Spielern und dem Bundestrainer«, sagte Meier. Spätere Beschwerden habe DSB-Präsident Ullrich Krause versanden lassen.

Auch DSB-Präsident Ullrich Krause steht bei den Spielern in der Kritik

Auch DSB-Präsident Ullrich Krause steht bei den Spielern in der Kritik

Foto: Privat / Deutscher Schachbund / DPA

Kein Respekt für das Frauenteam

Zwar soll sich Rogozenco gut mit Pähtz verstehen, der besten deutschen Spielerin. Mit vielen anderen Mitgliedern der Frauen-Nationalmannschaft gab es jedoch immer wieder Probleme. In den vergangenen Jahren soll Rogozenco sich oft respektlos gegenüber den Frauen verhalten haben, sagte Teamsprecherin Sarah Papp dem SPIEGEL: »Es ist schon vorgekommen, dass er mal ausgerastet ist, ein paar Spielerinnen haben in seiner Gegenwart oder im Anschluss schon angefangen zu weinen.« Rogozenco war für den SPIEGEL für eine Stellungnahme zu den angeführten Vorwürfen zunächst nicht zu erreichen.

Die Frauen waren froh, als sie vor zwei Jahren einen eigenen Nationaltrainer bekamen. Alexander Naumann wurde der sogenannte Teamkapitän, er sollte auch verantwortlich für die Aufstellung bei Turnieren sein. Im vergangenen Sommer aber sagte dann Rogozenco, er werde über die Aufstellung für die Olympiade entscheiden, obwohl er im Gegensatz zu Naumann nicht mit den Frauen trainiert hatte. Daraufhin trat Naumann zurück.

Meier und Papp betonen beide, nach den Konflikten das Gespräch mit dem Bundestrainer und dem Verband gesucht zu haben. Nach der ausbleibenden Reaktion sei der offene Brief die letzte Möglichkeit gewesen. Die Spieler wünschen sich vom Verband einen Dialog und neue Lösungen.

Braucht es einen Bundestrainer?

Dann wollen die Spielerinnen und Spieler auch diskutieren, ob es den Posten eines Bundestrainers überhaupt braucht. Der nimmt eine Vollzeitstelle ein, obwohl Länderspiele nur einmal im Jahr bei der Europameisterschaft oder der Olympiade stattfinden und es nur selten Trainingslager für alle Spieler gibt. Teilfinanziert wird der Bundestrainer von der Spitzensportförderung des Innenministeriums, das dem Schachbund zwischen 2014 und 2019 etwa 80.000 bis 108.000 Euro pro Jahr bezahlt hat . Das Geld für einen Bundestrainer könnte auch anders investiert werden.

Großmeister Meier fände es besser, Trainer nur für Trainingslager oder Turniere zu buchen und nur dafür zu bezahlen. Für einen fest angestellten Bundestrainer gebe es »keine inhaltliche Begründung«, sagt er.

Athletinnen-Sprecherin Papp betont, sie wünsche sich einen Teamkapitän für die Frauen, der eigene Entscheidungen unabhängig von einem Bundestrainer treffen darf. »Für uns wäre es wichtig, dass wir einen Trainer haben, der die gleichen Rechte hat wie der Männertrainer und eben nicht unter dem Männertrainer steht. Das sind veraltete Strukturen«, so Papp.

Um solche Ideen umzusetzen, bedürfte es aber eines Dialogs zwischen Verband und Aktiven. Der wurde nun für das kommende Wochenende angekündigt. Das DSB-Präsidium habe die Kaderspielerinnen und -spieler zu einer Videokonferenz eingeladen, um über die zukünftige Ausrichtung des Bereiches Leistungssports zu sprechen, hieß es.

DSB-Präsident Ullrich Krause war offenbar gezwungen zu reagieren. 2021 sind Präsidentschaftswahlen.

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